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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Gegen drei Uhr traten unsere Dioskuren in das Zimmer und nahmen, die Gesellschaft stumm grüßend, an einem besonderen Tischchen Platz. Der Wirth brachte ohne Aufforderung zwei brennende dünne Tannenspähne zum Anzünden der Pfeifen und setzte jedem der Herren die schäumende „Weiße“ vor. Nie betheiligten sich unsere Helden auch nur mit einem Worte an der allgemeinen Unterhaltung; nie sprachen sie unter sich. So saßen sie bis vier Uhr, um welche Zeit, nachdem der letzte Schluck aus der Stange gethan, der Rittmeister, das Geld für die gemeinschaftliche Zeche auf den Tisch legend, sich erhob und der Wachtmeister folgte; still grüßend, wie sie gekommen, entfernten sie sich.

An einem Vormittage im Sommer 1819 nach beendeter Probe zu den „Räubern“ brannte das königliche Schauspielhaus auf dem Gensd’armenmarkt nieder; es war ein gewaltiges Feuer, und ganz Berlin befand sich in höchster Aufregung, denn bei dem starken Winde und den damals noch keineswegs gut organisirten Feuerlöschanstalten war der ganze nächste Stadttheil bedroht. Die durch alle Straßen wirbelnden Trommeln und die langgezogenen Hornsignale, durch welche die Garnison alarmirt wurde, ließen wohl keinen Einwohner der Stadt in Unkenntniß über das Ereigniß. Zur gewöhnlichen Zeit trat auch an diesem Tage der Wachtmeister in das Zimmer seines gestrengen Vorgesetzten, ließ sich aber, angesteckt durch die allgemeine Aufregung, verleiten der Meldung: „Herr Rittmeister, es ist Zeit,“ die Worte hinzuzufügen: „Heute Vormittag ist das Schauspielhaus abgebrannt.“

Mit zornentflammten Blicken betrachtete der Rittmeister seinen ehemaligen Untergebenen und herrschte ihm die Worte zu: „Ich gehe heute nicht. Kehrt! Marsch!“

Entsetzt verließ der Unglückliche, dem Commando strict Folge gebend, das Zimmer.

Am andern Tage erschien der Rittmeister allein in der „Neuen Welt“. Die Stammgäste waren erstaunt darob und einer derselben erkühnte sich, den in sich gekehrt und mürrisch dasitzenden alten Herrn zu fragen: „Wo haben Sie denn Ihren Wachtmeister?“

Wild aufblickend entgegnete er: „Ich habe mit ihm nichts mehr zu schaffen; der Kerl ist ein Schwadroneur geworden.“

Acht Tage lang hielt es unser Original allein aus; dann siegte die alte Gewohnheit; der Wachtmeister erhielt Amnestie und der Rittmeister erschien wieder wie früher in seiner Begleitung in der „Neuen Welt“. – Etwa zwei Jahre später bewegte sich ein Leichenzug von der Poststraße aus, der jedoch nicht seinen Weg nach dem Frankfurter-, sondern nach dem Oranienburgerthor und dem Invalidenkirchhof zu einschlug. Der alte Rittmeister wurde zu seiner letzten Ruhestätte geleitet. Als einziger Leidtragender folgte der Wachtmeister im gewohnten Anzuge, nur Stock und Pfeife fehlten, das sonstige Gefolge bestand aus dem Wirth und den Stammgästen der „Neuen Welt“.

Nur vier Wochen darauf wurde auch sein treuer Gefährte im Leben, der Wachtmeister, zur Erde bestattet; kein Leidtragender schritt hinter seinem Sarge, wohl aber dasselbe Ehrengefolge. – Die Unzertrennlichen wurden auch im Tode dicht neben einander gebettet; sie ruhen sicherlich in Frieden. – –

In der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre wurde ich als Officier von der Garde in ein Linienregiment am Rhein versetzt. Dasselbe war aus dem ehemaligen Lützow’schen Freicorps errichtet worden, und unter den älteren Officieren, besonders den Hauptleuten befanden sich noch viele, welche, aus den verschiedensten Lebensstellungen hervorgegangen und aus aller Herren Ländern stammend, nunmehr, nachdem die Hörnertöne von „Lützow’s wilder, verwegener Jagd“ verklungen und sie sich als brave und ehrenwerthe Männer bekundet, aber ihre früheren Berufstellungen eingebüßt hatten, beim Waffenhandwerk geblieben waren. – Nur sehr Wenige von diesen hatten sich eine Familie begründen können; sie lebten als alte, ziemlich gut situirte Junggesellen und huldigten, je nach Geschmacks- und Geistesrichtung, mehr oder weniger noblen Passionen. Es konnte so auch nicht fehlen, daß sich aus diesen Elementen welche übrigens auch bei anderen Waffengattungen ihre Vertreter fanden, manche Originale entwickelten. Ende der zwanziger Jahre war besonders Coblenz reich mit solchen bedacht. Meinem damals geführten Tagebuche könnte ich eine staatliche Blumenlese von Episoden aus dem Leben dieser Species entnehmen, ich werde mich jedoch darauf beschränken, einzelne Fälle anzuführen.

In einer kleinen Weinschenke in der Rheinstraße zu Coblenz versammelten sich an jedem Vormittage nach der Parade auf dem Clemensplatze mehrere, besonders ältere Officiere, um die Zeit bis zum Mittagsessen durch Unterhaltung und Vertilgung von so und so viel Specialen (Gläser, die etwa ein viertel Liter enthalten) leichten Weines auszufüllen. Regelmäßige Gäste waren hier unter Anderen der Major H. von der Artillerie und der Hauptmann Baron von L. von der Infanterie. Ersterer, ein überaus jovialer, praktischer, braver und mit dem eisernen Kreuze erster Classe decorirter Officier, der, von Hause aus Schmied, sich die Epauletten auf dem Schlachtfelde erworben, war vor etwa einem Jahre von einer schlesischen Brigade nach Coblenz versetzt worden; der Ruf seiner schon im Kriege mehrfach kundgegebenen originellen Excentricitäten war ihm jedoch längst vorausgegangen. Sehr ernst hatte er sich, nachdem er durch ein ererbtes großes Bauerngut zum wohlhabenden Manne geworden, mit seiner wissenschaftlichen Ausbildung beschäftigt und sich so die erforderlichen theoretischen Fachkenntnisse angeeignet; seine Originalität litt jedoch hierdurch keinen Abbruch. –

Der andere Stammgast der kleinen Weinschenke, Baron von L., war ein wissenschaftlich gebildeter und geistreicher Lebemann, der, nachdem er in einer anderen deutschen Armee gedient und dort, wie man sagte, ein bedeutendes Vermögen an den Mann gebracht, 1813 in preußische Dienste trat. Als „alter Baron“ oder „Hauptmann von Capernaum“ war er in der ganzen Garnison bekannt. Er hatte außer seinen gastronomischen Neigungen auch die absonderliche Passion, Singvögel aller Art zu züchten und zu pflegen; die Wände seiner Wohnung waren mit deren Käfigen dicht behangen.

Major H., der allerdings auch dem Weine nicht abhold war, aber weniger nach der Qualität fragte, huldigte dagegen einer anderen Leidenschaft in hohem Grade: dem Rauchen, verbunden mit der Manie, Pfeifen, wie sie bei allen bekannten Völkern in Gebrauch sind, zu sammeln und sie auch der Reihe nach zu benutzen. Seine Zimmer waren mit diesen verschiedenen Rauchwerkzeugen überreich decorirt, deren Menge sich auf Hunderte bezifferte. Seine Hauptleidenschaft war jedoch, wie beim alten Baron die Singvögelzucht, die Federviehzucht. Der Major wohnte in der Schloßstraße in einem von einer hohen Mauer umschlossenen Gartenhause ganz allein mit seinem Diener; auf dem Hofe und Garten trieben zahllose Hühner, Puten, Gänse und Enten ihr Wesen, welche von ihm stets eigenhändig ihr Futter erhielten, auch soll er ihnen, wie glaubwürdige Zeugen versicherten, schöne Weisen auf der Guitarre vorgeklimpert haben.

Beide alten Herren waren unbeweibt und standen in den fünfziger Lebensjahren; sie verkehrten täglich mit einander, waren auch Tischnachbarn im Trier’schen Hofe. Doch vorzugsweise ein Band verknüpfte sie auf das Innigste: sie belogen sich gegenseitig – doch stets harmlos – auf eine Weise, daß ein Münchhausen sie für seine Concurrenten erklärt haben würde. Das wußten wir „grünen Schnauser“, mit welchem Titel wir von den alten Lützowern beehrt wurden, und darum fanden wir uns auch häufig bei Onkel B. – so wurde der Weinwirth genannt – ein, um in respectvoller Zurückgezogenheit an einem Tische im Hintergrunde des Zimmers unseren Special zu trinken und den Vorträgen der würdigen Herren zu lauschen.

Ein Beispiel genüge zur Erkenntniß der außerordentlichen Virtuosität dieser Heroen im Lügen. Der Bursche des Majors H. erwartete jeden Mittag nach der Parade seinen Herrn mit der gestopften Pfeife an dem genannten Weinhause, fast stets mit einem anderen Exemplare, so auch an diesem Tage. Der besonders schön angerauchte und kostbar beschlagene Meerschaumkopf fiel dem alten Baron auf und er bemerkte:

„Major, Eure Pfeifen müssen Euch ein Heidengeld kosten.“

„Lange nicht so viel wie Euch Euer Wein, allerdings als ich noch als Batteriechef in G. stand, da hatte ich eine exquisite Pfeifensammlung; ich wohnte in einer alten Probstei, in der ein großer Saal war, dessen Wände ich vollständig mit Pfeifen ausgefüllt hatte, ich kaufte allein in einem Jahre für über einhundertfünfzig Thaler langes Stroh zum Reinigen derselben; jetzt bin ich aber sehr reducirt; es ist mir kaum für jeden Tag im Jahre eine andere geblieben.“

Der alte Baron gab sich den Anschein, als glaube er jedes Wort, und entgegnete mit dem ernstesten Gesicht:

„Ja, ich habe meinen Weinvorrath auch reducirt; Champagner

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_168.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2019)