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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


wären, einen Orden zu tragen. Oberst Merlin, die Beisitzer, das Publicum, Alles lächelte. Lachaud wird dessen gewahr; er sieht seinen Effect zerstört und wirft scheue Blicke um – und glücklicher Weise auch auf sich. Da merkt er endlich auf dem schwarzen Tuch seiner Toga den glitzernden Stern der Legion d’honneur, eine Gunstbezeugung Napoleon’s des Dritten, der für den anerkannten Vertreter aller Schinderhannes eine gewisse Schwäche hegte. Welch ein Widerspruch zwischen den eben ausgedrückten Theorien und der Thatsache dieses Ordens auf einer nicht militärischen Brust! Doch schnell besinnt sich Meister Lachaud; er wird noch pathetischer, als sonst.

„O! meine Herren,“ ruft er aus, „Courbet hat damals Unrecht gethan, den Orden zu verweigern – denn wenn unsere Dienste auch nicht so ersprießlich und weittragend sind, wie die Ihrige, so steht es uns schlecht an, die Anerkennung derselben zu verweigern.“

Man lächelte über die schlaue Redewendung. Zwei Tage darauf wurde das Urtheil verkündet. Die Sentenz lautete für mehrere der Angeklagten auf den Tod, für die meisten auf lebenslängliche Deportation. Courbet kam mit sechs Monaten Gefängniß davon. Die Theorie der Unverfänglichkeit der „großen Kinder“ und der Humanität für den Künstler hatte den Sieg davongetragen. Sein halbes Jahr saß Courbet in St. Pelagie ab, wo er recht emsig arbeitete und unter Anderem, ein neues Fach der Malerei betretend, einen Haufen Aepfel malte, keine Conventionalfrüchte, sondern wirklich ähnliche normannische Aepfel, aus welchen der herbe und kräftige Cider gepreßt wird.

Mit dieser geringen Strafe war jedoch die Rechnung des Malers mit dem Staate nicht abgeschlossen. Die wüthende Reaction hätte den „Maitre d’Ornans“, den Zerstörer der Vendôme-Säule, so gern nach dem fernen Cayenne spedirt, wo der Pfeffer wächst. Man konnte aber das souveraine Urtheil des Gerichtshofes von Versailles nicht verschärfen; es gab indessen noch Mittel, wenn nicht der Person, wenigstens dem Beutel des so milde Verurtheilten beizukommen. Zuerst mußte er die gesammten Proceßkosten vergüten, da sämmtliche Angeklagte solidarisch in dieselben verurtheilt wurden und Courbet der Einzige bei Cassa war. Dann verfolgte der Fiscus mit einer seltenen Gier die Eintreibung der Wiederherstellungskosten der Vendôme-Säule – die Bilder, das Baargeld des Malers, die von ihm auf der Bank deponirten Werthpapiere, Alles wurde mit Beschlag belegt. Courbet, der wohl mit Recht an seinem Erwerbe festhielt, transportirte seine Person und sein Atelier nach der Schweiz; er hoffte, daß die Geier des französischen Fiscus ihre Krallen nicht bis dahin ausstrecken würden.

Im Laufe des Sommers 1876 traf ich den Chef der realistischen Schule auf dem Schützenfeste in Lausanne. Der Zufall führte uns gegenüber bei dem Festessen unter der landesüblichen Cantine. Der „Maitre d’Ornans“ war höchst verwahrlost und sehr gealtert. Er war von Enthusiasmus erfüllt für die republikanischen Einrichtungen der Schweiz, für die nationalen Feste – leider aber auch für den heimtückischen schweizer weißen Wein. Er, an starke Getränke gewöhnt, absorbirte davon ungeheure Massen – bis zum Tode. Die Geldverluste, welche er erleiden mußte, nahm er sich vielleicht mehr als nothwendig zu Herzen, denn es wäre ihm wohl ein Leichtes gewesen, mittelst seines Pinsels sich ein bedeutendes neues Vermögen zu erwerben. Aber seine Malerkraft war gebrochen und als ihn der Tod in seinem Atelier in Latoux de Palzeralte traf, glich er bereits einem geistig Gestorbenen.

Paul d’Abrest.





Lothar Bucher.
Ein Lebensbild von Moritz Busch.

Nicht oft geschieht es, daß auf Männer, die aus politischen Gründen dem Lande ihrer Geburt und ihrer bisherigen Wirksamkeit den Rücken zu kehren genöthigt sind, langer Aufenthalt in der Fremde günstigen Einfluß übt. Nur sehr solide Naturen bewahren dort, was tüchtig an ihnen ist, entwickeln und klären es und legen die Täuschung ab, die sie aus den oder jenen Gründen in den Tagen, die hinter ihnen liegen, befangen und auf falsche Wege geführt hat. In der Regel verliert der Flüchtling sehr bald die rechte Fühlung mit dem Leben in der Heimath. Unbekümmert um die Alles ändernde Zeit, ohne Verständniß für neue Mächte, Bedürfnisse und Bestrebungen, bewahrt er das Bild in sich, das jenes Leben darbot, als er über die Grenze ging. Verbittert, verbissen beschränkt er sich, da er drüben nicht mit schaffen kann, auf eine Kritik, die alles besser weiß, obwohl sie in Wahrheit nichts Ordentliches mehr weiß. Einige verkommen auf diese Weise geistig einsam in einer Welt voll Illusionen. Die Mehrzahl schließt sich Coterien an, deren Mitgliedern es ebenso ergangen ist wie ihnen, cultivirt mit ihnen die von Hause her mitgebrachten Phrase und gefällt sich mit ihnen in ohnmächtigen Verschwörungen. Viele werden dabei völlig untauglich zu gerechtem und fruchtbringendem politischem Denken und Thun. Manche verkümmern in kosmopolitischer Phantasterei. Andere vergessen die Heimath und schließen sich einem neuen Volkswesen an, das ihnen nun weit über dem des Vaterlandes steht; wieder Andere kehren zwar, wenn der Zwang, in der Verbannung zu leben, beseitigt ist, heim, sehen aber die Welt, die sich inzwischen hier gestaltet hat, mit Siebenschläferaugen an, die nicht begreifen und deshalb sich nicht freuen können, daß es anders und ohne das von ihnen verehrte Ideal besser geworden ist.

Indeß finden sich, wie gesagt, Ausnahmen, und mit solchen begeben sich dann zuweilen wunderbare Dinge. Sie haben außer einem warmen Herzen einen im Grunde klaren und scharfen Verstand, einen gute Vorrath von Wissen und einen selbstständigen Charakter mitgenommen, und das kommt ihnen nunmehr zu Gute. Unfreiwillige Muße giebt Zeit zum Ueberlegen der Vergangenheit, zum Prüfen und Vergleichen des Auslandes mit dem Vaterlande, zur Erkenntniß der Vorzüge und der Mängel des einen und des anderen und so zu stufenweise sich vollendender Läuterung des Urtheils in den verschiedensten Richtungen. Mancher hat auf diesem Wege in der Fremde zwar allerlei Gutes, das Ideal aber, das er dort verwirklicht glaubte, nicht gefunden. Mancher erst dort das Vaterland ganz und voll ehren gelernt und den rechte Weg ihm zu dienen erkannt. Zwei Beispiele von solchen Männern stehen mir, während ich dies schreibe, neben vielen anderen vom Gegentheil vor Augen. Beide sind zu Anfang radicale Demokraten vom Scheitel bis zur Ferse, Beide, vom Leben erzogen, zuletzt Realpolitiker, die beim Erstreben bürgerlicher Freiheit Maß und Möglichkeit kennen und achten, vor allen Dingen aber sich in den Dienst derjenigen Freiheit stellen, welche in der durch Einigung der Nation erreichten Sicherheit und Unabhängigkeit gegenüber der Macht und dem Herrschergelüst des Auslandes besteht.

Ein solcher Mann war Karl Mathy, der radicale Journalist, der Schulmeister von Gränchen, der Freund Mazzini’s, der eifrige Patriot in der Paulskirche, der mit allen Kräften der deutschen Einheit zustrebende badische Minister, und ein zweiter solcher Mann ist der Gegenstand dieser Charakterzeichnung.

Adolf Lothar Bucher, von der Presse nicht ganz zutreffend als die „rechte Hand Bismarck’s“ bezeichnet (ich will hiermit nicht sagen, daß irgend Jemand anderes dieses Prädicat zukäme – nicht entfernt!), sicher aber der geschickteste, tiefste und gesinnungsvollste unter seinen Gehülfen und derjenige, welcher ihm am ergebensten ist und sich seines Vertrauens im höchsten Maße erfreut, ist 25. October 1817 geboren, also gegenwärtig ein angehender Sechsziger und etwa dritthalb Jahre jünger als der Reichskanzler. Seine Geburtsstadt ist Neu-Stettin. Aber schon als zweijähriges Kind kam er nach Cöslin in Hinterpommern, wo sein Vater, ein tüchtiger Philolog und Geograph und, was zu beachten, ein Freund Ludwig Jahn’s, Professor und Prorector am Gymnasium geworden war und wo der Knabe nun den ersten Unterricht und die ersten bewußten Eindrücke vom Leben und der Welt empfing. In einem Märchen so schalkhaft anmuthig und so voll von poetischer Wehmuth zugleich, wie wohl Mancher es dem ernsten, nüchternen, schweigsamen Manne nicht zutrauet, hat er sein weiteres Leben bis zu Anfang der sechsziger Jahre unserer Rechnung angedeutet, und obwohl sich der Aufsatz –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_150.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)