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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Courbet und die Vendôme-Säule.

Die gußeiserne Cigarre mit dem Männchen im römischen Triumphatormantel steht wieder mitten auf dem für sie bestimmten Platze, und jener Mann, der an derselben rüttelte, liegt unter der kühlen Erde eines poetischen schweizer Friedhofes am Leman-See. Wie der Maler Courbet, der oft genannte Vertreter der äußersten Linken in der realistischen Kunstrichtung, dazu kam, gegen die Säule einen solchen Haß zu fassen, ist vom doppelten Standpunkt, vom politischen wie vom künstlerischen, erklärlich. Politisch wurde Courbet durch die Lobeserhebungen, welche seine Weigerung, das Kreuz der Ehrenlegion anzunehmen (1870) hervorrief, berauscht und fühlte sich berufen, seinen Republikanismus durch eine Thatsache zu bekräftigen. Aesthetisch machte ihn die unliebsame Säule nervös dadurch, daß er sie beständig vor Augen hatte, denn nach dem 4. September 1870 wurde Courbet mit der Oberaufsicht der Museen betraut und thronte in dem reichgeschmückten Cabinet im Louvre-Palais.

Trat er nun nach beendigter Arbeit (?) oder nach einer erhitzten ästhetischen Debatte an’s Fenster seines Cabinets, so traf sein Blick die Vendôme-Säule, jene im Jahre 1807 zur Verherrlichung der Thaten der „großen Armee“ errichtete bronzene Cigarre, die sehr ungraziös den circusförmigen Vendôme-Platz verunstaltete. Sowohl das unästhetische Denkmal, wie das Standbild Napoleon’s des Ersten machten den Künstler Tag für Tag nervöser; er wurde als Nachbar der persönliche Feind der Vendôme-Säule. Sein Unmuth äußerte sich bereits am 14. September in einem Briefe an die Nationalregierung, in dem er sich anheischig machte, die betreffende Säule zu stürzen. Die Nationalregierung ließ diesen Antrag ohne allen Bescheid, aber in den Augen der gegen den Bonapartismus aufgebrachten Menge stieg noch die Popularität Courbet’s. Es war sehr bescheiden von ihm, wenn er nicht einen directen Antheil an der Regierung forderte und sich mit Huldigungen begnügte, die ihm gelegentlich einiger „Vorlesungen“ in reichlichem Maße zu Theil wurden. Nun erhitzte der Maler sich immer gewaltiger; er erließ einen Aufruf „an die deutschen Künstler“; das gab einer Kanone seinen Namen etc. etc. So nahte der für Courbet verhängnißvolle Zeitpunkt der Commune.

Als die Commune ausbrach, gehörte es keineswegs zu den zwölf Herculesarbeiten, sich einen Sitz in dieser dictatorischen Versammlung zu verschaffen. Es genügte, zu der rothen Fahne zu schwören und sich der Empfehlung eines der patentirten Volkstribunen zu erfreuen. In der Eile wurden ja sogar Fremde gewählt, und da die von Panik ergriffenen conservativen Elemente sich nicht aufzuraffen wagten, so siegten die meisten der Erwählten allein, ohne Kampf und ohne Gegner. Man erklärt sich’s also leicht, wie Gustav Courbet, der in den Augen der aufrührerischen Pariser von einem doppelten Heiligenschein umgeben war, nämlich von dem seiner Weigerung der Ehrenlegion gegenüber und von dem seines Antrages bezüglich der Vendôme-Säule, in das Stadthaus gelangte. In dem revolutionärem Convetikel war die Zerstörung der Vendôme-Säule stets sein letztes Wort. Er hatte durchaus keine Ruhe, bis die Commune ein förmliches Decret erließ, welches dem heißesten Wunsche Courbet’s gesetzliche Kraft verlieh. Courbet selbst wurde beauftragt, die Arbeiten zu leiten, und er entledigte sich seiner Aufgabe mit jener Gewissenhaftigkeit, die man gewöhnlich auf Arbeiten verwendet, bei welchen das Herz ist. In der That, während draußen Tag und Nacht aus Hunderten von Kanonen der Grimmbaß kriegerischer Musik ertönte, sah man eines Morgens des wahrhaft wunderschönen Monat Mai 1871 eine Abtheilung Arbeiter – mit dem damals unvermeidlichen Nationalgarde-Käppi auf dem Kopfe – vom Vendôme-Platz Besitz ergreifen und ein hölzernes Gerüst errichten, welches nach und nach bis hoch hinauf ragte zur Lorbeerkrone des in Erz gegossenen Cäsar’s. Mit jedem Tage schritt die Arbeit vorwärts, und bald ertönten hinter den hölzernen Verhauen bedeutsame Hammerschläge und das beständige Geräusch der Säge, die tief in die metallene Kruste und dann in die Gypsmasse biß. Die ganze Säule sollte in „Portionen“, querdurch, von oben nach unten, ungefähr wie ein Baumkuchen geschnitten werden; darauf sollte der untere Theil vom Postament radical losgesägt werden – drauf ein mächtiger Ruck, und die in Scherben zersplitterte Säule sollte der Länge nach auf das Pflaster der Rue de la Paix fallen.

In der Stadt hatte man geglaubt, die Commune werde sich begnügen, das verherrlichende Denkmal des Kaisers theoretisch in den Bann zu thun – der alte chauvinistische Geist lehnte sich selbst bei vielen Revolutionärgesinnten gegen die Zerstörung dieses Zeugnisses französischen Ruhmes auf; als jedoch kein Zweifel mehr gestattet war, da wälzte sich alles dem Vendôme-Platz zu. Es begann eine förmliche Procession Neugieriger, welche sich mit eigenen Augen von dem überzeugen wollten, das ihnen unglaublich erschienen war. Meister Courbet verfehlte nicht, alle Nachmittage seinen Verdauungsspaziergang nach genossenem Frühstück in der Richtung nach der Rue de la Paix einzuschlagen. Die Hände hinter dem breiten Rücken und auf dem Kopfe ebenfalls die Nationalgarde-Kappe, besichtigte er die Arbeit und fand Wohlgefallen an seinem Werke.

Der Hauseigenthümer der Rue de la Paix, einer der reichsten Straßen von Paris, hatte sich indessen eine gelinde Panik bemächtigt. Man besorgte das Aergste von dem gewaltsamen Fall der ungeheuren Erz- und Steinmasse. Die schönen Häuser alle, insofern sie nicht schon ohnedies von ihren Bewohnern (der Geburts- oder der Geld-Aristokratie angehörend) verlassen worden waren, standen öde. Demjenigen, der in ruhigen Tagen die doppelte Fronte der bis spät in den Abend hinein illuminirten Prachtläden der Straße mit ihren Schätzen an Schmuck-, Kunst- und theuersten Toilettengegenständen in den Auslagekästen gesehen hatte, der sich der langen Reihen von Equipagen erinnerte, die vor jedem Thore auf ihre Gebieter harrten, dem mußten die hermetisch geschlossenen Läden, die vor den bogenförmigen Fenstern überall herabgelassenen Jalousien desto unheimlicher vorkommen. So nahte der für die „Execution“ der Vendôme-Säule festgestellte Tag heran. Es war der 15. Mai – gut, daß die Herren von der Commune sich beeilten, denn wenige Tage darauf war die ganze Tragi-Posse der Commune im Blute erstickt und die Rothhosen campirten auf dem Platze.

Die Aufregung hatte in Paris ihren Siedepunkt erreicht; alle Gemüther waren in Wallung, und der Pulsschlag überstieg um das Dreifache das normale Maß. Der Kampf unmittelbar vor den Thoren wüthete wachsend von Stunde zu Stunde. Gewisse Quartiere waren mit Bomben, Granaten und Shrapnells hageldicht überschüttet. – Durch die Straßen bewegten sich endlose Leichenzüge, und gerade am Tage vor dem Umsturz der Säule hatte die Sprengung einer Munitionsfabrik in der Nähe des Invalidenhauses allgemeine Panik verbreitet. Unter solchen Umständen und bei dieser Musik, zu der sich noch die Banden zweier Nationalgarde-Bataillone gesellte, wurde das Decret zur Wahrheit.

Die Sache ging nicht ohne Störung von Statten. Bereits um ein Uhr hatten sich die mittelst specieller Karten zu dem Feste Geladenen eingefunden; fast sämmtliche Mitglieder der Commune, die insurrectionelle Generalität etc. hatten auf dem Balcon der Commandantur von Paris – das Gebäude steht am Vendôme-Platze – Posto gefaßt, und erst um halb sechs Uhr Nachmittags gelang es, nachdem zwei Kabelstricke gerissen waren, das ungeheuere Monument zum Falle zu bringen. Der Platz und die Rue de la Paix waren mit einer dichten Strohschicht, darunter als Grundlage ein Portion Dünger, besäet; auf diesem sonderbaren Bette zerstückelte sich in hundert Bestandtheile die der französischen „Gloire“ errichtete Säule. – Die Statue des Imperators wurde durch den Sturz enthauptet, aber der Rumpf blieb völlig unversehrt. Die einzelnen Bestandteile der Säule wurden so sorgfältig zusammengelesen, daß ein Jahr darauf, als zur Wiederherstellung des Denkmals geschritten wurde, kein einziges Stück fehlte.

Nachdem das Zertrümmerungswerk vollendet worden war, spielten die Musikbanden die Marseillaise, Volkstribunen, an welchen man damals keinen Mangel litt, bestiegen das Postament und redeten das Volk an; noch in der Nacht wurden die Trümmer aus Erz und Stein vom Boden aufgelesen; das Auge erfreute sich einer freien Aussicht über den ganzen Vendôme-Platz bis zu den grünen Anlagen des Tuilerien-Gartens.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_148.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)