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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

der junge Enthusiast büßte bekanntlich die Lust, hier die goldpapierne Directionskrone tragen zu dürfen, mit dem Verlust eines Vermögens von mehr als hunderttausend Thalern – hörte der alte Herr doch nicht ohne Wehmuth. „Man hätt’s ihm ersparen sollen,“ meinte er. Bei dem jungen Heißsporn wäre das indeß wohl kaum möglich gewesen; er stürmte in sein Verderben wie Max Piccolomini in den Tod: „er wollte …“

Wie die „Charpie“ und das „Simmelsammelsurium“ genugsam beweisen, gab es im Schreibtische des alten Herrn auch in dieser Periode noch Mancherlei aufzuräumen, und wer weiß, was auch jetzt noch in der Zeiten Hintergrunde schlummert.

Wie man über den Werth der Holtei’schen Dichtungen auch immer urtheilen mag (in der Parteien Gunst schwebt ja das Bild der Lebendigen immer hin und her), eines steht fest: über sein treu preußisches Herz und sein echt schlesisches Gemüth kann wohl Niemand in Zweifel sein. Es war und ist ihm eigen, was den Mann zum Manne stempelt für alle Zeiten: Wissen und Würde und Tüchtigkeit.

Als nun die Tage kamen, von denen der Mensch mit Recht klagen darf: sie gefallen mir nicht – als Krankheit und Leiden ihn an Zimmer und Bett fesselten und seine Kräfte zusehends erschöpften, und alle seine Freunde allbereits das Schlimmste fürchteten, da zeigte sich Holtei wie sein „alter Feldherr“ würdiglich und gefaßt. Eine Anschwellung am Halse ging, nachdem sie lange schon den alten Herrn vielfach gequält, in offene Eiterung über. Die Aerzte selbst hatten wenig Hoffnung. Um für die nöthige Pflege zu sorgen, entschloß sich Holtei zu den „Barmherzigen Brüdern“ überzusiedeln. Der Entschluß war zu seinem Heil. Das berühmte Kloster that zu seinen vielen Wundern auf dem Gebiete der Krankenpflege ein neues, und der Dichter – ward gerettet. Mit frohem Jubel begrüßte die ganze Provinz diese Nachricht, die anfänglich Manchem wie eine ganz unglaubliche Mär erschien. Und nicht allein, daß der alte Herr außer Lebensgefahr war, nein, er erholte sich zusehends, bekam die Rede wieder und den frohen Ausblick auf eine ungestörte Feier seines achtzigsten Geburtstages und noch, so Gott will, mancher anderer. Die Tage des Festes sind nun schon vorüber; alle Welt weiß, wie allgemein die Theilnahme Schlesiens gewesen bei diesen ihrem Lieblingssohne bereiteten Ovationen. Das war ein Tag der Ernte! Das waren volle und schöne Garben! Das war der Segen eines reichen Tagewerkes! Daß die während eines so langen Lebens und Strebens treu bewährte patriotische und persönliche Anhänglichkeit an den Kaiser und sein Haus von Seiten Sr. Majestät durch Verleihung des Ritterkreuzes des königlichen Hausordens von Hohenzollern (der nur diesem Zwecke gestiftet ist) anerkannt wurde, dürfte sicherlich auch in den weitesten Kreisen mit lebhaftester Genugthuung aufgenommen werden.

Neben den unzähligen Gedichten, Kränzen, Widmungen und Adressen (die erste derselben natürlich vom Magistrate Breslaus), welche am Jubeltage einliefen, sei ein prächtiger Pokal erwähnt, vom Provinziallandtage gespendet. Er trägt die Inschrift, welche diesem Artikel als Ueberschrift vorgesetzt ist: „Suste nischt ack heem“ (weiter nichts als heim), und diese ist einem Gedichte Holtei’s entnommen, in dem sich so recht die innige unauslöschliche Heimathsliebe des Dichters mit all ihrer tiefen Gemüthsinnigkeit ausspricht. Ein armer Bauernbursch hat einem Prinzlein das Leben gerettet. In ihrem überströmenden Danke beschließt die Frau Fürstin, den Jungen fortan wie ihr eigenes Kind zu halten. Er wird auf’s Schloß geholt, prinzlich eingekleidet, und die gute Dame thut Alles, damit’s dem Friedel bei ihr recht wohl sein möge. Der aber steht gar trübselig da, nimmt zusehends ab von Tag zu Tage und will und kann da droben nicht froh werden. Endlich zieht ihn die Frau Fürstin bei Seite und bittet ihn herzinniglich, ihr doch zu sagen, was ihm fehle, oder was er wünsche. Da faßt sich Friedel Muth und meint:

„heem möcht’ isch; suste weiter nischt ack heem“ ...

Und so, meint der Dichter zum Schlusse, sei es auch ihm ergangen. Man habe ihm da draußen in der Welt auch viel Liebes und Gutes gethan, ihn hoch geehrt:

„in grußen Städten und uf hochen Schlössern,“

aber die Sehnsucht nach dem kleinen Häuschen in der „Schläsung“ habe, ihn dabei doch niemals verlassen. Derselbe Grundton durchklingt viele der schlesischen Lieder.

Von den Ovationen, die man dem achtzigjährigen Jubelgreise dargebracht, sei hier nur noch eine erwähnt, nach unserem Dafürhalten die sinnigste und schönste Festgabe, und wie wir annehmen zu können glauben, so recht nach dem Sinne des edlen Dichters. Wir meinen die Holtei-Stiftung, eine zu ewigem Gedächtnisse an jenen Tag (24. Januar 1878) in’s Leben gerufene Unterstützungscasse für alternde und bedürftige Schriftsteller, für die wir auch hier, vor dem weiten Leserauditorium dieses Weltblattes, noch einmal das Wort ergreifen möchten, um in Nord und Süd, in Ost und West alle Freunde und Verehrer des greisen Dichters zur Betheiligung aufzurufen. Bekanntlich hat sich die Kaiserin Augusta, seit Jahrzehnten schon Holtei’s huldvolle Beschützerin, mit einem Beitrage von tausend Mark an die Spitze dieses Unternehmens gestellt, allein um die Idee der Stiftung in segensreicher Weise zu verwirklichen, bedarf es trotz der zeither abgesammelten Summen noch weiterer Betheiligung der großen Masse des Volkes.[1] Auch die Theater, die Liedertafeln, die Clubs in fremdem Lande sollten ihre Mitwirkung kräftiger bethätigen, als dies bisher geschehen ist.

Ich kann diesen Artikel nicht schließen, ohne einige Worte über Holtei’s gegenwärtige Lage und seinen jetzigen Aufenthalt hinzuzufügen, weil ich glaube, ja weiß, daß damit mancher vielfach verbreitete Irrthum wird beseitigt werden können.

„Im Kloster!“ das will Manchem gar nicht in den Sinn. Wer tief im protestantischen Lande lebt und niemals den katholischen Süden mit eigenem Auge sah, hat von einem Kloster meisthin curiose Ansichten. Mir liegt von einem sonst vielseitig gebildeten Manne aus meiner Heimath – dem alten Sachsenlande zwischen Elbe und Trave – eine ernsthafte Anfrage vor: wie es denn möglich sei, daß der Dichter der „Lenore“ auf seine alten Tage die Mönchskutte angethan? Ein Anderer klagt: „und so weit mußte es mit dem Aermsten kommen, daß er bei den Barmherzigen Brüdern um Aufnahme bitten muß.“ Es dürfte nicht überflüssig sein, über diese vielleicht mehr, als man hierorts für möglich hält, verbreiteten Irrthümer einige berichtigende Aufklärung zu geben.

Das Kloster der „Barmherzigen Brüder“ in Breslau also ist (und war seit seiner Stiftung, die in das Jahr 1711 fällt,) absolut nichts anderes als ein Krankenhospital, welches die Armen (und zwar jeder Confession ohne Unterschied) ohne jede Entschädigung bis zu ihrer Heilung pflegt und beherbergt und welches den Bemittelten ein mit allem Comfort der Neuzeit ausgestattetes Pensionat darbietet, damit sie sich in demselben, sei es während einer vorübergehenden Krankheit, sei es auch für den ganzen Lebensabend, verpflegen lassen können. Die Kosten betragen, inclusive Kost, Wohnung, Heizung, Licht, Arzt, Medicin etc., in der ersten Classe etwa fünf Mark pro Tag. In dieser Pensionatsabtheilung, die in dem zweiten Stockwerke liegt, befindet sich Karl von Holtei. Sein Zimmer trägt die Nr. 21, liegt gen Südosten und gewährt einen schönen Ausblick auf Gärten und Fruchtfelder. Unweit des Fensters, auf einem bequemen Lehnstuhle, ist des Dichters Lieblingsplatz und von dort schweift das träumende Auge weit hinaus in sein geliebtes schlesisches Land. Trotz seines hohen Alters fühlt sich der alte Herr jetzt wieder wohl, läßt sich vorlesen, dictirt auch ein Brieflein. Das lange Sprechen wird ihm schwer. Daß er sich entschloß, zu den „Barmherzigen Brüdern“ zu gehen, segnet er jetzt jeden Tag. Der Pater Provinzial, den ich aufsuchte, meinte: „Der alte Herr macht uns täglich mehr Freude, denn er ist ein geduldiger Kranker gewesen und nun ein so lieber Genesender.“ Daß im Pensionat völlige Verkehrsfreiheit herrscht, so weit die Hausordnung dieselbe gestatten darf, versteht sich von selbst. Nur die Glasmalereien und die Heiligenbilder der hohen, luftigen Corridore, erinnern an ein Kloster.

Daß Holtei’s jetzige Einnahmen ihm sehr gut gestatten, sich in diesem trefflichen Pensionat (von Möncherei und Proselytenmacherei ist dieser echt humanitären Anstalt noch nie das Mindeste nachgesagt worden) ganz nach Wunsch zu pflegen, dürfte zur Beruhigung aller seiner Freunde aus dem oben Mitgetheilten genugsam hervorgehen. Also nichts mehr von „Mönchszellen“, „Mönchskutte“, „Hungerloos“ und derlei bösem

  1. Der Schatzmeister der Stiftung, Herr Stadtrath Hühner in Breslau, nimmt die Beiträge entgegen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_119.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)