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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

(manchmal 120 bis 140,000 auf einen Zug) auf’s Schiff gezogen worden ist, wozu drei Stunden Arbeit erforderlich, werden die Eingeweide und Kiemen sofort herausgenommen, dann die Fische in starke Lake von Boysalz gelegt und in eichene Tonnen verpackt; zwischen jede Schicht Häringe wird wiederum Boysalz gestreut, welches bald zur Lake wird. Diese Art ist das „weiße Einsalzen“ und dauert nur eine Nacht. Wenn dagegen die zu Bücklingen bestimmten Häringe zwei Nächte hindurch in der Lake liegen bleiben, so nennt man dies das „rothe Einsalzen“.

„Nach Beendigung des Salzens,“ fuhr der Räucherer fort, „werden die Fische gewaschen, leicht an der Luft getrocknet, sortirt, auf hölzerne Stangen gezogen und kommen nunmehr in den Räucherofen.“

„Hat derselbe eine besondere Bauart?“

„Nein. Es ist eigentlich nur ein gewöhnlicher deutscher Heerd. Man räuchert oft mit Pappelholz, am liebsten aber mit Ellerholz.“

„Feucht, nicht wahr?“

„Beileibe nicht. Möglichst trocken gehacktes Holz, sogenannte Hackspähne. Der Räucherer sorgt für ganze Böden voll Vorrath von diesen Spähnen, damit sie gehörig austrocknen; feuchtes Holz giebt schlechte Bücklinge. Zunächst muß helles Feuer sein, damit die Bücklinge rasch trocken werden und eine glatte Haut bekommen. Nachher wird dann mehr auf Rauchentwickelung gehalten. Gute Bücklinge müssen groß, fett, zart, biegsam und wunderhübsch goldigbraun sein. Auch recht klare Augen nach dem Räuchern sind ein Zeichen der Güte.“

„Und wie lange dauert das Räuchern?“

„Je nachdem - die Zeit ist verschieden eine Menge von Umständen hat Einfluß darauf, das Holz, die Jahreszeit, die Frische der Fische etc. Die Durchschnittszeit mag etwa zwei bis drei Stunden sein. Durch das Anfühlen prüft man sie, ob sie gahr sind. Ist das Räuchern und das Abkühlen vorbei, so geht es an’s Verpacken. Nach Hamburg und anderen naheliegenden Städten verschickt man sie in Körben, weiter in’s Binnenland hinein in Kisten.“

„Geht das Geschäft das ganze Jahr hindurch?“

„Leider nicht. Im Sommer geht es gar nicht; vom Mai bis Ende Juni wird nicht geräuchert. Nach dem 1. August sind die Bücklinge am besten.“

Hier sei zum Verständnisse des später Folgenden eingeschaltet, was Karl Vogt in seiner „Nordfahrt“ zur Widerlegung der alten Fabeln von den Wanderzügen der Häringe bemerkt: „Der Häring lebt weder vorzugsweise am Polarmeere, noch macht er weite Reisen. Er bewohnt die Tiefen derjenigen Meere, an deren Küsten er laicht, wird dort zu allen Zeiten vereinzelt gefangen, namentlich mit solchen Geräthschaften, welche in die größeren Tiefen reichen, und hebt sich aus den Tiefen nur zur Laichzeit empor, um der Küste zuzusteuern, an welcher er seine Eier ablegt. Die Laichzeit, während welcher der bedeutendste Fang geschieht, fällt in die Wintermonate, scheint aber, je nach der Witterung und anderen ziemlich unbekannten Einflüssen, oft um Wochen und Monate zu schwanken. Die Fischer haben verschiedene Anzeichen, aus welchen sie das Herannahen der Häringsschwärme beurtheilen, doch sind dieselben sehr trügerisch. Auch sind die Jahre sehr verschieden; in einem Winter erscheinen ungeheuere Massen, in dem anderen gerathen nur einzelne Fische in’s Netz. Die Ursachen dieser Erscheinungen sind noch gänzlich unenträthselt.“

Auch in anderer Hinsicht ist (nach Brehm) die Lebenskunde des Härings dunkel und unklar. Nicht immer sind es Schaaren fortpflanzungslustiger Fische, die sich zeigen, sondern es kommen auch alljährlich große Heere sogenannter Jungfern- oder, wie die Holländer sagen, Matjes- (Mädchen-) Häringe aus ihrer heimatlichen Tiefe hervor. Ueber das Leben in den tieferen Gründen wissen wir so gut wie nichts; mit Sicherheit haben wir noch nicht einmal die Nahrung besagen können, welche der Häring genießt. Auch eine bestimmte Laichzeit hat er nicht, mit Ausnahme des Juni und December fängt man in allen übrigen Monaten Stücke, die von Milch oder Rogen strotzen. Die hauptsächlichsten Laichmonate mögen im Frühling Februar und März, in der späteren Jahreszeit August und September sein.

Lassen wir jetzt wieder unseren Räucherer reden und zwar von der Wirkung der soeben vorgeführten Ursachen:

„Auch im Winter geht das Geschäft nicht jeden Tag, sondern richtet sich nach dem Fange. Der Wind spielt dabei, wie an der Küste überhaupt in vielen Dingen, die Hauptrolle. Ist der Fang gut gewesen, kommen reichlich Fische, so herrscht reges Leben und Treiben überall von früh bis spät, alle Arbeitskräfte der Fischerdörfer werden ausgeboten; Alles muß heran, Männer, Frauen und Kinder; da giebt’s Geld zu verdienen. Die Frauen besorgen namentlich das Aufziehen der Fische auf die Räucherstöcke. Die kleinen Kinder selbst, die nicht mit arbeiten können, freuen sich solcher guten Zeit; fällt da einmal ein Bückling vom Stock, wenn die Fische aus dem Ofen an die Luft zum Abkühlen getragen werden, so erhaschen ihn die Jungen und thun sich gütlich daran, wenn viel da ist, kommt’s auf ein Stück mehr oder weniger nicht an.“

Hiermit scheint die von uns wahrgenommene Thatsache zusammenzuhängen, daß so ein richtiger Kieler oder Ellerbecker Eingeborener auch ganz unglaubliche Quantitäten „Buckel“ oder Sprott vertilgen kann; des Brodes braucht er zu der fetten Speise nur so verschwindend wenig, wie Falstaff desselben zu seinem Sect.

Unser Gewährsmann erwähnte dann noch nebenbei des Umstandes, daß bei so günstigen Verhältnissen gar mancher Räucherer den brillanten Verdienst durch extra-riesige Portionen äußerst „steifen“ Grogs zu feiern pflegt, welches erwärmende Getränk ja überhaupt als Schutzmittel gegen atmosphärische Einflüsse der nordischen Küstenbevölkerung stets so lieb und werth sein wird, daß alle Mäßigkeitsvereine nichts dagegen ausrichten können.

Der Vollständigkeit wegen seien hier neben den Kieler Bücklingen noch einige andere Sorten erwähnt. Da ist zunächst der „Häringsbückel“, eine im Großen fast ausschließlich in Hamburg bereitete Sorte, zu welcher man große, bereits längere Zeit in Tonnen aufbewahrte gesalzene Häringe nimmt, die ausgewässert und dann geräuchert werden. Viele Leute schätzen sie als Delicatesse; Schreiber dieser Zeilen hat der äußerst derben, sehr zähen und thranig duftenden Speise nie Geschmack abgewinnen können. Die beste Sorte derselben heißt auch Speck- oder Lachsbückling. - Flohm-, Flick-, Flack- oder Fleckhäringe (ziemlich theuer) sind holländische Bücklinge; auf dem Rücken ausgeschnitten sind sie auf etwas andere Art geräuchert und werden in der Regel nicht roh verzehrt, sondern gebraten, gewöhnlich in Gesellschaft von Spiegeleiern. Endlich giebt es eine untergeordnete Qualität. Stroh- oder Tonnenbücklinge, über Kohlenfeuer geräuchert, schrecklich trocken schmeckend, aber sehr billig im Preise.

Dagegen gehört, wie schon Eingangs dieser Zeilen erwähnt, ein richtiger Kieler Bückling Prima-Qualität in der besten Jahreszeit mit Recht zu den von Feinschmeckern allseitig anerkannten Delicatessen; so zart ist das Fleisch, so lockend der Geruch, so fein das unter der goldigen Haut sitzende Fett. Einige ziehen die „Milchner“, andere die „Rogener“ vor, nebenbei erwähnt, birgt ein weiblicher Häring 40,000 bis 50,000, ja selbst 60,000 bis 70,000 Eier. Recht störend wirkt es beim Genuß, wenn man, wie das wohl vorkommt, einen mangelhaft ausgenommenen Bückling zerlegt und anstatt des gehofften Rogens ein abscheulicher Brei von halbverdauten Krebschen zu Tage tritt. Diese winzig kleinen Krebse, wie sie in ungeheuren Massen die See und namentlich die Ostsee erfüllen, bilden die Hauptnahrung des Härings. Möbius sagt hierüber:

„Die Hauptnahrung der Häringe, die in der Nord- und Ostsee gefangen werden, bilden wenige Arten sehr kleiner Krebse aus der Ordnung der Spaltfüßler (Copepoden). Im Februar 1872 wurden in der Kieler Bucht sehr viele Häringe gefangen. Fast alle, die ich öffnete, um ihre Nahrung kennen zu lernen, hatten ihren Magen mit Spaltfüßlern angefüllt, die fast ausschließlich einer einzigen Art (Temora longicornis) angehörten. In dem Magen eines großen Härings, der prall mit Temorabrei angefüllt war, betrug die Zahl der verschluckten Krebschen nach einer sicheren Zählung 60.895 Stück. Ein anderer Häring hatte 19,170 Stück im Magen. Diese Beispiele zeigen, daß unsere flachen Küstenmeere trotz ihrer Armuth an Arten ungeheure Mengen thierischer Individuen erzeugen.“

Die Bedeutung der „Kieler Bücklinge“ als Handelsartikel ist, wie aus allem Gesagten hervorgeht, sicherlich eine nicht geringe; an zuverlässigen statistischen Abmachungen hierüber fehlt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_097.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)