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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


mit westfälischem Schinken belegte Pumpernickel, nicht mehr. Am Morgen des 2. Januar fand man in der Scheibenkammer der Caserne den treuen Compagniehund Milo – verendet.

Unter großer Theilnahme wurde der „treu Gediente“ ganz in der Nähe der Caserne mit allen militärischen Ehren begraben. Eine Trauerweide haben die Cameraden ihm auf das Grab gesetzt. Ein öffentliches Denkmal diesem treuen Thiere zu setzen, beabsichtigt ein alter Soldat, indem er Milo’s Lebens- und Leidensgeschichte der weitverbreiteten „Gartenlaube“ hiermit zur Veröffentlichung übergiebt.



Auf Waltersburg.
Novelle von J. D. H. Temme.
(Fortsetzung.)


„Noch bin ich mit meiner kleinen Erzählung nicht ganz zu Ende,“ fuhr Emil Brunn nach wenigen Augenblicken fort. „Ich erfuhr erst später, was der alte Bekannte von Schloß Waltersburg dem Officier erzählt hatte. Der Freiherr Ottokar von Waltershausen stand in einem Liebesverhältnis mit seiner schönen Schwägerin. Die junge Dame, deren Geschichte ich erzählt, hatte einen Triumph ihrer Eitelkeit darin gesucht, die schöne Schwägerin, die vornehme Schloßfrau, bei dem Freiherrn, wie man zu sagen pflegt, auszustechen. Es war ein ordinärer Weg, den die schöne Pfarrerstochter eingeschlagen, mein Fräulein,“ schloß der junge Mann dann wirklich, „ich habe mich auch einmal zu einem solchen Wege hinreißen lassen. Ich mußte doch meine Rache oder vielmehr Sie mußten Ihre Strafe haben. Das Schwerste, das Härteste einer Strafe pflegt zu sein, daß sie mit dem Schuldigen auch Unschuldige trifft. Kehren Sie zu Ihrem Vater zurück! Sie werden von ihm das Nähere erfahren. Und damit leben Sie wohl!“

Er verließ die Laube. Draußen an der Hecke des Gartens erwartete ihn sein Freund und Genosse, Georg Hausmann. Der Bauernadvocat hatte sein Geschäft mit dem Pfarrer schneller beendigt, als sein hochverehrter Freund das seinige mit der Pfarrerstochter. Die beiden Freunde entfernten sich. Regine Reif war lange nicht im Stande, sich von der Bank der Laube zu erheben, aber als sie einen Schritt vernahm, raffte sie sich doch mit angestrengter Kraft auf. Sie sah ihren Vater im Garten langsam auf- und abgehen.

Der Pfarrer Reif war ein stattlicher Mann in der Mitte der fünfziger Jahre. Sein ganzes Wesen zeigte Muth und Kraft, aber in diesem Augenblicke lastete ein schwerer Druck auf ihm; er ging gebeugt, und die Züge seines Gesichts waren voll Kummer.

„Vater –“ sagte Regine sich erhebend und ihm entgegentretend. Thränen erstickten ihre Stimme. Er wollte sich voll Unmuth von ihr abwenden, aber er vermochte es nicht, war sie doch sein Kind. Sie ergriff seine Hand.

„Vater, kannst Du mir verzeihen? Was der Mensch, der bei Dir war, Dir, uns Allen angedroht hat – ich allein habe es verschuldet. Ich kenne den Inhalt seiner Drohung nicht. Theile ihn mir mit, damit ich mit Dir trage, was getragen werden muß!“

Der Pfarrer schaute noch finster vor sich nieder.

„Wohlan!“ sagte er endlich.

Georg Hausmann, der Bauernadvocat, hatte nur eine kurze Unterredung mit dem Pfarrer gehabt.

„Herr Pfarrer,“ hatte er begonnen, „ich bin hier als Abgesandter der Gemeinde, um Ihnen den Beschluß zu verkünden, den sie gefaßt hat. Der Tag der Freiheit ist für die Völker angebrochen. Der Unterschied zwischen Hammer und Amboß soll und muß aufhören. Auch der Bauer soll nicht mehr der Leibeigene des Edelmanns sein, die Gemeinde nicht mehr die willenlose Heerde des Geistlichen. Zwischen der Schloßherrschaft und uns haben wir jedes Band zerrissen. Von dem Pfarrer wollen wir uns nicht sofort lossagen, denn die Abfindung mit der Kirche läßt sich nicht so schnell bewerkstelligen. Sie sollen noch bei uns bleiben, Herr Pfarrer. Aber nicht als unser geistlicher Herr. Unser Pfarrer soll nur der Diener an der Kirche sein, die uns, der Gemeinde, gehört. So haben wir Sie heute gewählt und in Ihrer Stellung bestätigt. Und ich bin an Sie abgesandt, Ihnen das zu verkünden und Sie zu fragen, ob Sie die Wahl annehmen wollen.“

Georg Hausmann schwieg oder machte eine Pause, die Erwiderung des Pfarrers abzuwarten. Dieser hatte ihn mit Ruhe angehört.

„Seid Ihr zu Ende, Georg Hausmann?“ fragte er jetzt ebenso ruhig.

„Ich bin zu Ende.“

„Haben Eure Bauern Euch keinen Auftrag für den Fall gegeben, daß ich ihre Forderungen zurückweise?“

„Ja, Herr Pfarrer.“

„Und er lautet?“

„Er lautet dahin, daß Sie durch die Zurückweisung selbst Ihre Entlassung nehmen und daß Sie noch heute die Pfarre zu verlassen hätten.“

Der würdige Pfarrer bedurfte keines Augenblicks des Nachsinnens über die Antwort auf diese Drohung.

„Georg Hausmann, kehrt zu Euern Bauern zurück und sagt ihnen Folgendes: Auf ihre Forderungen einzugehen, verbietet mir mein Amt und mein Gewissen. Mein Amt ist mir aufgetragen von der gesetzlichen, verfassungsmäßigen Obrigkeit des Landes; nur diese kann es nach Recht und Verfassung mir wieder nehmen. So lange das nicht geschehen ist, fordert mein Gewissen von mir, es treu zu verwalten nach den Pflichten, die es mir auferlegt und die ich beschworen habe.“

Und ruhig, wie der Pfarrer gesprochen hatte, erwiderte der Bauernadvocat:

„Ist das Ihr letztes Wort, Herr Pfarrer? Besinnen Sie sich wohl, ehe Sie antworten! Der Beschluß der Gemeinde ist unabänderlich.“

„Ihr habt mein letztes Wort gehört, Georg Hausmann.“

„Besinnen Sie sich noch einmal, Herr Pfarrer! Sie haben treue Freunde in der Gemeinde, die Sie nicht missen möchten. Sie haben aber diese Freunde verloren, wenn Sie bei Ihrem Entschlusse bleiben.“

„Ich bleibe bei ihm.“

Die Ruhe verließ den Bauernadvocaten nicht, denn er war ein geriebener Mensch. Aber der Trotz und die Frechheit seiner gemeinen Natur waren mindestens so groß wie seine unerschütterliche Ruhe.

„Herr Pfarrer, so weichen Sie von hier! Mit dem Untergange der Sonne müssen Sie die Pfarre und das Dorf mit Ihren Kindern und Ihrem Eigenthum verlassen haben. Aber Sie dürfen nur Ihr persönlich erworbenes Eigenthum mit sich nehmen, kein Stück, das zur Pfarre gehört. Wir werden Ihren Abzug überwachen. Und sollte der letzte Strahl der Sonne Sie noch hier antreffen, so, Herr Pfarrer, müßten Sie mit Gewalt aus der Pfarre entfernt werden. Die Macht ist jetzt auf unserer Seite.“

Der Pfarrer wandte ihm schweigend den Rücken.

„Nun?“ fragte ihn Georg Hausmann trotziger.

Auch diesmal keine Antwort.

„Auf Wiedersehen also!“ rief der Bauernadvocat. „Und, Herr Pfarrer, wenn Sie ein glückliches Paar sehen wollen, gehen Sie in Ihren Garten! In der Laube von Jasmin werden Sie Ihre schöne Tochter mit dem Herrn Emil Brunn finden.“

Hausmann entfernte sich mit einem höhnischen Lachen.

Seine letzten Worte waren ein Donnerschlag für den Pfarrer. Er mußte unter Aufbietung seiner ganzen Willenskraft sich sammeln. Dann begab er sich in den Garten, seine Tochter aufzusuchen. Mit widerstreitenden Gefühlen war er ihr entgegengetreten. Sie hatte Schmach gehäuft auf ihr eigenes, auf sein Haupt und das Gemüth der Mutter mit dem bittersten Schmerze erfüllt, mit einem Schmerze, welcher dieser den Todesstoß gegeben. Sie hatte, verstoßen von der Familie, deren Gastfreundschaft sie so schnöde mißbraucht, die Stadt verlassen und in das elterliche Haus zurückkehren müssen, beladen mit Schuld und Schmach. Die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_072.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)