Seite:Die Gartenlaube (1878) 069.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

wurde einerseits als ein Nachspiel des Schleswiger Feldzuges betrachtet, andererseits konnte es als ein Vorspiel für das kommende Jahr gelten. Denn kaum hatte die Frühlingssonne des Jahres 1866 wärmere Strahlen auf unsere Mutter Erde gesandt, da zogen auch schon wieder schwere Gewitterwolken am politischen Himmel sich zusammen. Es war jene sorgenschwere bange Zeit, in welcher Preußen fast isolirt den Kampf gegen die sich vereinigenden Bruderstämme aufnahm. In der alten Festung Minden rüstete man sich auf’s Neue zum Ausmarsch.

Das fünfzehnte Regiment und mit ihm Milo’s Compagnie sollten die baierische Grenze besetzen. Jetzt entstand kein Zweifel – der bewährte Combattant durfte mitziehen. In aller Hast ging’s per Dampf dem Süden zu. In Hannover hatte man wegen Stockung der Militärzüge einen kurzen Aufenthalt, und als die Compagnie spät am Abend eine gute Strecke über die ehemalige Hauptstadt des blinden Königs hinaus war und sich anschickte, die Quartiere für die Nacht zu beziehen, da wurde der Hund vermißt. Milo war weg und blieb trotz aller Nachfrage verschwunden. Einige Leute entsannen sich, daß er auf dem Bahnhofe in Hannover einer kleinen Freundin nachgelaufen war. Diese mußte zur Verführerin unseres Milo geworden sein. In der Hast des Einsteigens war er deswegen nicht vermißt worden, weil Jeder der Leute glaubte, Milo befinde sich in einem andern Coupé.

„Wir müssen unter allen Umständen unsern Milo wieder haben,“ rief der Hauptmann erregt, noch ehe er die Quartierbillets vertheilen ließ. „Unterofficier Schulze, Sie besteigen sofort mit zwei Mann eine Reservemaschine, fahren zurück nach Hannover und kehren nicht eher wieder, bis Sie den Hund gefunden haben.“

Noch ehe am andern Morgen das Signal zum Ausrücken geblasen wurde, befand sich der Wiedergefundene zu Aller Freude wieder bei der Compagnie.

Die kriegerische Situation wurde ernster und immer ernster; schon war die baierische Grenze überschritten, und mit voller Musik rückte das fünfzehnte Regiment gen Kissingen vor. Voran die erste Compagnie und auf ihrem rechten Flügel der treue Compagniehund. An dem Ufer eines Wassers tummelten sich spielend einige Bauernkinder. Erschrocken über den ungewohnten Anblick der in der Sonne blitzenden Helme und Gewehre, liefen die Kleinen schreiend durch einander. Ein kleines Mädchen hatte dabei das Unglück, zu fallen und rollte das ziemlich steile Ufer hinab in das Wasser. Der Commandeur warf seinen Schimmel schnell herum, rief dem Milo einige verständnisvolle Worte zu, und noch ehe derselbe geendet, war das treue Thier mit wenigen kräftigen Sprüngen am Orte der Gefahr. Geschickt faßte er die sich aufblähenden Röckchen des versinkenden Kindes und erreichte in wenigen Secunden, den Körper vor sich herschiebend, schwimmend das Ufer. Die händeringende Mutter, die mittlerweile herbeigeeilt, war noch Zeuge von Milo’s rettender That. Zur allgemeinen Freude war das Kind mit dem bloßen Schrecken davongekommen. Milo aber befand sich im andern Augenblicke wieder an seinem gewohnten Platze bei den ohne Aufenthalt weiter marschirenden Truppen. Er schüttelte den nassen Körper ab und richtete die klugen Augen mit einem gewissen Ernst auf diejenigen, welche ihm schmeichelnde Worte zuriefen, als wollte er ihnen sagen: Ich habe nichts als meine Pflicht gethan.

Einige Tage später folgte das Gefecht bei Kissingen. Die blauen Bohnen pfiffen um die Köpfe der Fünfzehner, und Milo, als hätte er den Soldaten die bekannte Bewegung abgesehen, duckte sich jedes Mal mit ihnen, wenn das gefürchtete Geräusch ertönte. Schon mancher der Braven lag dahingestreckt und netzte den grünen Wiesengrund mit seinem Blute, als auch unsern Milo das Geschick ereilte. Eine feindliche Gewehrkugel durchbohrte ihm den oberen Theil der Schnauze, mit der er noch vor einigen Tagen ein junges Menschenleben aus dem todbringenden Wasser getragen. Laut heulend und sich windend vor Schmerz, brach das Thier an der Seite eines ebenfalls verwundeten Unterofficiers seiner Compagnie zusammen. In solchen Moment ist Jeder mit sich selbst beschäftigt. Nicht achtend des Jammers und der Schmerzen der gefallenen Cameraden, denkt er im Kampfgewühl so lange nur an das eigene Ich, bis auch ihn vielleicht ein gleiches Schicksal erreicht. Der neben Milo liegende Verwundete wurde durch dessen fortgesetztes klägliches Gewinsel nach und nach aus seiner Ohnmacht aufgeweckt. Ferner schon tönte das Knattern des Kleingewehrfeuers, aber noch immer schlugen die Kugeln hin und wieder rechts und links neben den Daliegenden ein. Seiner eigenen Schmerzen nicht achtend, öffnete der Unterofficier mit schnellem Entschluß seine Kleider, riß ein Stück Leinen aus seinem Hemd und legte, so gut es eben ging, dem treuen Thiere einen Verband um das blutende Maul; an seine eigene Wunde hatte er dabei noch nicht gedacht. Erst spät am Abend erschien das Sanitätscorps, um auch hier seine traurige Aufgabe zu erfüllen. Der Unterofficier erbat sich vom Arzte, welcher Beide verband, die Erlaubniß, seinen Milo mit in das Lazareth nehmen zu dürfen. Selbstverständlich wurde dieser Wunsch gewährt, und sechs Wochen lagen die Beiden als gute Cameraden neben einander gebettet.

Die Compagnie kehrte nach beendetem Feldzuge nach Minden zurück. An ihrer Spitze schritt stolz einher der mit einem Eichenlaubkranz geschmückte Compagniehund. So stolz, daß er das Gekläff der ihn umringenden Hunde mißachtete und auf das Geheiß der Soldaten, die Kläffer zu vertreiben, fast unwillig ob dieser Zumuthung, stolzen Hauptes weitertrabte. Am andern Morgen erschien Milo zum Appell geschmückt mit den aus Blei gegossenen Feld-Ehrenzeichen, ja man hatte ihm sogar an das lederne Halsband rechts und links einen Gefreitenknopf angenäht. „Die bleiernen Ehrenzeichen will ich mir gefallen lassen, aber die Knöpfe, Leute, das sind wirkliche militärische Abzeichen – die müssen weg,“ befahl der Hauptmann lächelnd. An Stelle deren erhielt Milo ein schönes Halsband mit der Aufschrift: „Milo, 1. Cp. d. 2. Westf. Inf.-Rgmts. Prinz d. Niederlande.“

Bei Uebergabe der Compagnie rief der scheidende Hauptmann dem neuen Compagniechef zu: „Ich übergebe Ihnen auch unsern Milo. In zwei Feldzügen hat er Freud’ und Leid mit uns getheilt, und sollte, was Gott verhüten möge, einmal wieder die Kriegstrompete erschallen, so wird er sich auch das dritte Mal im Felde bewähren.“ Nun, diese Zeit war nicht allzu fern. Schon einige Jahre später wehte die Kriegsluft von den nahen französischen Grenzen über den Rhein nach Westfalen. Die Fünfzehner waren unter den Ersten, welche die französische Grenze überschritten. Der Popanz der Zuaven und Turcos erwies sich nur zu bald als unhaltbar und die Feuerprobe des Lulu als Humbug. Unaufhaltsam marschirten auch die Fünfzehner weiter und weiter in das Herz von Frankreich, und an der Spitze ihrer ersten Compagnie Milo, der treue Compagniehund. Bei allem Kriegsglücke gab es indessen auch Tage, wo man nichts zu beißen und zu brocken hatte. Nach vielen Tagemärschen hatte die Compagnie eines Tages in einem verlassenen Schlosse eine wohlthuende Ruhestätte gefunden. Die Proviantcolonne konnte bei dem allgemeinen Kriegsgewirr schon seit einigen Tagen nicht mehr erreicht werden. Der Schloßcastellan, ein alter, sich taub stellender Franzose, kam der einmarschirenden Compagnie in kriechender Weise entgegen.

Nix manger, messieurs,“ gab er achselzuckend auf die allseitig an ihn gerichtete Frage zurück. „Prussiens, Prussiens, nix manger,“ wiederholte der alte Sünder mit einer Leichenbittermiene.

„Ach was, nix manscheh – die Ausreden kennen wir; komm’, Milo! Wir wollen einmal das Franzosennest durchsuchen.“ Und nun ging’s vom Boden bis zum Keller, Milo immer vorauf, angefeuert durch den Zuruf der Soldaten: „Such’, such’, Milo! Hier giebt’s was zu essen.“ Der Alte hatte seine Vorräthe gut verwahrt. Milo indessen, unverdrossen spürend, führte seine Begleiter immer tiefer in die endlos scheinenden Kellerräume des Schlosses. Jetzt schien das Ende erreicht zu sein. Eine weiß übertünchte Mauer schloß den letzten Raum ab. „Komm’, Milo! Es ist vergebens, die Franzosen haben Alles weggeschleppt.“ Der Hund aber war von dieser Wand nicht wegzubringen. Er kratzte winselnd an derselben herum, als wollte er sie mit seinen scharfen Krallen aufreißen. Es mußte Etwas dahinter stecken. Schnell war ein Feldbeil herbeigeholt und das provisorische Hinderniß mit wenigen Schlägen beseitigt. Den erstaunten Soldaten that sich nun ein weiter Raum auf, wohlgefüllt mit allerlei Raritäten. Das war ein Jubel. Milo erhielt zum Lohne das erste Paar Mettwürste, deren eine lange Reihe in militärischer Ordnung an einer besonderen Vorrichtung hingen. Der Burgunder perlte in den feingeschliffenen französischen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_069.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)