Seite:Die Gartenlaube (1877) 809.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


noch fort, und namentlich sind es die Hindus, welche in dem Ebenmaß und der Niedlichkeit der Hände ihr größtes Ideal sehen. „Die Hände der Hindus,“ sagt ein berühmter Orientreisender, „sind zart gebaut und gleichen einer feinen Weiberhand, daher auch die Griffe der indischen Säbel für die meisten europäischen Fäuste zu klein sind.“

Bei den schönheitliebenden und hochgebildeten Griechen wurden solche Hände für vollkommen gehalten, die mäßig voll waren und bei denen sich über den Knöcheln der Finger kaum merklich gesenkte Grübchen, die mehr wie sanfte Beschattungen bemerkbar waren, vorfanden. Die Finger mußten lang und zart sein und sich unvermerkt abrunden. Die Römer kamen zu diesem Geschmacke mit den Griechen überein und theilten der Minerva die schönste Hand, der jugendlichsten aller schönen Göttinnen aber, der Diana, die schönsten Finger zu. Auch unsere Vorfahren stellten dieselben Forderungen an die Hand. Sie fanden das Ideal derselben in der Weiße und Weichheit der Haut, in der Kleinheit und der länglichen, schmalen Form, sowie in langen geraden Fingern mit glänzenden, glühenden, gerötheten Nägeln. So sagt Peter Suchenwirt von der schönen Frau Abenteuer:

“Sie war geboren von reiner Art,
Ihr Händel weiß, ihr Fingerl lang.“

Die französischen, englischen und deutschen Damen ließen es sich sehr angelegen sein, auf die Erhaltung schöner Hände vorzügliche Sorgfalt zu verwenden, wofür auch die dichterischen Ausdrücke „die feinen subtilen Händlein“, „die Händlein schmal und dazu blank“ etc. sprechen.

Auf den ganzen Culturgang, auf das geistige Leben der einzelnen Völker des Alterthums hat die Hand nicht unwesentlichen Einfluß ausgeübt. Es ist eine alte Erfahrung, die wir in unserer Zeit noch täglich zu machen Gelegenheit haben, daß Leute aus dem Volke gern an den Fingern abzählen und daß Fremde, welche der Sprache eines Volkes nicht mächtig sind, sich durch Fingerzeichen verständlich zu machen suchen. Dasselbe war der Fall schon bei den Völkern des Alterthums, welche noch auf einer niederen Culturstufe standen. Sie verließen sich in schwierigen Fällen des Lebens auf ihre Hand und diese erhielt dadurch für sie eine um so höhere Bedeutung. Auch unser ganzes Zahlensystem beruht auf den zehn Fingern. Endlich sehen wir im öffentlichen Leben der Völker der alten Welt, in ihren Rechts- und Religionsbüchern, sehr oft die Fünf- und Zehnzahl angewendet.

Nach der Hand bildeten sogar die praktischen Römer die Gestalt einer Ziffer; denn indem sie die Zahlen eins bis vier mit ebenso vielen senkrechten Strichen bezeichneten, gingen sie bei fünf von diesem Gebrauche ab und gaben dieser Zahl das Bild einer bei gespreiztem Daumen ausgestreckten Hand, woraus V (etruskisch Ʌ) entstand. Zehn wurde nun die Verdoppelung davon, daher: X. Selbst die Buchstaben, deren das altrömische Alphabet ursprünglich nur zwanzig hatte, lassen sich in zwei Zehente und vier Gefünfte, die der Fingerzahl angepaßt sind, zerlegen.

Die außerordentliche Bedeutsamkeit der Hand für das menschliche Leben brachte es aber auch mit sich, daß der Unverstand mit ihrer Hülfe Uebermenschliches zu erreichen strebte. Der Aberwitz des Menschen, die Gewinnsucht, welche auf die Leichtgläubigkeit des Volkes speculirt, ließen es sich nämlich angelegen sein, aus den geheimnißvollen Linien der inneren Handfläche die Zukunft und die Charaktereigenthümlichkeiten eines Menschen zu enthüllen. Die Hand ward so zu dem heiligen Buche der Chiromantiker oder Handwahrsager. Diese Hexenmeister genossen namentlich bei den abergläubische Römern großes Ansehen und trieben ihr Wesen in der schamlosesten Weise. Es war nun nicht mehr die freie, erhabene Stirn allein, von der sie die Schicksale der Menschen ablasen, in der Weise etwa, wie Goethe in seinem „Faust“ Gretchen von Mephistopheles urtheilen läßt: „Es steht ihm an der Stirn geschrieben, daß er mag keine Seele lieben,“ sondern sie entzifferten hinfort auch die geheimnißvollen Hieroglyphenlinien der Handfläche und deducirten daraus den gläubigen Sterblichen zukünftiges Glück oder Unglück. Die römischen Frauen und zwar vorzugsweise die Unbemittelteren waren es, welche den Offenbarungen der Chiromantiker ihr Ohr liehen und dieselben fleißig aufsuchten. Der römische Dichter Juvenal sagt darüber in einer Satire, in welcher er die verschiedenen Gaukler und abergläubischen Anstalten bei den römischen Frauen malerisch beschreibt: „Der reicheren Frau giebt der phrygische Augur und der hetruskische Blitzkundige Aufschluß über die Zukunft; ist sie unbemittelt, so wird sie in den Circus eilen, das Loos ziehen und aus Stirn und Hand sich ihr Schicksal verkünden lassen. “–

Die späteren Chiromantiker des Mittelalters sammelten ihr Material größtenteils aus den alten Physiognomikern Melampus, Polemo und Adamantius und bauten darauf ihre Systeme der Wahr- und Weissagekunst aus den Linien der Hand. Danach wurden alle die Linien, welche verschiedene Namen führen, nach ihrer Länge, Kürze oder Dicke, ihrer Tiefe oder Flachheit, nach ihrem mehr oder weniger blassen Ansehen, nach den Figuren, die sie bilden, beurtheilt. Die in der Hand verzeichneten Linien galten daher als das eigentliche Schicksalsbuch der Menschen, welches der Chiromantiker mit seiner Weisheit zu entziffern versteht.

Es kann nicht unsere Aufgabe sein, die Hand an diesem Orte einer anatomischen Zergliederung zu unterwerfen, aber es sei darauf hingewiesen, daß aus dem ganzen organischen Gefüge derselbe die größte Zweckmäßigkeit für alle nur möglichen Verrichtungen hervorgeht. Die geringfügigste Thätigkeit der Hand, das kleinste Zeichen mit dem Finger läßt eine große Menge von Muskeln in Wirksamkeit, ebenso viele aber wieder außer Wirksamkeit treten. Die einen spannen an, die andern erschlaffen, immer aber werden sie mit der größten Sicherheit und Genauigkeit geleitet, und geradezu bewundernswürdig ist die Thätigkeit der kleineren Muskeln in der Handfläche und zwischen den Knochen der Mittelhand, welche an die nahen Enden der Fingerknochen angefügt sind. Mit diesem feinen Muskelapparate erhalten die Finger eine erstaunliche Beweglichkeit, die auch in Bezug auf Zartheit und Feinheit in der Ausführung der verschiedensten Handlungen nichts zu wünschen übrig läßt. Es sind dies vorzugsweise die Organe, denen die Musiker ihre Fertigkeit im Spielen musikalischer Instrumente zu danken haben. Deshalb werden auch diese kleinen Muskeln von den Anatomen Fidicinales (diejenigen, welche die Saiten spielen) oder Geigenmuskeln genannt. Die Hand würde aber ihre Verrichtungen in dem ihr angewiesenen großen Umfange nicht mit so gewaltiger Kraft und Sicherheit auszuführen vermögen, das Gefüge der Knochen, Bänder, Muskeln, Gefäße und Nerven würde den Einflüssen äußerer Gewalt bald unterliegen, wenn die Handflächen, die inneren Seiten der Finger und deren Spitzen nicht durch fleischige Kissen, durch nachgiebige, starke Wülste, die zugleich die Apparate zur Ausübung des Tastsinnes sind, vor Gefahren geschützt würden. Diese Kissen bilden in der Hohlhand mit Hülfe eines quer über die Hand gehenden, kräftig wirkenden Muskels nicht nur eine natürliche Vorrichtung zum Wasserschöpfen, den Becher des Diogenes, sondern an den Enden der Finger auch die vorzüglichste Einrichtung zum Tasten. Mittelst dieser prallen, elastischen Wulst des Fingers ist der Mensch befähigt, bewundernswürdig fein zu fühlen. Mit ihm fühlt der Arzt den Arterienpuls. Kein anderes Organ ist dazu so vollkommen geeignet, wie der Finger, und selbst die feinfühlige Zunge vermag wegen der Weichheit ihres Gefüges den Pulsschlag im Handgelenk nicht zu erfassen.

Gleichsam als zweite Hand oder mindestens als Gehülfe der größeren kann der Daumen angesehen werden. Denn vermöge einer Anhäufung von Muskeln, welche den Ballen des Daumens bilden, erhält dieser selbst nicht nur eine außerordentliche Kraft, die ziemlich der von allen Fingern gleichkommt, sondern auch eine große Beweglichkeit nach allen Seiten hin. Deshalb hieß auch bei den Römern der Daumen Pollex, das heißt der starke, der kräftige Finger. Der Verlust des Daumens würde sonach ziemlich dem der ganzen Hand gleichkommen; ohne die thätige Mitwirkung des Daumens wäre die Kraft der übrigen Finger geschwächt und fast nutzlos. Der lange, kräftige, nach allen Seiten hin bewegliche Daumen muß entschieden als das charakteristische Merkmal der menschlichen Hand betrachtet werden; denn selbst die menschenähnlichsten Affen, wie der Gorilla und Chimpanse, haben keine Spur von jenem mächtigen, kraftvollen Daumenmuskel, wie er beim Menschen vorkommt; er ist bei ihnen nur in verkümmerter Form, als ein dünner, sehnenartiger Faden vorhanden.

Die elastischen, dem Tastsinne dienende Kissen an den

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 809. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_809.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)