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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Wille ist“, eine bessere Westgrenze erobern. Der Chef kommt wiederholt auf die Sachsen, besonders die „kleinen Schwarzen“, und darauf zurück, daß sie sich „am 18. sehr brav geschlagen. In Deutschland sollte man das erfahren, aber sie selbst sprechen in ihren Blättern höchst bescheiden davon.“

Als ich hier zum ersten Male zum Minister gerufen werde, um einen Auftrag zu erhalten, sehe ich, daß er kaum besser untergebracht ist als wir. Er hat die Nacht auf einfacher Matratze am Fußboden geschlafen, seinen Revolver neben sich. Er arbeitet an einem Tischchen, auf dem kaum beide Ellbogen ruhen, in der Ecke neben der Thür. Die Stube ist auf’s Nothdürftigste ausgestattet; von Sopha, Lehnsessel u. dgl. ist nicht die Rede. Der, welcher seit Jahren die Weltgeschichte macht, in dessen Kopfe ihre Ströme sich concentriren, um, nach seinen Plänen verwandelt, wieder daraus hervorzugehen, hat kaum, wo er sein Haupt hinlege, während stupide Hofschranzen in bequemen Himmelbetten vom Nichtsthun ausruhen.


Bismarck's Wohnung in Rezonville nach der Schlacht bei Gravelotte.
Nach der Natur aufgenommen.


Ich überspringe wieder allerhand Bedeutsames, um möglichst rasch zum nächsten Culminationspunkte meiner Erinnerungen zu kommen. Sonntag, den 28., große Nachricht. Wir ändern mit der ganzen Armee, soweit sie nicht um Metz bleibt, die Marschrichtung und gehen, statt nach Westen auf Chalons zu, nach Norden am Fuße der Argonnen hin, nach dem Ardenner Walde und der Maasgegend. Am 29. früh zehn Uhr brechen wir auf. Das anfangs regnerische Wetter bessert sich. Wir passiren verschiedene Dörfer und zuweilen ein hübsches Schloß mit Park. An der Straße baierische Lager, Linieninfanterie, Jäger, Chevauxlegers, Kürassiere. Wir fahren durch das Städtchen Varennes und an dem kleinen, zwei Fenster breiten Hause vorüber, vor dem Ludwig der Sechszehnte auf seiner Flucht vom Postmeister von St. Menehould verhaftet wurde und in dem sich jetzt das Sensenlager der Firma Nicot-Jacquesson befindet. Dann weiter durch andere Dörfer, an andern Lagern, an preußischer Artillerie vorüber nach Grand Pré, wo der Minister auf der Grande Rue rechts, zwei oder drei Häuser vom Markte, Quartier nimmt. Der König wohnt in der nicht weit davon entfernten Apotheke, links vom Wege nach dem düstern alten Schlosse über dem Städtchen. Die zweite Staffel des großen Hauptquartiers, bei der sich der Prinz Karl, der Prinz Luitpold von Baiern, der Großherzog von Weimar und der junge Erbgroßherzog von Mecklenburg befinden, ist in dem nahen Dorfe Juvin untergebracht. Auf dem Markte einige französische Gefangene. Abends kommen noch etliche hinzu. Der Chef speist beim Könige. Erfahre, daß die Bewegung nach Norden dem Marschall Mac Mahon gilt, der mit einer starken Truppenmacht hier oben nach Metz hinzieht, und daß man für morgen einen Zusammenstoß mit ihm erwartet.

Als ich am nächsten Morgen hörte, daß König und Kanzler gleichzeitig wegfahren wollten, um dem großen Kesseltreiben nach dieser zweiten französischen Armee beizuwohnen, faßte ich mir, eingedenk der Worte, die letzterer nach seiner Rückkunft von Rezonville zu mir gesprochen, und des ein andermal von ihm citirten Spruches: „Wer sich grün macht, den fressen die Ziegen“, ein Herz und bat ihn, als der Wagen vorgefahren, mich mitzunehmen. Er entgegnete: „Ja, wenn wir nun aber die Nacht draußen bleiben, was soll da aus Ihnen werden?“ Ich erwiderte: „Einerlei, Excellenz; ich werde mir dann schon zu helfen wissen.“ – „Nun, dann gehen Sie mit!“, sagte er lächelnd. “Er that dann noch einen Gang nach dem Markte, während dessen ich vergnügt Reisetasche, Regenmantel und Tagebuch holte, und als er wiederkam und einstieg, setzte ich mich an seine Seite. Glück muß man haben, und seine Schuldigkeit muß man thun, daß man welches hat.

Es war kurz nach neun Uhr, als wir abfuhren. Zuerst ein Stück auf der Straße zurück, die wir Tags vorher gekommen waren, dann links durch Weinberge hinauf und über mehrere Dörfer in hügeliger Gegend, wo allenthalben marschirende oder ausruhende Truppencolonnen und Geschützparks vor uns und rechts im Thale zu sehen waren, nach dem Städtchen Busancy, wo wir um elf Uhr ankamen und auf dem Marktplatze Halt machten, um den König zu erwarten.

Unterwegs war der Graf sehr mittheilsam. Er befürchtete unter Anderm, daß es heute zu nichts kommen werde, was preußische Artillerieofficiere, die hart vor Busancy über’m Straßengraben bei ihren Kanonen standen, von ihm darauf angeredet, mit betrübter Miene auch meinten. „Das geht, wie mir’s zuweilen auf Wolfsjagden in den Ardennen, die hier beginnen, auch ging,“ sagte er. „Da waren wir halbe Tage hoch oben im Schnee und hörten, daß man die Fährte eines Wolfes gespürt hatte. Aber wenn wir dann nachfolgten, war er entwischt. So wird’s heute mit den Franzosen auch sein.“

Später, nach mancherlei Anderem, erzählte er seine Erlebnisse am Abend des 18. noch einmal. Sie hatten die Pferde eben zu Wasser geschickt und standen in der Dämmerung bei einer Batterie, welche feuerte. Die Franzosen schwiegen, „aber während wir dachten, ihre Geschütze wären demontirt, concentrirten sie nur ihre Kanonen und Mitrailleusen seit einer Stunde zu einem letzten großen Vorstoße. Plötzlich fingen sie ein ganz fürchterliches Feuern an, mit Granaten und ähnlichen Geschossen – ein unaufhörliches Krachen und Rollen, Sausen und Heulen in der Luft. Wir wurden vom Könige, den Roon zurückschickte, abgeklemmt. Ich blieb bei der Batterie und dachte, wenn wir zurückgehen müssen, setzest du dich auf den nächsten Protzkasten. Wir erwarteten nun, daß französische Infanterie den Vorstoß unterstützen würde, und da hätten sie mich gefangen nehmen können, wenn ich auch ein rollendes Revolverfeuer auf sie unterhalten hätte. – Endlich kamen die Pferde wieder, und nun machte ich mich fort. Aber wir waren aus dem Regen in die Traufe gerathen. An der Stelle, wo wir hinritten, schlugen gerade die Granaten ein, die vorher über uns weggeflogen waren. Am andern Morgen sahen wir die Schweinskuhlen, die sie gewühlt hatten.

So mußte denn der König noch weiter zurück, was ich ihm sagte, nachdem die Officiere mir das vorgestellt hatten. Es war nun Nacht. Der König äußerte, daß er Hunger habe und was essen möchte. Da gab es aber wohl zu trinken, Wein und schlechten Rum von einem Marketender, aber nichts zu beißen als trocken Brod. Endlich trieben sie im Dorfe ein paar Coteletten auf, gerade genug für den König, aber nichts für seine Umgebung, und so mußte ich mich nach etwas Anderem umsehen. Majestät wollte im Wagen schlafen, zwischen todten Pferden und Schwerverwundeten. Er fand später ein Unterkommen in einer Schenke. – – Der Bundeskanzler,“ fuhr der Graf fort, „mußte sich wo anders unter Dach zu bringen suchen. Wir ließen den Erben eines der mächtigsten deutschen Potentaten (der Erbgroßherzog

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 777. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_777.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)