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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Rauch umhüllt, bis zum hellsten Goldschein Saal und Hof durchleuchtete.

Mit den Dienern zugleich aber war eiligen Schrittes Ravestein eingetreten und hatte Cleve über die Schulter zugeflüstert: „Wichtige Neuigkeit, Herr Herzog! Prinz Maximilian ist gefangen. Sie bringen ihn.“

„Gefangen? Er?“ jubelte der Herzog auf. „Zweifaches Glück – denn wisset: ich bin Regent.“

„Ich hörte es noch auf dem Schloßplatze durch die Jubelrufe des Volkes und gratulire.“

„Habt Ihr den Erzherzog gesehen?“

„Nein. Das Gedränge der Tausende, die auf den Plätzen des Signals zum Schmause harren, ist zu groß, als daß man ohne Escorte sich Bahn brechen könnte. Ein Hauptmann meldete mir, man führe den Gefangenen in's Schloß.“

„Hierher? In's Schloß? Das ist gegen meinen Wunsch. Und die Herzogin? ... Mein Gott, Dämmerung ist angebrochen – und mein Sohn noch nicht mit ihr zurück?“

„Zum Glück, Herzog! Denn ... ihren früheren Verlobten dürfte sie doch wohl nicht wiedersehen.“

„Ganz recht, Kanzler, ganz recht! Aber auch ich darf ihn nicht sehen. Alles muß vom Volke gegen ihn ausgegangen scheinen.“

Ravestein horchte auf.

„Höret den Lärm am Portale! Bei Gott, man bringt ihn schon.“

„Dann ist keine Minute zu verlieren – wartet!“

Und wieder vor seinen Sessel tretend, hob der Herzog in der blendenden Lichthelle seine Rechte empor.

„Stille!“ gebot der mächtige Baß Nikol's. Tiefes Schweigen trat ein, aber auf dem Schloßhofe begann es zu wogen, wie wenn sich vom Portal her eine dunkle Masse über Tische und Bänke heranwälze.

„Eine glückliche Nachricht!“ nahm Cleve das Wort. „Man bringt soeben einen hohen Gefangenen ein, einen Prinzen, von welchem Niederland große Gefahr droht. Wohl könnte ich als Regent selbst über ihn beschließen, aber gern beweise ich schon bei diesem ersten Anlaß, daß ich die Vertreter des Staates als die Seele, mich nur als ihren Arm betrachte. Und so lasse ich denn jetzt den hohen Gefangenen für die Staatenkammer in Verwahrung nehmen; sie beschließe –“

„Wer ist es? Wer ist es?“ unterbrachen ihn Rufe von allen Seiten. Aber schon kam das Getöse näher; schon hörte man kaum noch sein eigenes Wort.

„Die Herzogin kehrt zurück. Ich muß ihr entgegen. Das Weitere nachher!“

Trotz seiner mächtigen Stimme konnte Cleve kaum diese Worte noch zur Geltung bringen. Dann wandte er sich an Verno.

„Eilet! Lasset den Prinzen nicht in die Halle! Nehmet ihn draußen in ritterlichen Gewahrsam, nicht in meinem Namen, im Namen der Stadt! Fraget er nach mir, so sagt: ich sei nicht zugegen, sei abgehalten durch den Empfang der Herzogin und ihres Bräutigams, meines Sohnes! Kommt, Ravestein, begleitet mich!“

Und hastig verließ er durch die Thür die Halle. Verno aber eilte durch den Säulengang dem Getöse entgegen.

„Platz da! Platz da!“ rief eben, schon dicht vor der Halle, ein Cleve'scher Hauptmann und bahnte durch die gaffende Rotte Nikol's eine Gasse, während ein Zug Hellebardiere hinter ihm einen Gefangenen umgab. Von rückwärts aber wogte, Tische und Stühle überfluthend, oder auf ebener Erde nachdrängend und schiebend, eine endlose Menge Volkes, zumeist aus der Arbeiterclasse, die, des Schmauses harrend, sich auf dem Schloßplatze neugierig dem Zuge angeschlossen hatte.

„Der Prinz von Deutschland! Der Prinz von Deutschland!“ rief es von allen Seiten und vergebens bemühten sich die auf den Tischen Stehenden, des merkwürdigen, durch die Hellebardiere verdeckten Gefangenen ansichtig zu werden.

Verno nahm schnell den Hauptmann bei Seite, wechselte einige Worte mit ihm, trat in den Zug, der sich vor ihm öffnete, und redete achtungsvoll den Gefangenen an.

„Prinz,“ sagte er, „im Namen der Stadt habe ich Eure Gnaden in ritterlichen Gewahrsam zu nehmen. Wollet mit mir umkehren!“

„Umkehren? Ich? Und Eure Gnaden?“ antwortete dieser mit einem wunderbaren Arbeiten seiner Nasenflügel. „Im Leben nicht! Wer hat Euch Macht über mich gegeben? Sind die Cleve'schen Kaiser oder Könige, daß sie zum Prinzen machen können, wen sie wollen? Sehet mich an! Ich bin Jan der Fiedler, der lustige Fiedler aus Geldern! He, ihr Genter, erkennt ihr mich nicht?“ Und dabei sprang er mit einem Bockssprunge in die Höhe und rückte seinen langen Hals, um beim grellen Scheine der Pechfackeln sein Gesicht erkennen zu lassen.

Ein plötzlicher Ausruf des Erstaunens von einzelnen Stimmen der Arbeiter erscholl.

„Jan, der Fiedler!“ „Bei Gott, der lustige Fiedler!“ „Der Fiedler ein Prinz!“ so schrie es bald durch- und übereinander, von unmäßigem Gelächter begleitet, das sich wellenweise, in Absätzen, je nach Weitererzählung der wunderbaren Begebenheit, über den Hof, den Schloßplatz, ja durch die ganze Stadt fortsetzte, um sich erst an den geschlossenen Thüren zu brechen.

„Ist es möglich?“ wandte sich Verno in peinlicher Verlegenheit an den Hauptmann zurück. „Wie konntet Ihr Euch also täuschen lassen?“

„Er sei vermummt gewesen, wurde mir gemeldet, habe sich versteckt und geschworen, sich nur dem Herzoge ergeben zu können,“ stotterte verwirrt der Hauptmann.

„Ich wäre vermummt gewesen?“ schrie vorspringend Jan, dem kein Wort entgangen war. „Lügen! Lügen! Ein Spaßvogel hatte mir einen Bart angehängt und mir einen garstigen Klecks auf die Nase gesetzt – das ist Alles, und das ist wahr und bei Gott nicht gelogen. Aber protestirt hab' ich, daß ich ein Prinz sei, und wenn ich durchaus einer sein solle, wollte ich zum Herzoge geführt werden. ... Ich bin ein freier Bürger der Staaten. Ausländische haben mich wider das Gesetz in Haft genommen. Der Herzog selber darf es nicht dulden. Helft mir, ihr Bürger!“

Und in zwei Sätzen war er in die Halle gesprungen, mit den Augen vergebens nach dem Herzoge suchend.

„Greift ihn!“ befahl wüthend der Hauptmann. Einige Hellebardiere eilten ihm nach, aber auch eine große Zahl Arbeiter hatte sich inzwischen durch Nikol's Rotte bis zu dem Tische gedrängt, an welchem die Notare, ihre Papiere mit den Händen schützend, saßen. Als dem Fiedler auf seiner Flucht vor den Verfolgern der verlassene zweite Tisch in die Augen fiel, ersah er sich diesen, sprang mit flinkem Satze hinauf, zog seinen Fiedelbogen wie ein Schwert, und in der grellen Beleuchtung mit weithin sichtbarer Grimasse den Bogen schwingend, rief er:

„Wer mich anrührt, ist des Todes.“

Unbändiges Gelächter war die Antwort, und ehe noch die Cleve'schen ihn erreichen konnten, trennte ihn ein Haufe Lachender von denselben.

„Wir spielen eine unwürdige Rolle,“ raunte Verno dem Hauptmanne zu. „Es kann nicht im Sinne des Herzogs liegen, das Volk zu erbittern.“ – Und laut seine Stimme erhebend, rief er: „Lasset ihn! Es war ein Irrthum,“ und verschwand durch die Thür. Der Hauptmann aber zog sich beschämt mit seinen Leuten durch den dunkleren Theil des Laubenganges um den Schloßhof zurück.

Jan hatte gesiegt. Mit gekreuzten Armen stand er da, wie ein Triumphator, und sah ihnen lächelnd nach.

„Ha, da schleichen sie hinweg. In den dunkelsten Gang mit ihren bunten Federn!“ „Lacht sie aus, Bürger, lacht sie aus, die Cleve'schen!“

Jetzt erst ging Nikol ein volles Licht auf.

„Nichts auf die Cleve'schen. Du Lump!“ brüllte er. „Heil dem Herzog von Cleve! Heil dem König von Burgund!“ Und er erhob seine Signalstange.

„Heil, Heil!“ hallte es wieder.

Aber der Fiedler ließ sich nicht einschüchtern.

„So? Den laßt ihr hoch leben?“ spottete er. „Wünsche euch viel Glück mit ihm! Wenn nur die Herrlichkeit lange dauert! Ich bringe da eine verfluchte Neuigkeit. – Wollt ihr sie hören?

„Nichts da!“ schrie Nikol. „Stopft dem Rebellen den Mund!“

Aber Andere waren anderer Meinung.

„Hört ihn! Hört ihn! Her mit Deiner Neuigkeit, Fiedler!“

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 720. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_720.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)