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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


der Pfeiler mit viereckiger Deckplatte ruhte, um sich von dort in kürzeren Bogen zur äußeren Pfeilerreihe des Laubenganges fortzusetzen. Auf den inneren Seiten aber wurde es von gleichen, halb aus der Wand hervorragenden Pfeilern getragen und bildete Rundbogennischen, in welchen sich alle Arten von Jagdtrophäen, wie Bären- und Wolfsfelle, riesige Hirschgeweihe und Büffelhörner wirksam von dem lichtgrauen Grunde abhoben. Von den Knotenpunkten des Kreuzgewölbes hingen künstlich verschlungene Damwildschaufeln nieder, welche auf gekreuzten Eberhauern ampelförmige Lämpchen trugen, und die Ecken der Wände waren mit künstlich geschnitzten Holzgestellen ausgefüllt, aus denen Speere und Jagdgeräthe der verschiedensten Gattung emporstiegen. Rechts und links aber an den schmaleren Seiten des Saales hatte man die Mittelnischen, die eine zu einem staffelförmigen Schenktische mit Krügen und Trinkgefäßen aller Zeiten, die andere durch einen pyramidenförmigen Vorbau von grauem Marmor mit Thierkopfverzierung zu einem riesigen Kamine umgewandelt, der im Laufe der Jahrhunderte schon mancher heimkehrenden Jagdgesellschaft die Füße gewärmt haben mochte.

Zunächst diesem Kamine endlich, und zwar vom Hofe aus jenseits desselben, war eine Thür, die einzige Verbindung des Erdsaals mit den übrigen Räumen des Schlosses, durch welche einstmals die Grafen von Flandern eingetreten waren, wenn sie mit ihrem Jagdgefolge einen frischen Trunk theilen und die Erlebnisse des Tages im fröhlichen Kreise austauschen wollten.

Heute aber erschien unter ihrem Rundbogen um jene späte Nachmittagsstunde, in welcher der Hof schon in Schatten lag, während durch das Portal gegenüber noch sonnige Streifen den Schloßplatz beleuchteten, mit musterndem Blicke aus den wasserblauen Augen der Herzog von Cleve.

Er nickte zufrieden vor sich hin, als er die Halle vollständig ausgeräumt und nur vor dem Schenktische drei Reihen Sessel und rechts und links von dem Kamine zwei Tische mit je vier dem Saale zugewandten, ledergepolsterten Lehnstühlen sah.

„Ist sonst Alles vorgekehrt, Verno?“ fragte er eintretend einen ihm folgenden Rittersmann in mittleren Jahren, der anscheinend sein dienstthuender Begleiter war.

„Alles, gnädiger Herr,“ erwiderte Ritter Verno. „Der Vicepräsident der Staaten, der Bürgermeister und die übrigen Abgeordneten wollen pünktlich um sechs Uhr erscheinen, die Notare desgleichen. Kaum noch eine Viertelstunde ist bis dahin.“

„Gut. Und die Vorrichtungen zum Schmause?“

„Sehet dort, gnädiger Herr!“ Und Verno zeigte auf den Schloßhof, der mit roh gezimmerten Tafeln und Bänken übersäet war. „Auf dem Schloßplatze und auf allen Plätzen der Stadt haben die Zimmerleute Gleiches verrichtet, und Metzger- und Bäckerzünfte beginnen schon alle Vorräthe Gents zusammenzuschleppen.“

„Und Meth und Wein?“

„Die Fuhrwerke der ganzen Stadt sind in Bewegung, um die Fässer aus Schloß- und Stadtkellern und allen verkäuflichen Vorrath an gemeinem Trunke auf die Plätze zu fahren. Es wird kosten, Herr.“

„Bah, die Krone von Burgund und Niederland wird es bezahlen.“

„Die Krone ist in Gefahr, Herr!“ fiel plötzlich eine Stimme hinter ihm ein. Es war der Kanzler Ravestein, der unbemerkt eingetreten war. „Schlechte Nachrichten, Herzog!“ fuhr er fort, als Verno unter den Säulengang getreten war, um jede Störung fern zu halten. „Ein reitender Bote bringt eben Depeschen. Der junge Präsident hat sich noch vor Ablauf des Waffenstillstandes aus Verzweiflung über die Lage, in die er Heer und Land gebracht, das Leben genommen.“

„Ist es nur das?“ athmete Cleve auf. „Ich glaubte wahrlich, Maximilian sei da. ... Der Präsident! ... So, so ... der Präsident! Haha, das kommt davon, wenn der Bürger zu allem Anderen auch noch Feldherr spielen will! Schuster, bleib' bei Deinem Leisten!“

„Der Bote will aber auch im Heimreiten den Himmel hinter sich voll Rauch gesehen haben, als ob die Franzosen schon wieder angefangen hätten zu sengen und zu brennen. Und da die Gesandtschaft seit zwei Stunden bei ihrer Vorhut angelangt sein kann, so ist es nur zu wahrscheinlich, daß sie uns noch diese Nacht Mord und Brand vor die Thore tragen.“

„Laßt sie sengen und brennen! Gent ist bereit, sie zu empfangen, und das Staatenheer bedroht ihnen immer noch Rücken und Flanke.“

„Die Ansicht scheint der Präsident nicht getheilt zu haben, Herzog.“

„Lasset das meine Sache sein, Ravestein, und sorget nur, daß man von alledem in den nächsten Stunden noch nichts erfährt! Die französische Partei könnte Oberwasser bekommen, und ich darf mir um Alles in der Welt nicht Verlöbniß und Regentschaftserklärung stören lassen. Ihr habt Euch doch des Boten versichert?“

„Ich ließ ihn sogleich in strengen Gewahrsam nehmen.“

„Sehr umsichtig, sehr löblich.“

„Und was gedenkt Ihr ferner zu thun?“

„Ihr fraget? Ei, Ravestein, lasset mich die Gewalt haben, und ich rühre noch heute Abend die Trommeln, rufe das Volk zur Vertheidigung der Stadt unter die Waffen und schicke meinen Sohn mit Gepränge zum Heere, um die von allen Seiten aufgebotenen Verstärkungen an sich zu ziehen. – Was aber in der Nacht geschieht ... das ... gebe ich meinem klugen Freunde, dem neubestätigten Kanzler und baldigen 'Ritter des goldenen Vlieses'“ – er betonte lächelnd diese höchste Ehre – „zu rathen auf.“

„Wie sollte ich ahnen? Ihr wollet doch nicht etwa ...?“ fragte, sich dankbar neigend, mit kaum verhehlter Freude der Kanzler.

„Ahnet nur! Ja, ich will. ...“ nickte lachend der Herzog. „Noch heute Nacht schicke ich Euch selbst in das französische Lager, um Ludwig den Frieden anzubieten.“

„Mich selbst?“ rief in schon weit bedenklicherem Tone Ravestein.

„Ich kenne keinen besseren Vermittler,“ lachte sarkastisch der Herzog. „Zu solchen heiklen Sendungen nimmt man nur eine 'persona grata'. O, ich kenne Euch besser, Ravestein, als Ihr vielleicht meinet, aber sorget nicht! Ich theile Eure Politik. Zwischen zwei Nachbarn, von denen der eine schwerfällig und ungefährlich, der andere raublustig und arglistig ist, giebt es für mich keine Wahl. Man muß dem Gefährlichen den Mund stopfen und ihn sich zum guten Freunde machen.“

„O Herzog, Ihr aber habt ihm einen schimpflichen Backenstreich gegeben.“

„Geben lassen, Ravestein. Und das büße, wer's gethan – das Volk! Wir haben ihn gegen dasselbe geschützt. Ludwig mag zürnen, mag mir grollen, daß ich ihm mit meinem Sohne den fetten Bissen weggeschnappt, allein wenn er bedenkt, daß sich sein Heer in der keineswegs beneidenswerthen Lage zwischen einer uneinnehmbaren Stadt mit fünfzigtausend bewaffneten Bürgern und dem verstärkten Staatenheere befindet, so wird er nicht spröde sein, sich mit einem guten Handel abfinden zu lassen. Hochburgund, Artois, Picardie sind ein annehmbarer Brocken, und was liegt mir an einem Fetzen Land mehr?“

„Um Gotteswillen, gnädigster Herr, sehet Euch vor!“ rief erschrocken der Kanzler. „Fremde Federn sind leicht verschenkt, aber das flandrische Volk verträgt nicht Alles. Wie sollte ich solche Sendung überleben? Denket an Hugonet und Imbercourt!“

„Bah, sie waren keine Kriegsleute, waren ohne Truppen, ohne Macht. Lasset mich nur erst Regent sein!“

„Aber auch das seid Ihr noch nicht, Herzog, und glaubet mir, Ihr werdet es nie, so man nur ahnet, was Ihr denkt! Der gebildete Bürgerstand ist Euch schon jetzt minder hold, als der niedere. Wisset Ihr, daß schon Schmähschriften gegen Euch im Umlauf sind?“

„Gedruckte?“ fuhr Cleve auf, als ob ihn eine Tarantel gestochen hätte.

„Gedruckte, Herr!“

„Ha, französisches Gold!“ rief der Herzog, erbittert mit dem Fuße stampfend.

„Ich bin einer anderen Fährte auf der Spur – dem 'Hugh'.“

(Fortsetzung folgt.)



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 704. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_704.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)