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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


an und nahm den Revolver aus der Tasche; dann schritt er wieder vorwärts. Max war ein muthiger Mann, der schon mancher Gefahr tapfer in’s Gesicht geschaut hatte, aber er verhehlte es sich nicht, daß seine Lage in diesem Augenblicke eine sehr bedenkliche war. Einem Feinde Auge in Auge gegenüberstehen, sich mannhaft wehren bei offenem Angriffe, darauf war er jederzeit vorbereitet. Aber hier aus dem Hinterhalte heraus von einer Kugel getroffen werden, vielleicht verwundet und hülflos einer gereizten rachedürstenden Horde in die Hände fallen – dieser Gedanke machte ihn schaudern. Nur die äußerste Wachsamkeit konnte ihn schützen. Langsam, Schritt vor Schritt ging er vorwärts, mit scharfem Blicke das Gebüsche rechts und links vom Wege durchspähend. Aber Nichts regte sich in den Büschen; kein Ton war vernehmbar. So mochte er etwa zehn Minuten gegangen sein, als aus dem Nebel vor ihm ein Gegenstand auftauchte, der sich langsam an der Grabenböschung hin bewegte. Im Näherkommen gewahrte er, daß es ein Pferd war, das friedlich das Gras am Wegrande abfraß.

Jetzt war es unzweifelhaft, daß ein Unglück geschehen war, denn er erkannte einen seiner Braunen, der, des Zaumzeugs ledig, mit nachschleifenden Strängen, die man augenscheinlich zerschnitten hatte, ihn mit leisem Wiehern begrüßte. Das Thier hielt sich dicht an seiner Seite, als er jetzt rascher vorwärts schritt. Es dauerte übrigens nur noch wenige Minuten, bis er erkannte, was geschehen war. Man mußte auf irgend eine Art Kunde erhalten haben von dem, was im Werke war. Man hatte den Wagen überfallen und die Maschinen zertrümmert.




4.

Erst am nächsten Morgen, als die Geschwister sich beim Frühstücke trafen, erzählte Max ausführlicher von den Erlebnissen des letzten Abends, von denen er gestern nur einen kurzen, flüchtigen Bericht gegeben hatte. Beide hatten die Nacht sehr wenig geschlafen. Sie hatten einen Theil derselben am Lager des armen Jantzen zugebracht, den sein Herr besinnungslos neben einem der Wagen hingestreckt gefunden und der erst gegen Morgen unter den Händen des herbeigerufenen Arztes sein Bewußtsein wieder erlangt hatte. Anfangs war er nicht im Stande gewesen, die an ihn gerichteten Fragen über das Geschehene zu beantworten; erst nach und nach hatte sich die Erinnerung bei ihm wieder eingestellt. Und anfangs in wirren Worten, allmählich aber mit größerer Klarheit hatte er einen Bericht gegeben von den Einzelheiten des Ueberfalls. Er hatte ausgesagt, daß er von Männern – er konnte die Zahl derselben nicht genau angeben, schätzte sie aber auf vier oder fünf – welche, um sich unkenntlich zu machen, ihre Gesichter geschwärzt hatten, überfallen und nach kurzem Kampfe besinnungslos niedergestreckt worden sei. Der Führer des zweiten Wagens, den er in Elmsleben gedungen, hatte sich mit seinen Pferden sogleich aus dem Staube gemacht, den Wagen und die Ladung in den Händen der Angreifer zurücklassend.

„Der arme Bursche ist übel zugerichtet,“ sagte Max im Verlaufe seiner Erzählung, „doch giebt der Doctor Hoffnung, ihn in einer oder zwei Wochen wieder auf die Beine zu bringen. Er muß sich wie ein Löwe gewehrt haben, ehe es ihnen gelungen ist, ihn zu Boden zu strecken. Wenigstens legte das Fragment seines schweren Peitschenstiels, das er noch mit krampfhaft festem Griffe gefaßt hielt, als ich ihn fand, Zeugniß von der Wucht der Hiebe ab, die er ausgetheilt. Wer weiß, ob wir nicht durch irgend ein Kennzeichen, das seine Hand den Uebelthätern aufgedrückt, einen Fingerzeig gewinnen werden, wo wir dieselben zu suchen haben.“

„Und wenn Du sie wirklich ausfindig machtest, Deine Maschinen sind doch unrettbar verloren,“ sagte Marie kummervoll. „Und das Böseste ist, daß nach der ersten Gewaltthat jede Sicherheit für uns aufhört. Was einmal geschehen ist, kann und wird sich öfter wiederholen. Wir müssen jetzt auf Alles, auch auf das Aergste, gefaßt sein.

„Nicht, wenn es uns gelingt, die Verbrecher zu ermitteln und dingfest zu machen,“ entgegnete Max. „Das Gesetz ahndet einen derartigen Act brutaler Gewaltthätigkeit mit schwerer Strafe. Wenn ein paar der ärgsten Schreier hart dadurch getroffen werden, so werden die anderen bei Zeiten zu Ruhe, Ordnung und Gesetzlichkeit zurückkehren. Ich werde gleich nach dem Frühstück nach Elmsleben reiten, um Anzeige zu machen und strenge Untersuchung des Geschehenen zu beantragen.“

„Max, laß die Sache ruhen! Durch Dein strenges Vorgehen wirst Du die Gemüther nur noch mehr erbittern.“

„Kannst Du wirklich im Ernste dieses Verlangen an mich stellen, Kind?“ rief er im Tone vorwurfsvollen Erstaunens. „Ich erkenne in Dir kaum mehr meine tapfere, kleine Schwester von ehemals. Hebe den Kopf hoch, Kind! Wir sind in unserem Rechte; Gesetz und Billigkeit sind für uns. Es wäre Schwäche, sich durch widrige Verhältnisse, die sich in Kurzem besser gestalten werden, niederbeugen zu lassen.“

„Ich wünschte, Max, Du könntest die Fabrik verkaufen. Ich sehe hier kein Heil für uns. – O, wenn wir doch zusammen wieder in die Heimath ziehen könnten!“

„Jetzt möchte ich das nicht, selbst wenn ich es ohne Verlust könnte,“ entgegnete er fest. „Ich sollte die Flucht ergreifen, feige das Angefangene im Stiche lassen, weil sich mir Schwierigkeiten in den Weg stellen? Gerade das ist mir der höchste Sporn. Alle meine Kräfte werde ich aufbieten, sie zu überwinden. Du weißt, ich bin eine zähe Natur; wenn jemals, so will ich das jetzt beweisen. Nicht um Fingerbreite gehe ich von meinem Rechte ab; bis zum Aeußersten will ich mich bemühen, daß jede ungesetzliche Handlung unnachsichtig bestraft werde. Sie sollen es schnell genug einsehen, daß sie sich selbst, nicht mich verderben.“

Er hatte seine Mahlzeit beendet und war aufgestanden, als er so sprach. Sie blickte zu ihm auf und gewahrte auf seinem Gesichte den Ausdruck fester Entschlossenheit und selbstbewußter, gesammelter Kraft. Zwar hatten die letzten Wochen Linien der Sorge auf seine ernste, gebietende Stirn gegraben, zwar hatte sein dunkles Haar in letzter Zeit begonnen, an den Schläfen einen leisen silbernen Schimmer anzunehmen, allein fest und ungebeugt stand er da, eine Stütze im Sturm, an welche sie sich – das fühlte sie – mit Zuversicht und Vertrauen lehnen konnte. Auch sie war aufgestanden und an seine Seite getreten. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter und hielt sich mit beiden Händen an seinem Arme fest in einem Gefühle der Schutzbedürftigkeit, das sie noch selten so stark überkommen hatte.

„Wirst Du es überstehen können?“ fragte sie leise. „Jeden Verlust, den Du erleidest, fühle ich mit einer herzbeklemmenden Angst und Pein. Bei jedem neuen Schlage denke ich: nun ist’s zu Ende – das wirft ihn unrettbar zu Boden. Sage mir, Max, ist Dir durch die Zerstörung der Maschinen ein großer Schaden zugefügt worden?“

„Allerdings ist er nicht klein, aber ich werde ihn überstehen,“ antwortete er ruhig. „Mir kommt es zu statten, daß meine beiden Hauptgläubiger ein guter Freund und eine treue Schwester sind. Kayser – Du darfst nicht die Schultern über ihn zucken, wenn er auch zu Zeiten gegen die gefällige, gesellschaftliche Form verstößt – hat mir schon mehr als einmal Beweise seiner großmüthigen, aufrichtigen Freundschaft gegeben. Das berechtigt mich zu der Hoffnung, daß er Geduld üben wird, wenn ich deren bedürfen sollte. Und Du, Marie! Wahrlich ich wäre ein undankbarer Thor, wenn ich pessimistisch in die Welt schauen wollte. Wer eine solche Schwester, so unwandelbare Güte, so goldtreue Liebe sein nennt, wie Du sie mir stets bewiesen, der würde sich einer sündigen Verzagtheit schuldig machen, wenn er nicht an das überwiegend Gute und Schöne im Leben glauben sollte, auch wenn einmal dunkle Wolken sich um ihn zusammenziehen.“

Er hatte mit einer Innigkeit gesprochen, die seinem ruhigen, kühlen Wesen sonst fremd war. Es war selten, daß dergleichen Worte zwischen den Geschwistern gewechselt wurden. Sie wußten, daß sie in jeder Lebenslage auf einander rechnen konnten, aber zärtliche Worte pflegten sie nicht auszutauschen. „Thaten, nicht Worte!“ – lautete Max’ Wahlspruch, und Marie wußte, daß er demselben gemäß handelte.

„Was Du sagst, klingt beruhigend,“ erwiderte sie, „aber dennoch werde ich einer bangen Furcht nicht Herr. Ich kann kaum an Deine ruhige Zuversicht glauben und fürchte, daß Du, um mich zu schonen, mir den Stand der Angelegenheiten verbirgst.“

„Ich wäre leichtsinnig, wenn ich die schwere Verantwortlichkeit meiner Lage nicht mit Sorge empfände, wenn ich auch nur einen Augenblick vergäße, was für uns Alle auf dem Spiele steht,“ entgegnete er. „Glaubst Du, daß es ein Kleines ist, zu

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