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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Im chemischen Wortverstande ist das Glycerin allerdings rein und appetitlich; wer also den Widerstand seiner Zunge und seines Magens durch Vernunftgründe besiegen, das heißt durch Hinweis auf die chemischen Wandlungen, die das Schinderfett durchmacht, bis ein Theil desselben zu Glycerin wird, das unbehagliche Gefühl des Ekels beschwichtigen kann, der ist in der angenehmen Lage, Glycerinbier mit Appetit zu trinken. Die Chemie ist ja bekanntlich im Stande, aus Mistjauche chemisch reines, klares Wasser herzustellen, aber ich glaube, selbst die Herren von der genannten Redaction würden schönstens danken, wenn ich ihnen einen Becher dieses Wassers credenzen wollte. Man hat mir in Paris versichert, die Ratte hätte ein äußerst zartes, wohlschmeckendes Fleisch, und im Sinne der geehrten Redaction wäre es mithin reines Vorurtheil, das Fleisch dieses netten Thierleins zu verschmähen; läßt sich doch dasselbe genau in dieselben chemischen Bestandtheile zerlegen, wie etwa ein Rehrücken, oder wie das Fleisch eines Rebhuhns, einer Waldschnepfe oder eines Fasans. Nun, das ist Alles mehr oder weniger Geschmackssache, und da es nicht meine Absicht sein kann, irgend Jemand meine Geschmacksrichtung aufzudrängen, so möchte ich hinsichtlich des Glycerins mit Fritz Reuter sagen: „Wer’t mag, de mag’t, un wer’t nich mag, de mag’t jo woll nich mögen.“

Es ist nun ferner noch sehr fraglich, ob das Glycerin wirklich auch zuträgliche Nahrungsstoffe, wie Malz, zu ersetzen vermag. Von competenter Seite wird behauptet, daß das Glycerin gar nicht verdaut wird, wie es auch, dem Weine oder dem Biere zugesetzt, nicht mit vergährt, sondern durchaus unverändert bleibt. Ja noch mehr: es hindert sogar die Verdauung anderer zugleich genossener Speisen, und der widerliche Geschmack, über den Trinker oft nach dem Genusse des Bieres (namentlich am nächsten Morgen) klagen, rührt höchst wahrscheinlich von dem Glycerinzusatze her.

Wenn ich nun hier Raum hätte, auch dem hartköpfigsten Bierchemiker klar zu machen, daß das Glycerin wirklich nicht recht appetitlich, auch nicht ganz zuträglich ist, und daß jedenfalls seine Verwendung mindestens betrügerisch ist, dann würden wieder die Vertheidiger der Bierschmiererei kommen und von vagen und allgemeinen Behauptungen reden und in ihrer begütigenden Weise betonen, daß Glycerin nur „ein wenig, ein klein wenig, fast gar nicht“ zur Anwendung käme. Aber beweist etwa die warme Vertheidigung und Befürwortung dieses Surrogates in den Fachblättern ein wirklich nur vereinzeltes Vorkommen desselben in der Brauerei?

In den Reichstagsverhandlungen über das Brausteuergesetz, wobei die Anwälte der Brauerei-Interessen gewiß ausreichend instruirt gewesen und gehörig zu Worte gekommen sind, wurde die Verwendung des Glycerins in der Bierbereitung als selbstverständlich angenommen, da es aber nach Annahme der Commission das Malz nicht ersetzen kann, so wurde es auch nicht für ein Malzsurrogat erklärt und nicht besteuert. Das war ein großer Fehler. Gewiß kann das nutzlose Glycerin die Kraft und den Nahrungswerth des Malzes nicht ersetzen, wohl aber wird es dazu gebraucht, den Ausfall an echtem Malzgehalte betrügerisch zu verdecken. Daß das Glycerin nur zum Haltbarmachen des Bieres oder zum „Verbessern“ seines Geschmackes diene, ist reine Phrase. Alle Schmierrecepte geben übereinstimmend an, daß sieben Liter Glycerin einen Centner Malz ersetzen. Daraus ergiebt sich, wie Jeder leicht wahrnehmen kann, daß eine mittelgroße Brauerei bei einer jährlichen Production von zwanzigtausend Hectolitern durch die Anwendung von Glycerin eine Ersparniß von mindestens neunundzwanzigtausend Mark macht.

Genug für heute über dieses Thema! Die sogenannten chemischen Surrogate und ihre Schädlichkeit wird der nächste Artikel zum Gegenstande der Untersuchung machen.

Dr. Gustav Dannehl.     



Ein Abend an der Themse 1856.
An Gottfried Kinkel.


Es war im Mai, doch keiner Blume Duft
Drang durch die offnen Fenster uns entgegen;
Herein nur zog die feuchte Meeresluft –
Fluthwelle war’s, bewegt von Ruderschlägen,

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Durchjagt von hundert kleiner Dampfer Kiel;

Wir sah’n im Mondenschein die Furchen ziehen;
Es war ein schöner Abend im Exil,
Wie den Verbannten viele nicht verliehen.

Drei Freunde saßen wir am Themsestrand,

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Umrauscht von einer Weltstadt wüstem Lärmen,

Verbannte Alle, fern vom Heimathland,
Das stumm in seinem Leid sich mußte härmen,
Das tief gebeugt, wehrlos zu Füßen lag
Dem rohen Sieger mit den Bajonnetten;

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Es war die trübste Zeit der deutschen Schmach,

Die Zeit des Unmuths und die Zeit der Ketten.

Hub an der Eine aus Westfalens Gau’n
– Sie haben jüngst am Neckar ihn begraben –
Mein Ferdinand: „Nie sink’ uns das Vertrau’n!

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Die Zukunft bringt uns dennoch Freiheitsgaben;“

Und sprach zu mir: „Du kamst zur rechten Zeit –
Dein Wort rief wieder wach mein altes Lieben.
Du gehst zurück zur neuen Heimath heut;
Amerikaner, grüß die Freunde drüben!“

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Du sprachst von jenem Deutschthum über’m Meer,

Das mythisch einst noch unserm Humboldt däuchte,
Das Du geschaut, der Freiheit Missionär,
Das Du verglichst mit einer hellen Leuchte
In dunkler Nacht – ob sie auch einsam steht,

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Einst wird sie scheinen auf der Weltenbühne;

Ich seh’ Dich noch, begeisterter Prophet.
Du sprachst, als ständest Du auf der Tribüne.

Wir saßen lange, lange jene Nacht.
Dann kam der Abschied, denn mein Schiff lag fertig;

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Wir hatten fast den Morgen hergewacht –

Wie ist mir Alles noch im Geist gewärtig!
Wie anders kam es, als wir da geglaubt!
Zur Heimath lenktet spät Ihr Eure Schritte;
Sie wand den Lorbeer Euch um’s graue Haupt –

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Da fühlte pochen froh sein Herz der Dritte.


Er liegt jetzt längst versunken in der Zeit,
Der schöne Abend – einsam wird’s und stille
Auch um mich her; der Weg ist nicht mehr weit,
Doch stark noch blieb der Glaube und der Wille.

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Noch schimmert Deine Leuchte über’s Meer,

Und strahlen auch in Deutschland hell’re Flammen,
Bedenk’, das Oel fließt uns gar sparsam sehr,
Doch nimmer ganz bricht unser Docht zusammen.

Die Reihen lichten sich mit jedem Jahr,

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und Achtundvierzig wird gemach zur Märe,

Die ausschmückt einst die Zukunft, wie: „es war
Einmal ein großer Kampf fern über’m Meere,
In Deutschland war’s, in unsrer Väter Zeit“ –
So wird die deutsche Jugend hier einst sprechen,

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Doch nicht vergessen wird, was wir geweiht,

Auch wenn des letzten Flüchtlings Augen brechen.

Nicht lockt die Freiheit jetzt sie über’s Meer,
Sie folgen eines andern Leitsterns Blinken,
Doch was wir aufgebaut, oft thränenschwer

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Das Auge, kann nicht ganz zu Boden sinken.

Wir sind im Werden noch, vom Ziel noch weit;
Noch muß sich Manches klären und gestalten;
Der deutsche Geist wirkt nicht mehr dienend heut’;
Er zählt zu den bestimmenden Gewalten.

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Nach Allem hast Du damals schon gefragt –

Nach zwanzig Jahren sollst Du Antwort haben;
Nicht mythisch sind wir mehr für Euch, so sagt
Euch jeder Dampfer mit der Ceres Gaben.
Dem deutschen Geiste treu am fernen Strand.

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Bleibt uns ein Wunsch nur: lernt uns näher kennen!

Sei Du Vermittler, Freund, im deutschen Land,
Deß Namen beide Länder ehrend nennen!

Chigaco, August 1877.

Caspar Butz.     
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 602. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_602.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)