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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Ganz anders wendeten sich die Geschicke der abgelehnten Riesenwurst. Diese kaufte ein restaurirender Schlaukopf, Namens Böhm, billig, ließ gehörig Tamtam schlagen und fand reißende Abnahme. Das Bratwurstglöckle hätte sie auch gern annectirt, mußte aber aus Raummangel darauf verzichten und hätte auch über drei Monate lang daran absäbeln müssen, ehe das Material in Gestalt der dortigen Miniaturwürstchen aufgebracht worden wäre. Ein echter Menschenfreund sorgte für die armen Waisenkinder, denen er für zwölf Mark in den Mund steckte, was natürlich lautes Jubiläumsgeschrei hervorrief.

Auf der seeumspülten Rosenau, wo die urwüchsigen Söhne der Hans-Sachs-Muse ihre weltbedeutenden Bretter aufgeschlagen hatten, wurden sämmtliche Theaterbesucher durch einen überkräftigen, dröhnenden Tusch der Capelle des heiligen Petrus empfangen, und bald schwamm Alles theils in Entzücken, theils in Regenguß. Aber der wackre Baier „forcht’ sich net“, und programmgetreu wurde das von kernigem Humor strotzende Festdrama: „Der fahrendt Schuler“ von Hans Sachsen trotz Wetter, Wind und Wasser, freilich erst nach dreistündiger Verzögerung, weil in elfter Stunde der fahrende Schüler immer noch einmal fahren mußte, um sein Costüm zu vervollständigen, mustergültig aufgeführt und stürmisch applaudirt.

Vor der von Wasserlachen umflossenen Schaubühne, einer treu historischen Bretterbude mit rothen Draperien, marschirte mit Pfeifenquieken und Trommelschall ein Trupp stattlicher Landsknechte auf, um lebendiges Spalier zu bilden, und die unhistorische Gasbeleuchtung durch Fackeln zu ersetzen. Der Ehrenhold (Herold) trat mit eleganter Würde auf und kündigte die „Bawerin“ nebst ihrer Dummheit an, diese machte dann die Bekanntschaft des fahrenden gelehrten Gauners, dem sie ihre ganze Habe übergab, um ihrem seligen Manne gegen Erkältung im Himmel ein Gewand dafür zu kaufen. Der „Bawer“, als zweiter Gemahl, läßt sie wegen dieses Leichtsinns in schlechten Zeiten gar derb an und setzt dem Betrüger nach. Der fahrende Schüler sieht ihn anreiten, dreht den Mantel und das Barett um, spielt den Unbefangenen und zeigt dem Wüthenden, der nach dem Gauner fragt, in der Ferne einen Andern, besteigt das ihm anvertraute Rößlein des Bauers – und ward nicht mehr gesehen. Zum Schluß trösten sich die beiden Geprellten wegen ihrer gegenseitigen Dummheit, und der Schwank ist aus. Sämmtliche Künstler nahmen den verdienten Lorbeerkranz für empfangen an, während die durch Abwesenheit Glänzenden (der Bawmeister, sein Gesell, der Schulz) weniger gefielen. Alle Großen und Kleinen im Publicum hatten sich nun auf den Hauptspaß, den feuerspeienden Lindwurm (Drachen) gefreut, aber das unmäßige Unthier hatte sich statt in gutem Bier in schlechtem Regenwasser so voll getrunken, daß es weder Feuer speien noch überhaupt agiren konnte. Das in classisches Dunkel gehüllte, auf Doppeltischen thronende Publicum kletterte deshalb drachenlos von seinen Sperrtischen herab und überließ sich den Klängen der vorzüglichen Militärkapelle, bis dann oben auf dem Tanzboden Terpsichore die liebe Jugend anlockte.

Bei den zahlreichen geselligen oder weniger geselligen Zusammenkünften, Festdiners, Soupers etc. ging es stets hoch her – in den Preisen wohl auch zu hoch. Wer keinen Trinkspruch fertig bringen konnte, schob es auf das zu gute Bier oder den Wein, dagegen schoben es solche Redner, die, ohne zur Sache zu kommen, zu bald fertig wurden, auf ihren großen Durst. Niemals aber kam die fröhliche Bierlaune auf die Hefe. – Schließlich gebührt noch der wahrhaft großartigen Gastfreundschaft der jovialen und liebenswürdigen Nürnberger Familien ein herzliches Wort aufrichtigsten Dankes. Wohl keiner der Festgäste ist von dannen gegangen, ohne die angenehmsten Erinnerungen im Herzen mit fortzunehmen und ohne das reizende Nürnberg liebgewonnen zu haben. – Sollten in obigem Berichte manche Namen, Damen, Daten und Dinge ausgelassen sein, so bitte ich wegen dieser unverzeihlichen, weil absichtlichen Beleidigung um Entschuldigung.

Ein schönes, durch echt deutschen Ernst und ebenso deutschen Humor gewürztes Fest liegt hinter uns. Gerade weil der vulgäre Festtaumel gebannt war und weil mehr das Geistige der Feier, der Festgedanke herrschte, fühlten sich die ernsteren Festgäste auf’s Tiefste befriedigt, betrachteten mit freudigem Stolze die herrlichen Sammlungen des Nationalmuseums und richteten ihre Gedanken und Wünsche auf die zukünftige Herrlichkeit desselben. Mögen den jetzigen Leitern niemals die nöthigen Mittel, die thatkräftige Unterstützung der Nation fehlen, um ihren hohen Intentionen gemäß das Werk zu immer größerer Blüthe zu fördern und weiter auszubauen! Zunächst kam nur die Jubelfeier selbst in Betracht, aber über die verheißungsvolle Zukunftsgestaltung des Germanischen Museums wird seiner Zeit die „Gartenlaube“, die ja stets dem deutschen Geiste der sich in wissenschaftlichen und künstlerischen Großthaten ausprägt, mit wärmster Hingabe huldigt, eingehendere und bessere Darstellungen bringen. Mit derselben Begeisterung, die mich beim Abschiede von der im Golde der Morgensonne glänzenden Feststadt erfüllte, rufe ich zum Schlusse: das schöne Nürnberg, die Hüterin unseres besten Nibelungenschatzes, lebe dreimal hoch!

B. S.




Blätter und Blüthen.


Ein vielbeleumundeter Sieger. (Mit Abbildung S. 591.) Daß ein Feldherr nach einer Reihe von Siegen auch einmal geschlagen werden kann, ist weder seltsam noch selten in der Geschichte; ganz anders steht es mit dem Gegentheil: daß ein fast stets geschlagener Befehlshaber plötzlich einen Sieg gewinnt, und zwar einen so bedeutenden, daß durch denselben eine Wendung in dem bisherigen Verlaufe eines Krieges herbeigeführt wird.

Dieses militärische Wunder vollbrachte der Ober-Befehlshaber der Türken in Kleinasien, Achmed Moukhtar Pascha. Sein Name ist mit jenen Siegen verbunden, welche dem Vordringen der drei russischen Heerkörper in Armenien ein Ziel setzten und schließlich dieselben zur völligen Räumung des Landes zwangen. Welchen Anspruch er selbst auf die Ehren dieser Erfolge zu erheben hat, ist jetzt nicht zu ermitteln. Jedenfalls stehen die Thatsachen fest und verpflichten uns, den vielgenannten Mann unserem Leserkreise im Bilde vorzuführen; wir fügen demselben das, was sich über sein Leben aus den Zeitungen zusammenstellen läßt, in der Kürze bei.

Eine biographische Notiz, welche eine unserer angesehensten Zeitungen über Moukhtar Pascha vor dessen armenischen Glückstagen mittheilt, sagt unter Anderm: Moukhtar Pascha hat seine militärische Unfähigkeit in der Zeit des Feldzugs gegen die Aufständischen in Bosnien und in der Herzegowina, sowie im Kriege gegen Montenegro zur Genüge erwiesen. Seine rasche Carrière verdankt der an Jahren noch junge General zumeist hoher Protection. Er gilt für den natürlichen Sohn des verstorbenen Abdul Aziz. An dem vorletzten Feldzuge gegen Montenegro betheiligte er sich als Generalstabsofficier. Später wohnte er unter Redif Pascha dem Kampfe in Yemen, gegen den aufständischen Beduinenstamm der Assyr bei, wurde Brigadegeneral und, nachdem Redif Pascha nach Constantinopel zurückberufen worden war, Vali (Statthalter) von Yemen und Commandant der Truppen dieses Vilajets mit dem Range eines Veziers. Als dem Aufstande in Bosnien der dort commandirende Derwisch Pascha nicht gewachsen zu sein schien, trat Moukhtar Pascha an dessen Stelle, errang anfangs einige Vortheile, erlitt aber dann im Dugapaß eine schmähliche Niederlage. Auch gegen die Montenegriner focht er nicht glücklicher. Den verantwortungsvollen Posten in Armenien verdankt er seinem ehemaligen Chef Redif Pascha, der seine Stellung als Kriegsminister der ihm angetragenen Oberbefehlshaberschaft in Kleinasien vorzog und selbst für Moukhtar Pascha warb.

Der Kampf um „die hohe luftige Gebirgsinsel, die große Naturfeste und Völkerburg“, wie K. Ritter das armenische Hochland nennt, nahm anfangs einen so unglücklichen Verlauf für die Türken, wie der auf der Balkanhalbinsel. Der schwerste Schlag für sie war aber der Verlust von Ardahan, den man Moukhtar Pascha schuld gab. Nach Zeitungsberichten von den ersten Junitagen sollte er abgesetzt und vor ein Kriegsgericht gestellt werden. Aber das Kriegsgericht wurde weder für ihn berufen, noch, wie er selbst angetragen hatte, für seinen Unterfeldherrn Feizi Pascha (den Deutsch-Oesterreicher Kolmann), welcher dann bei Sewin zum Entscheidungssieg das Beste beitrug. Aus dieser Zeit stammt die folgende Zeitungsnotiz mit neuen biographischen Angaben:

„Während man,“ so sagt die „N. W. T.“, „jeden Andern schon nach dem ersten Mißerfolge ab- oder, wie den Muhamed Hamdi Pascha, sofort hinter Schloß und Riegel setzt, brachte diesem verzogenen Liebling des Serails jede neue Schlappe neue Ehrenstellen ein. Dem höchsten türkischen Geburtsadel entstammend, ist er seit seinem siebenundzwanzigsten Jahre Muschir (d. h. im Range der Staatsminister und Feldmarschälle stehend). Ein schlanker Mann mit angenehmen Gesichtszügen und tiefschwarzem Vollbart, ist er europäisch gebildet und hat sich, wie viele seiner Gesinnungsgenossen, seine Sporen im Serail verdient. Er machte hauptsächlich sein Glück dadurch, daß er sich entschloß, die alternde Schwester Abdul Aziz’s zu ehelichen (also nach obiger Behauptung über seine Geburt seine Tante!). Seinen Untergebenen und auch Gleichgestellten gegenüber spielt er sich als Mitglied des Kaiserhauses auf und ist von unerträglichem Stolze. Bei der Truppe ist er unbeliebt, weil er oftmals Orgien feiere, während es dem armen Soldaten an Allem fehle.“

Höchst interessant ist von da an der Wandel in den Kriegsberichten. Noch am 8. Juni sagen russenfreundliche Zeitungen: „Moukhtar Pascha wurde durch seine kopflosen Dispositionen vom Hause aus gezwungen, seine guten Stellungen in den Gebirgen ohne Schwertstreich aufzugeben.“ Vier Tage später: „Der unglückliche Moukhtar Pascha concentrirt bereits seine Truppen um Erzerum und erwartet dort sein Schicksal. – Erzerum kann sich kaum längere Zeit halten, und so dürfte längstens bis Ende Juni der Feldzug in Armenien beendet sein.“ – Schon drei Tage später „scheint sich die Situation Moukhtar Paschas einigermaßen gebessert zu haben“. Er hat den Russen Olti wieder weggenommen und sie zum Rückzug gezwungen. Daraus geht natürlich „eigentlich nur das Eine hervor, daß die russische Heeresleitung sich entschlossen hat, erst nach der Einnahme von Kars vorzugehen, um mit unverminderter Kraft gegen die Armee Moukhtar’s operiren zu können“.

Wieder sechs Tage später (Zeitungen vom 21. Juni) „hat die bedrängte Lage von Kars den lauen Moukhtar Pascha endlich aus seiner abwartenden Haltung aufgerüttelt. Derselbe bereitet jetzt, wie man auf das Bestimmteste versichert, seine Offensive vor.“ Er stand damals zwischen Toprak-Kale und Olti mit dem Centrum westlich von Sewin, entschlossen zum Vormarsch nach Kars, aber stark verschanzt und mit den sich ihm gegenüber in gleicher Länge ausbreitenden Russen täglich in Gefechten, in welchen nach den beiderseitigen officiellen Telegrammen stets beide Theile gesiegt hatten und wo bald der bekannte eine Kosake, bald der eine Tscherkesse gefallen war. Dies Alles geschah noch vor der Mitte des Juni. Am Ende desselben, am 16. Juni, siegten die Russen in einem Kampfe von 20,000 Mann gegen 12,000 Türken, den sie eine Schlacht nannten, und in welcher der Ferik Mehemed Pascha fiel. Moukhtar Pascha stand in Köprüköi, westlich von Delibaba. – Die Reihe der Gefechte schloß endlich am 24. und 25. Juni mit der Schlacht bei Sewin, in welcher die Russen 4000 Mann und zwei Divisionsgeneräle verloren haben sollen. Wir haben keinen Raum, eine Beschreibung des Kampfes zu geben, dessen Wichtigkeit durch die unmittelbaren Folgen desselben genügend dargethan ist. Die Türken drangen nach drei Richtungen gegen die Russen vor; Mussa Pascha bedrohte die linke Flanke derselben; Fait Pascha suchte von Bajazid her sie abzufangen, und Derwisch Pascha drängte den Feind auf russischen Boden gegen die Riomlinie zurück, während Moukhtar Pascha, mit Ismail und Feizi Pascha,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 593. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_593.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)