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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

stehende große Wortbild, das Zeichen des heiligen Drachen (Lung), welches in Guß so stark hergestellt worden ist, daß es ebenso wie der Rand der Hinterseite gleichmäßig platt geschliffen werden konnte, ohne daß die übrigen Reliefs von dem Schleifsteine erreicht wurden. Neben dem Bilde befindet sich eine Zeile chinesischer Schrift, deren Inhalt wahrscheinlich einen Glückwunsch oder magischen Spruch bildet, denn in der Regel verschenkt man diese Spiegel als Glück, Gesundheit und Schönheit erhaltende Toilettengeräthe. So sah z. B. der berühmte Chinologe Stanislaus Julien in dem Besitze des Baron la Grange in Paris einen derartigen Votivspiegel, in dessen Widerschein man die chinesischen Zeichen cheou (langes Leben) und fou (Glück) lesen konnte, die auch auf der Rückseite, aus hellerem Metall eingelassen, hervortraten. In dem Widerscheine des abgebildeten schwach convexen Spiegels erkennt man deutlich den Drachen unter dem blühenden Dorn, und ebenso tritt der Drachenbuchstabe deutlich hervor, Alles hell auf schattigem Grunde. Die Helligkeitsunterschiede sind ungefähr wie die der Mondscheibe und ihrer Flecken, aber die Zeichnung erscheint in schärferen Umrissen, und wenn man mit dem Spiegel von der Wand zurücktritt, sodaß das Bild an Größe wächst, verliert es nichts von seiner Erkennbarkeit, bis die reflectirte Lichtmenge der unsichtbaren Spiegelzeichnung zu sehr zerstreut wird.

Die Chinesen nennen diese Spiegel Théou Kouang-Kien d. h. wörtlich: „Spiegel, welche das Licht durchlassen“, weil es nämlich den Anschein hat, als ob das auf der Hinterfläche angebrachte Bild die Metallmasse durchdringe, um von der Spiegelfläche an die Wand reflectirt zu werden. Um sich über diese seltsame Erfindung nähern Aufschluß zu verschaffen, schlug der obenerwähnte französische Gelehrte die vorstehende Bezeichnung in einer der mannigfachen Encyclopädieen nach, welche die Söhne der Mitte besitzen. Die Chinesen sind nämlich im Gegensatze zu uns ein Volk, bei welchem der Gelehrtenstand der höchsten und der Kriegerstand der geringsten Achtung begegnet; sie begnügen sich darum nicht mit einem kleinen Meyer oder Brockhaus von fünfzehn bis sechszehn Bänden, sondern besaßen schon, noch ehe bei uns die Buchdruckerkunst erfunden war, große Nachschlagewerke, deren Bände nach Hunderten zählen. In dem sechsundfünfzigsten Bande der Encyclopädie Ke-tschi-king-youen fand Julien die Auskunft, daß diese „Lichtbilder durchlassenden Zauberspiegel“ in China bereits seit unvordenklichen Zeiten angefertigt werden, daß Tschin-kouo, ein Schriftsteller des neunten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung, ihrer bereits gedenke, und daß ein älterer Dichter, Kin-ma sie sogar besungen habe.

Es ist daher sehr wohl möglich, daß diese Zauberspiegel und das Geheimniß ihrer Fabrikation bereits in alten Zeiten von Asien nach Europa gekommen, und vielleicht waren die sogenannten Mysterienspiegel der Griechen und Etrusker, deren Rückseite bei ähnlichem Gesammtumriß stets figürlichen Schmuck trug, Nachbildungen derselben. Wenigstens redet der alte römische Schriftsteller Aulus Gellius in sehr verdächtiger Weise von Spiegeln, die bald ein Bild zeigten, bald nicht, und noch wahrscheinlicher gehörten die in den Hexenprocessen des Mittelalters auftauchenden magischen Metallspiegel, auf deren Rückseite geheimnißvolle Zeichen und Teufelsfiguren eingravirt waren, zu diesen Erzeugnissen der asiatischen Schlauheit. Der italienische Geschichtsforscher Muratori erzählt, daß man unter dem Kopfkissen des Bischofs von Verona, welchen Martin della Scala zum Tode verurtheilte, und ebenso im Hause Cola da Rienzi’s magische Spiegel entdeckt habe, auf deren Rückseite das Wort Fiorone stand. Das nennt man „durch die Blume reden“, denn unter der Blume war kein Anderer als der Teufel zu verstehen.

So oft diese Spiegel nun auch bereits von Physikern untersucht worden sind, besitzt man doch noch keine völlig befriedigende Erklärung ihres geheimnißvollen Verhaltens, wie ihrer Herstellung. Nur soviel ist klar, daß wir es mit einem Taschenspielerstück zu thun haben. Denn offenbar haben die erhabenen, eingelegten oder eingravirten Bilder der Rückseite unmittelbar gar nichts zu schaffen mit dem unsichtbaren Bilde der Spiegelfläche, welches sich erst auf der Wand gleichsam verdichtet und in die sichtbare Erscheinung tritt. Mit einem tiefen Verständniß der menschlichen Natur beabsichtigen die schlauen mongolischen Künstler durch jenen Kniff (d. h. durch die sichtbare Wiederholung des verborgenen Bildes der Vordereite auf der Rückseite) nur unsre Phantasie zu erregen und irrezuführen, und soweit ich die Wirkung des seltsamen Spielzeugs auf verschiedene Personen beobachten konnte, wird dieser Zweck selbst bei gebildeten Leuten vollkommen erreicht.

„Aber,“ so fragt wohl der freundliche[WS 1] Leser ungeduldig, „wie verhält es sich denn nun in Wirklichkeit mit diesen schlummernden Bildern der Oberfläche, welche erst die Sonnenstrahlen erwecken und auf die Wand zaubern?“ Der englische Physiker Brewster hatte, ohne einen solchen Spiegel gesehen zu haben, die Vermuthung ausgedrückt, daß es sich dabei möglicherweise um eine Polarisation des Lichtes durch die Zeichnung handeln möge. Ich habe, um diese Vermuthung zu prüfen, den mir gütigst für einige Zeit überlassenen Spiegel auch nach dieser Richtung untersucht, aber das mit Instrumenten, welche das polarisirte Licht ausschließen, bewaffnete Auge vermochte den unsichtbaren Drachen auf der polirten Fläche ebenso wenig auszumitteln, als das unbewaffnete Auge. Man erhält gleichsam den handgreiflichen Beweis unsichtbarer Existenzen. Alles, was man zur Erklärung sagen kann und was unbestreitbar richtig ist, beschränkt sich darauf, daß gewisse Theile der Platte so bearbeitet sind, daß sie mehr (resp. weniger) Licht zurückwerfen, als die umgebenden Theile, obwohl alle Theile eine völlig gleichmäßige Politur und ein gleiches Rückstrahlungsvermögen zu besitzen scheinen. Wie wir sogleich sehen werden, ist es wahrscheinlich eine verschiedene Dichtigkeit des Metalles an den betreffenden Stellen, welche den Effect erzeugt.

Etwas besser unterrichtet sind wir über die Mittel, solche geisterhafte Wirkungen hervorzubringen, sodaß es bei einigem Bemühen nicht schwer fallen würde, dieses in China, wie es scheint, etwas aus der Mode gekommene Spielzeug fabrikmäßig nachzuahmem. Die erwähnte chinesische Encyclopädie erzählt, daß bereits ein älterer chinesischer Forscher Out-sten-sing, der von 1260 bis 1341 lebte, sich vorgenommen hatte, auf jeden Fall hinter das Spiegelgeheimniß zu kommen. Er verfuhr wie die Kinder nach den Weihnachtsfeiertagen, wenn sie der verborgenen Maschinerie ihrer beweglichen Figuren nachspüren, und zerstörte eines dieser, jetzt wenigstens, ziemlich theuer bezahlten Zauberwerke, indem er es in kleine Stücke zerschlug. Es ergab sich, daß die Drachenfigur, die auch auf jenem Spiegel die Hauptrolle gespielt hatte, in dem feineren Kupfer der Spiegelfläche ausgehoben und aus gröberem Metall wieder eingesetzt worden war, worauf man die gesammte Fläche mit einer dünnen Bleischicht überzogen und polirt hatte. Der hier abgebildete, aus einer Art Tombak gegossene Spiegel zeigt in der That einen solchen dünnen, weißen Spiegelüberzug, der aber sicher nicht aus Blei besteht, sondern wahrscheinlich in Form eines Amalgams aus Blei, Zinn und Quecksilber, vielleicht mit etwas Silber aufgerieben und dann polirt worden ist. Bei der Dünnheit des Spiegels muß ich daran zweifeln, daß die im Widerscheine sichtbaren Figuren aus anderem Metall in die Vorderfläche eingesetzt sein können, muß diesen Punkt indessen dahingestellt sein lassen, da ich das heroische Prüfungsmittel des alten Chinesen nicht in Anwendung bringen konnte.

Uebrigens giebt es andere Methoden, auf spiegelnden Metallflächen Reflexionsunterschiede hervorzubringen, die das Auge direct nicht zu erkennen vermag und die doch deutlich im zurückgeworfenen Lichte erscheinen. Brewster vermochte durch leichtes Graviren oder Anätzen Figuren auf glatten Metallflächen zu erzeugen, die durch anhaltendes Poliren zum Verschwinden gebracht wurden, aber, wie die Bilder im Zauberspiegel, im Widerschein sichtbar blieben. Er konnte das Phänomen ferner durch Glasplatten nachahmen, auf deren Rückseite er Figuren mit durchsichtigem Firniß entwarf. Wahrscheinlich läßt sich dieselbe Wirkung durch Pressung von Metallflächen mit Stempeln und nachheriges Abschleifen und Poliren erreichen, denn gepreßte Münzen zeigen einige analoge Erscheinungen. Es ist den meisten Münzensammlern bekannt, daß bis zur Unkenntlichkeit abgegriffene Münzen, wenn man sie auf einem Metallbleche im Dunklen zum Glühen erhitzt, plötzlich das vorher unsichtbare Gepräge leuchtend auf dunklem Grunde oder auch umgekehrt zeigen, je nachdem sich die Oxydschicht auf den durch den Stempel verschieden stark verdichteten Theilen bildet. Durch ähnliche Ursachen erzeugte Dichtigkeitsunterschiede erscheinen auch im Widerschein polirter Metallflächen, z. B. glatter Knöpfe. Professor Pepper, welcher in dem Londoner polytechnischen Institute den Widerschein derartiger mit elektrischem Lichte beleuchteter Zauberspiegel gezeigt und eine ähnliche Meinung über

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 488. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_488.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)