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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Leiter der deutschen Staatspolitik und Leipzigs wackerer Ehrenbürger, Fürst Bismarck, seinen Geburtstag feiert, war auf der Werft der Gesellschaft „Vulcan“ in Bredow bei Stettin mit dem Baue eines von der Admiralität zu Berlin in Bestellung gegebenen Kriegsschiffes begonnen worden, das den Charakter einer Glattdeckscorvette haben und vermöge seiner scharfzugespitzten Formen und der dadurch herbeigeführten großen Segelgeschwindigkeit die Bestimmung erfüllen sollte, im Seekriege hauptsächlich zum sogenannten Aufklärungs- und Plänklerdienste, zum Kapern feindlicher Proviantschiffe u. dgl. benutzt zu werden.

Der Stapellauf des Schiffes fand im Beisein des Chefs der Admiralität, Staatsministers von Stosch, am 13. September 1875 statt, und es hatte schon vorher eine Bekanntmachung im preußischen „Staats- und Reichsanzeiger“ den Willen des deutschen Kaisers, des obersten Kriegsherrn der deutschen Kriegsmarine, zu erkennen gegeben, daß die neu erbaute Corvette, in Erinnerung an den ruhmreichen Befreiungskampf, der einst auf Leipzigs Gefilden gegen die französische Fremdherrschaft geschlagen wurde, den Namen „Leipzig“ führen solle.

Die Taufe des Schiffes geschah in Gemäßheit dieser kaiserlichen Bestimmung, deren Bekanntwerden in Leipzig lebhafte Freude und Befriedigung erweckt hatte. Die Bürger dieser Stadt empfanden nicht eitle Ruhmsucht, wohl aber wurde in ihnen von Neuem der Gedanke an den gewaltigen Entwicklungsgang lebendig, den die Nation seit der großen Völkerschlacht im Jahre 1813 genommen und der einen erhebenden Ausdruck in dem Entstehen einer deutschen Kriegsflotte gefunden hatte, mit dem in Zukunft die Gegner Deutschlands zu rechnen haben werden.

Wenige Tage nach dem Stapellauf und der Taufe des Schiffes gab ein Leipziger Bürger, Herr C. G. Naumann, im „Leipziger Tageblatt“ die Anregung, es möge die Leipziger Einwohnerschaft in dankbarer Anerkennung der ihrer Stadt gewordenen Auszeichnung der Kriegscorvette „Leipzig“ eine Galaflagge stiften. Diese Aufforderung fiel auf fruchtbaren Boden, und ein von einem anderen Leipziger Bürger, Herrn Ottokar Staudinger, erlassener Aufruf hatte zur Folge, daß in wenigen Wochen die Mittel zur Herstellung einer Ehrenflagge vorhanden waren. Selbstverständlich war vorher die Zustimmung Sr. Majestät des Kaisers zu dem Unternehmen, wie nicht minder die freundliche Unterstützung desselben durch Sr. Majestät Marineminister erbeten worden. Beide stimmten liebenswürdig zu. Die Herstellung der Flagge, den Wimpel und die Gösch inbegriffen, wurde der rühmlichst bekannten Fahnenstickerei des Herrn Hietel in Leipzig, deren Erzeugnisse sich weit über Deutschlands Grenzen hinaus Eingang verschafft und die Ehre der deutschen Industrie hoch halten, übertragen. Im März 1876 war die Flagge fertig, und sie erregte bei ihrer mit Genehmigung des Ministers von Stosch geschehenen öffentlichen Ausstellung im städtischen Museumssaale zu Leipzig ungetheilte Bewunderung. Die Flagge ist aus doppelt gefaltetem schwerem Seidenstoff gearbeitet und die Herstellung derselben in jeder Beziehung solid und zweckentsprechend. Ihre Formen sind vollständig denjenigen der Seekriegsflagge des deutschen Reiches entsprechend; auf der Rückseite befindet sich die Widmung, welche beurkundet, daß die Flagge ein Geschenk Leipziger Bürger für Sr. Majestät Kriegscorvette „Leipzig“ darstellt. Eine hohe Ehre und Auszeichnung wurde ihr zu Theil, indem Kaiser Wilhelm sie vor seiner Abreise nach Leipzig im September vorigen Jahres aus der Admiralität nach dem kaiserlichen Palais bringen ließ und einer Besichtigung unterzog, deren Ergebniß ein für die Geber und den Hersteller der Flagge sehr schmeichelhaftes war.

Der Ausbau der „Leipzig“ hatte inzwischen einige unvorhergesehene Verzögerungen erfahren und ihre Uebernahme seitens der deutschen Seekriegsverwaltung konnte erst Ende Mai des gegenwärtigen Jahres erfolgen, nachdem drei Tage lang Probefahrten mit dem Schiffe von Swinemünde aus in See stattgefunden, die in der besten Weise verlaufen waren und die Tüchtigkeit der Corvette nach jeder Richtung hin dargethan hatten. Die feierliche Uebergabe der Flagge an Bord des Schiffes, zu deren Bewerkstelligung der deutsche Marineminister den Leipziger Bürgern die Entsendung einer Deputation anheim gegeben, geschah unmittelbar darauf am 1. Juni. Als eigentliche Vertreter der Marineverwaltung fungirten bei dem feierlichen Acte der Commandant der „Leipzig“, Corvettencapitain Zirzow, und der Oberwerftdirector in Kiel, Capitain zur See Weikhmann, welcher die Uebernahme des Schiffes vom „Vulcan“ geleitet hatte. Das der Stadt Leipzig bei ihren festlichen Veranstaltungen mit seltener Beharrlichkeit eigene Wetterglück war deren Repräsentanten nach Swinemünde gefolgt und blauer, wolkenloser Himmel breitete sich über dem Hafen dieser Stadt aus, als um die Mittagsstunde auf dem Deck der „Leipzig“ zur Vornahme der Feierlichkeit Alles klar gemacht worden war, während eine leichte Brise die Gluth der Sonnenstrahlen wohlthuend minderte. Die Leipziger waren schon einige Stunden früher an Bord des Schiffes durch den Capitain Weikhmann abgeholt worden, damit sie in Muße unter der Führung von Deckofficieren die Einrichtung der „Leipzig“ besichtigen konnten; für die meisten von ihnen war ein Kriegsschiff von solcher Ausdehnung und von so vorzüglicher, den Fortschritten unserer Zeit entsprechender Herstellung eine vollständige Neuheit, und sie waren freudig überrascht darüber, daß die deutsche Kriegsflotte fortan ein so überaus tüchtiges Schiff mehr zählen wird.

Signale riefen die Mannschaft des Schiffes, welche vorläufig aus einem Tags vorher erst unter Führung des Corvettencapitain Zirzow aus Kiel eingetroffenen, etwa hundertsiebenzig Köpfe starken Ueberführungscommando bestand, an Deck, wo sie sich in ihren Festkleidern parademäßig aufstellte. Am Heck lag die Flagge zum Aufhissen bereit, und die zu dieser Operation befohlenen Seeleute harrten nur noch des Commandowortes. Der Commandant der „Leipzig“, Capitain Zirzow, betrat die erhöhte Stelle, von wo beim Gefecht die Leitung des Schiffes geschieht, und richtete eine kurze, markige Ansprache an die Mannschaften, in welcher er seine Freude darüber ausdrückte, das Commando eines so schönen und tüchtigen Schiffes überkommen zu haben, eine Freude, die um so herzlicher sein könne, als die „Leipzig“ aus der vaterländischen Industrie hervorgegangen sei. Hierauf gedachte Capitain Zirzow mit gleich freudigen Worten des schönen Geschenkes, welches das Schiff aus den Händen Leipziger Bürger empfangen habe, eines Geschenkes, welches ein beredter Dolmetscher der im Binnenlande für die deutsche Kriegsmarine vorhandenen Sympathien sei, und am Schlusse seiner Ansprache brachte der Capitain ein donnerndes Hoch auf den Gründer und Beschützer der deutschen Flotte, den Kaiser Wilhelm, aus, in welches alle an Bord Versammelten begeistert einstimmten. In diesem bedeutsamen Augenblicke erfolgte das Aufhissen der Flagge, welche sofort vom Winde kräftig hin und her bewegt wurde und durch ihre glänzende Erscheinung laute Ausrufe der Bewunderung erweckte.

Die Ansprache, welche nunmehr Leipzigs Oberbürgermeister Dr. Georgi an die Officiere und Mannschaften Sr. Maj. Kriegsschiff „Leipzig“ richtete, war zwar kurz, aber ihr tief-ernster Inhalt, ihre erhebenden patriotischen Worte waren so recht geeignet, die Feierlichkeit des Actes zum vollen Ausdruck zu bringen. Der Redner betonte insbesondere, daß die Flagge das sichtbare Zeichen des Dankes einer deutschen Handelsstadt an die deutsche Marine sein solle, einer Stadt, die ihre Verbindungen weithin über die Meere habe und die es mit lebhafter Anerkennung empfinde, daß die Achtung, die dem deutschen Namen im Auslande gewonnen worden sei, überall gefördert und erhöht werde nicht nur durch die wachsende äußere Stärke, sondern mehr noch durch die innere Tüchtigkeit der deutschen Kriegsmarine, ihrer Officiere und Mannschaften. Der Gruß aus Leipzig müsse aber auch ein Gruß der Erinnerung an jene große Zeit sein, wo das deutsche Volk in den Leipziger Fluren nach schweren und blutigen Kämpfen die erste Grundlage zu seiner Einigung gewonnen habe. Spät sei die Saat zur Frucht geworden, die dort gesäet worden, und eine der letzten Früchte sei die deutsche Kriegsmarine, aber sie entwickele sich rasch und hoffnungsvoll, denn in ihr wirkten noch die Tugenden, die einst die Tage von Leipzig gewonnen, die treue, männliche Pflichterfüllung und die Liebe zum Vaterland. Von diesen Betrachtungen ausgehend, lenkte der Redner seine Worte auf den erhabenen Fürsten, der den Deutschen Urheber und Symbol ihrer Einigung geworden und dessen Name auch an der Spitze der Geschichte der deutschen Kriegsmarine steht, auf den deutschen Kaiser Wilhelm, auf den ein nochmaliges dreifaches Hoch aus Aller Mund ertönte. Corvetten-Capitain Zirzow reichte, sichtlich bewegt, dem Oberbürgermeister Georgi die Hand und brachte mit der Mannschaft ein kräftiges Hoch auf die in ihrer nationalen Gesinnung treu bewährte Stadt Leipzig aus.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_442.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)