Seite:Die Gartenlaube (1877) 230.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


so hielte man ihn sicherlich für einen Mann aus der City, aus der englischen vornehmen Welt – nur nicht für einen Franzosen, das heißt so lange er nicht spräche. So abgemessen und zurückhaltend ist seine Haltung, so ruhig, leidenschaftslos, ja kalt der Ausdruck seines Gesichts, der noch durch den englischen Zuschnitt des graublonden Bartes erhöht wird. Die Gestalt ragt nicht über Mittelgröße hinaus, ist gedrungen und kräftig, eher mager als voll, ein Gegensatz zu seinem finanzministerlichen Collegen Leon Say, bei dem sich Frankreich nur bedanken könnte, wenn das Finanzportefeuille seiner Leibesrundung gliche. Das Gesicht des Herzogs ist bleich und wird nur durch ein paar dunkle Augen belebt, deren Beweglichkeit man ansieht, daß sie zu allen Fenstern Frankreichs hinaus stets wachsam auf das übrige Europa gerichtet sind. Ob die Reserve in der äußern Erscheinung des Herzogs Natur oder Gewöhnung ist – wer sagt es!? Jedenfalls macht sie einen vornehmen Eindruck, und dieser wird noch durch die Sprechweise des Ministers erhöht. Er spricht ruhig, gelassen, mit wenig Gesticulation, wie ein Mensch, der mehr auf Gründe, als auf Ueberredung hinzielt, und noch nicht durch die Rednertribüne seiner guten Manieren verlustig gegangen ist. Der Herzog war an diesem Abende im einfachen schwarzen Gesellschaftsanzuge, sein einziger Schmuck das große rothe Band der Ehrenlegion.

Noch weniger als dem Herzog sieht man seiner Gemahlin den französischen Nationalcharakter an. Natürlich, denn sie ist eine Fremde, eine Oesterreicherin, eine geborene Baronin von Löwenthal. Ihr Vater war lange Zeit österreichischer Militär-Bevollmächtigter in Paris, und hier lernte der Herzog seine spätere Gemahlin kennen. Ohne gerade durch Schönheit hervorzuragen, hat das Gesicht doch einen fesselnden Jugendreiz behalten durch eine seltene Anmuth und eine Eigenthümlichkeit, die anderen Frauen vielleicht weniger zum Vortheil gereichen würde, als ihr. Die Herzogin spricht fast stets mit gesenkten Lidern, wodurch das Auge von langen seidenen Wimpern vollständig verschleiert wird. Was, wie gesagt, bei einer andern Frau vielleicht stören würde, wird hier zu einer Besonderheit, die für den Beschauer die Bedeutung eines inneren Symptoms gewinnt. Man ist versucht, aus diesem Munde deutsche Laute zu wünschen – die Herzogin spricht sehr gut deutsch mit etwas österreichischem Accente. Kurz vorher waren der baierische Prinz Leopold mit seiner Gemahlin, der österreichischen Erzherzogin Gisela, in Paris; Fürst Hohenlohe hatte ihnen ein Diner gegeben, bei welchem der Herzog Decazes mit Gemahlin ebenfalls gegenwärtig war, und hier „ging’s deutsch zu“. Aber das war Courtoisie für den deutschen Boden, auf dem man sich befand; heute, im Hôtel am Quai d’Orsay befand man sich auf französischem, und da ging’s französisch her. Da war noch eine Oesterreicherin in der Gesellschaft, die an einen französischen Marquis, einen Legitimisten, verheirathet war – die schönste Frau im Salon. Sie hatte die Gestalt einer Libelle, die Grazie eines Almeh, die Augen eines Kindes, ein Lächeln wie das des ersten Liebesbekenntnisses – und dazu den häßlichsten Mann auf der Erde. Im Jahre 1866 hatten die Preußen ihre Güter in Mähren heimgesucht, im Jahre 1870 die ihres Mannes in der Normandie, und seitdem bleiben ihre Lippen jedem deutschen Laute verschlossen. Sie wurde darauf hin als Specialität gezeigt.

Die Gesellschaft wuchs, je näher man an Mitternacht war. Man hörte die Namen von Ministern, Botschaftern, Deputirten, Journalisten, von Republikanern, Legitimisten, Orleanisten und allerdings sehr wenig Bonapartisten in dem Salon nennen. Die reizendsten Frauen waren da. Es waren prächtige Räume, in denen man sich befand. Die Wände mit Marmor, Stuck und Verzierungen bekleidet, die Plafonds gemalt und eingefaßt von schweren goldenen Verzierungen, die Thüren ebenso vergoldet und gemalt, überall die kostbarsten Stoffe, die herrlichsten Bronzen, Vasen, Teppiche. Kein Wunder, daß der parlamentarische Ehrgeiz nach diesem Wohnhause lüstern wird! Im ersten Empfangszimmer hängt das große Oelbild, welches die Theilnehmer an jenem Congresse darstellt, welcher den Pariser Frieden zur Folge hatte. Es hat schon sehr nachgedunkelt, ebenso wie die diplomatische That von damals. Man machte mich auf die Spuren der Kugeln aufmerksam, die an den einzelnen Köpfen zu sehen waren, namentlich der französischen Congreßtheilnehmer. Die Communarden hatten in der jüngsten Schreckenszeit von dem Ministerhôtel Besitz genommen und in ihren Mußestunden, deren sie sich viele machten, nach den Köpfen geschossen. Die einzelnen Schäden sind ausgebessert, aber die Spuren doch noch bemerkbar. Unter diesem Bilde stand in dem Augenblicke, wo ich es betrachtete, ein nicht sehr großer, hagerer Mann mit einem blassen, sehr ausgedörrten Gesichte. Es war Sadik Pascha, der türkische Botschafter. Rings um ihn hatte sich ein Kreis von besternten und bebänderten Herren gebildet, die mit Gesticulationen – es war kurz nach der Affaire von Salonichi – den armen Mann fast buchstäblich an die Wand bohrten, daß seine Augen ängstlich nach einem Rettungspunkte umhergingen. Die um ihn standen, waren der Marquis von Molins, der spanische Botschafter, der ungefähr so aussieht, wie ein ausgehungerter Figarosänger von einem mittleren deutschen Stadttheater, ferner der große, d. h. der lange Lord Lyons, Englands Ambassadeur, dessen großes rothes Band sich wie eine internationale Demarcationslinie über den dicken Leib spannte; da war ferner einer der russischen Secretäre – ich weiß nicht mehr, wer sonst. Das war ein so leidenschaftliches Reden, Sich-Bewegen und Erhitzen, daß schließlich der Türke seinen Wagen befahl, um in sein Palais in der Rue Lafitte zurückzufahren, wo er bekanntlich Miethsmann des Herrn von Rothschild ist.

Das ist das Geheimniß der Anziehungskraft, welche die moderne französische Gesellschaft stets ausgeübt hat, daß sie in ihrer Zusammensetzung Alles vereinigt, was zum öffentlichen, staatlichen, geistigen oder künstlerischen Leben in irgend einer Beziehung steht, auf dasselbe irgend einen Einfluß zu üben befähigt ist. Sie stützt sich nicht ausschließlich auf Traditionen; sie geht in erster Linie auf Capacitäten aus. Die Salons im Elysée, in den Ministerien stehen Allen offen, die nicht nur ihrem Namen, Rang oder Titel nach etwas bedeuten, sondern die in der That etwas sind. Mögen sie heißen, wie sie wollen, wenn sie nur eine geistige Individualität besitzen, mit Hülfe deren sie in der öffentlichen Meinung Gewicht und Stimme haben. So spielt im französischen Salon die Journalistik eine große Rolle. Leute wie die Chef-Redacteure der großen Pariser Blätter nehmen hier eine Stellung ein, verkehren hier gleich und gleich mit den Würdenträgern ihres Landes und den Vertretern auswärtiger Mächte, daß die Collegen in Deutschland sie baß beneiden würden.

Man muß von diesen Vertretern der öffenlichen Meinung bekennen, daß sie die gesellschaftliche Form mit einer Virtuosität handhaben, als ob ihre Aeltermütter bereits auf den Tabourets in Versailles gesessen hätten. Sie befolgen jene für alles gesellschaftliche Leben unerbittliche Regel, durch nichts in der Gesellschaft auffällig zu erscheinen oder sich aus dem Rahmen derselben loslösen zu wollen. Man sieht die Chef-Redacteure, die hervorragenden Mitarbeiter der bedeutenden Blätter, die Correspondenten der großen englischen, amerikanischen Zeitungen in allen vornehmen Salons, bei Mac Mahon und bei den Ministern. Dem verstorbenen preußischen Gesandten Grafen von der Goltz war das sehr unbequem. Er erklärte, nur die Leute bei sich sehen zu können, die am Hofe von Berlin repräsentationsfähig wären, was übrigens eine ganz falsche Auffassung war, und lud daher zu seinen Bällen auch nur den Redacteur des Paris-Journal ein, Monsieur de Pène, nur weil dieser von Adel war. Das ist in der deutschen Botschaft nun auch anders geworden. Dort hatte ich kurz vorher die Bekanntschaft Kramer’s und Bude’s, der beiden Vertreter der „Kölnischen Zeitung“, Beckmann’s, des Correspondenten der „Nationalzeitung“, der Paris wie kein anderer Deutscher kennt, Ed. Landsberg’s, des Vertreters großer deutscher und österreichischer Blätter, gemacht. Bekanntlich zeichneten sich von jeher die preußischen Gesandten im Auslande gegen ihre Landsleute und namentlich gegen solche, die nicht aus ihrer Gesellschaftssphäre waren, eben nicht durch ein Uebermaß von Liebenswürdigkeit oder auch nur Entgegenkommen aus. Die verschiedensten Klagen wurden in dieser Beziehung allenthalben laut. Das deutsche Reich scheint auch hier andere, neue Bahnen eingeschlagen zu haben. Von allen Deutschen in Paris wird anerkannt, daß Fürst Bismarck auch eben wieder in der Wahl des Fürsten Chlodwig Hohenlohe für den so höchst wichtigen Posten eines deutschen Botschafters seinen großen Blick, seine glückliche Hand gezeigt habe. Unter den obwaltenden Verhältnissen, bei der Erbitterung, dem Hasse, der in Paris, in Frankreich den Deutschen auf Tritt und Schritt begegnet, war es gerade die in milden, versöhnlichen Formen sich bewegende Persönlichkeit des deutschen Botschafters, die manche Schwertspitze stumpf machte,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_230.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)