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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


in dem klebrigen Lehmboden folgten, kaum nennen – nahten wir unserm Ziele. Einzelne Lichter tauchten am äußersten Horizonte der Steppe wie Sterne auf; die kleinen Pußtapferde witterten die Nähe der Stadt und somit Streu und Hafer, setzten sich in kurzen Trab, und bald hielten sie wiehernd vor der Residenz des Popen.

Es war ein ebenerdiges, gelblichgetünchtes Häuschen, mit blanken Fenstern und einem Vorgärtchen, das ein niedriges, grünes Holzgitter umzäunte. Der wachsame Wolfshund an dicker Kette meldete durch lautes Bellen die Ankommenden, und gleich darauf erschien ein stattlicher Herr in geistlicher Kleidung, der Pope selbst, und führte mich in das Haus.

Der saubere Kiesweg führte in eine Säulenhalle, wie sie in jenen Gegenden jedes Bauernhaus nach dem Hofe zu umgiebt. Die Säulen, die das Schindel- oder Strohdach stützen, sind zwar nur aus Backsteinen oder Lehmerde gebildet, mit Kalk übertüncht und von einfachster dorischer Form; der Boden ist mit Backsteinen belegt, und die Festons, die sich bunt von Capitäl zu Capitäl ziehen, sind blos Hanfseile mit Maiskolben, rothem Paprika und Flaschenkürbissen behangen. Aber auch die armselig plumpen Gebilde mahnen an ihre edle Abkunft von der classischen Baukunst des griechischen Alterthums.

Von dem Gange führte, nur durch eine Stufe erhöht, eine offene Thür in die Küche; an der Schwelle derselben stand eine freundliche ältere Frau und ein hochgewachsenes schlankes junges Mädchen, Frau und Tochter des Popen; sie bewillkommneten mich mit großer Herzlichkeit, zu groß, um wahr zu sein. Griechen, Serben und die meisten übrigen Slaven werden von den andern Nationalitäten der Heuchelei geziehen. Doch liegt in allen Höflichkeitsformen der Gesellschaft etwas Lüge und Uebertreibung, der man Berechtigung zugesteht, und beim Empfange wirkte diese conventionelle Höflichkeit viel angenehmer, als die ungeschminkte Rohheit, der ich bei den übrigen Stämmen in den „interessanten Ländern“ zu begegnen pflegte. Wir traten in die Küche, einen weiten, hohen Raum, dessen rückwärtige, durch zwei vorspringende Pilaster alkovenartig abgetrennte Hälfte von einem riesigen offenen Feuerherde eingenommen wurde, während die vordere Abtheilung das Wohnzimmer der Familie bildete. Rechts und links führten Thüren zu den Fremden- und Schlafzimmern. Wohlthuende Wärme durchströmte das weite Gemach, dessen ganze Breite von einem langen Eichentische und gleichen Bänken darum eingenommen wurde. Eine Anzahl Wachskerzen, die dem Haushalte des Popen reichlich von Begräbnissen und andern Feierlichkeiten zufließen, spendeten angenehmes Licht. Um den Tisch saßen eine Menge Leute, meist in geistlichen Gewändern, die Collegen und Schüler des Hausherrn. Bald war er mit ihnen in lärmendem Gespräche über die Ereignisse des Tages; Gelehrsamkeit ist nicht die Sache der niedern griechischen Geistlichkeit. Die Frauen waren wieder an ihre häusliche Arbeit gegangen, und ich lehnte still in einer Ecke, von dem Uebergange aus der Kälte in die Wärme etwas betäubt und Speise und Schlaf ersehnend, doch Beides gewährten mir die neidischen Götter in jener Nacht nur in sehr geringem Maße.

Zwar lag ein blendend weißes, an den Rändern buntgesticktes Tischtuch ausgebreitet, zwar wurden mächtige, sonnenförmige Aschkuchen aus der dunkeln Höhlung des Backofens gezogen, zwar schauten Schinkenknochen verrätherisch aus den rußigen Töpfen, so oft der Dampf mit brodelndem Gezisch die blanken Blechdeckel secundenlang emporhob, auch dampfte in einem Winkel der Küche aus einem großen Kupferkessel ein verlockend duftender Brei, aber meine freudige Erwartung wurde bald enttäuscht. Es war Charsamstag; alle diese Herrlichkeiten wurden für das morgige Fest bereitet; heute gab es auch im Hause des Popen, wie seit vierzig Tagen in der ganzen Gegend nur Brod, Bohnen und Slivovic (Zwetschkenbranntwein), welch letzterem meine Tischgenossen unermüdlich zusprachen.

Lieber Leser! Wenn es schon unmöglich ist, „toujours perdrix“ zu essen, so versichere ich dich, daß es noch viel unmöglicher ist, toujours Bohnen, Zwiebeln und Branntwein, nicht allein zu essen, sondern nur zu riechen, zu sehen – schließlich kehrte sich mein gebildeter Magen schon bei dem Gedanken daran um und hatte allen Appetit verloren; ich erhob mich, der schönen Tochter des Hauses,die mit riesiger Kelle in dem Kessel rührte, Gesellschaft zu leisten.

Eben hatte eine handfeste Bauernmagd den Inhalt in schöngeformte Thongefäße gefüllt; eine andere warf neue Buchenklötze in den Feuerraum, die halbverlöschte Gluth neu anfachend; dann hoben sie den geleerten Kessel wieder in die Höhlung, gossen einige Henkelkrüge Milch hinein und einen Scheffel reinen Weizen dazu. Während die „kuhäugige“ Lexa wieder zu rühren begann, brachte die Popadia (Frau des Popen) je eine Schüssel geschälte Mandeln und Rosinen, auch einige Gläser weißen Honig und mengte sie in den Weizenbrei.

„Um Himmelswillen, Gospodicna?“ fragte ich, erstaunt ob der Menge und Seltsamkeit des Gerichtes, „mästen Sie kleine Kinder oder Schweinchen mit dem süßen Zeuge, oder für wen sonst bereiten Sie das?“

„Für die fromme Heerde meines Vaters,“ lachte das junge Mädchen übermüthig. „Diese Gefäße werden morgen früh, sammt den Kuchen, die Sie dort sehen, in die Kirche gebracht und geweiht; nach dem Gottesdienste nimmt jeder Kirchenbesucher ein Löffelchen voll Brei, dann wird seine Ernte das nächste Jahr ergiebig.“

„Wieder ein Atom lebendiger Culturgeschichte, ein übriggebliebenes Stückchen Adoniscultus,“ dachte ich bei mir und wollte, da ich nun einmal aus die Wohlthat des Essens verzichten mußte, wenigstens die des Schlafens genießen. Ich wandte mich wieder zu dem Tische und ersuchte meinen geistlichen Gastgeber, der sich an der Branntweinflasche merklich begeistert hatte, mir eine Ruhestätte anzuweisen.

„Lexa! Leuchte unserm Gaste voran!“ lallte er mit sonderbar funkelnden Augen und begann mit den Uebrigen einen Kirchengesang anzustimmen. Es war schon fast Mitternacht; ich staunte, daß die Leute so lange wach blieben, und frug meine Führerin, wann man in Z. eigentlich zu Bette ginge?“

„Gewöhnlich mit den Hühnern um die Wette, Gospodinu! Aber heute gar nicht, denn nach zwei Uhr beginnt die Auferstehungsfeier; da müßten wir um ein Uhr schon wieder aufstehen, und ziehen es daher vor, gleich wach zu bleiben. Erschrecken Sie nicht,“ wandte sie sich in der Thür nochmals um, „wenn Sie geweckt werden sollten. Der Beginn der Ceremonie wird mit Böllerschüssen verkündet.“

„Bei Nacht also,“ dachte ich, „Adonis aus dem Reiche der Finsterniß, dem Reiche der Proserpina kommend.“ Es gelüstete mich, die prickelnden Schauer der Erwartung, wie sie in den uralten Adonis-Gesängen ausgedrückt, einmal selbst zu empfinden. „Wollen Sie die Güte haben an meine Thür zu klopfen, wenn Sie sich in die Kirche begeben und mich dahin mitnehmen?“ fragte ich die Tochter des Popen. Sie sagte zu und verließ das Zimmer. Ich löschte das Licht aus, warf mich angekleidet auf das hochgethürmte Federbett und fiel sogleich in tiefen Schlaf.

Im Traume stand ich eben vor einem glänzenden Venustempel und sah Aphrodite in göttlicher Schönheit um den zerrissenen Leichnam Adonis' klagend – da – plötzlich stürzte der Tempel mit Donnergepolter zusammen, und aus den zerbröckelnden Trümmern flog der lichtschimmernde Genius der Liebe zu den Sternen empor. Ich war erwacht, riß mühsam die Augen auf und schaute schlaftrunken im Dämmerlichte umher. „Bum!“ machte es noch einmal – dann klopfte es an meine Thür; Lichter huschten am Fenster vorüber; Stimmen klangen wirr durcheinander, und „bum!“ donnerte es zum dritten Male. Ich sprang aus dem Bett und trat hinaus. In der Küche stand die Popadia, Alexandra und noch eine Menge Leute, Alle in dunklen Ueberwürfen, blühende Weidenzweige und brennende Wachsstöcke in den Händen. Wir machten uns auf den Weg. Es war eine laue, aber stockfinstere Nacht – in allen Richtungen zuckten Irrwische auf, die sich, näher kommend, als fromme Nachtwandler gleich uns erwiesen und sich unserm Zuge anschlossen.

Ich bat meine Führerin ihr den Arm reichen zu dürfen, um in Nacht und Gedränge nicht von ihrer Seite gerissen zu werden und, fremd im Orte und in den Gebräuchen, das Beste zu versäumen. Am Ausgange der Straße entrollte sich ein überraschend prächtiges, flammendurchglühtes Bild vor unsern Augen.

Auf einem großen freien Platze erhob sich in mysteriös flackerndem Helldunkel die Kirche, umgeben vom Kirchhofe, dessen Parkanlagen, schon in vollem Blätter- und Blüthenschmucke, berauschenden Duft ausströmten. Der Marktplatz war dick mit Gras bestreut, die Häuserreihen, die ihn umgaben, mit grünem Laubwerke geziert. Unzählige Flämmchen in bunten Gläsern

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_213.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)