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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Steppengestalten.
Erinnerungen aus meinem Wanderleben von F. Sch.
II.


Das Dorf mochte kaum mehr als etwa dreißig Häuser, respective Hütten zählen, denn die Benennung „Haus“ verdiente wohl keines der mit Stroh gedeckten und aus Lehmwänden bestehenden Gebäude. Das stattlichste derselben und deshalb für meine Unterkunft erwählte befand sich fast in der Mitte des Fleckens und war nach Landesbrauch von einem Hofe umgeben, dessen Raum den ganzen Grundbesitz mancher unserer Keuschler an Flächeninhalt überbot. Nachdem wir uns, mit Händen und Füßen stoßend und schiebend, durch eine hier nächtigende Heerde langgehörnter Wiederkäuer einen Weg gebahnt, wurde ich von meinem Diener, der mich hier erwartete, in eine der Stuben des Hauses geführt.

Dieselbe zeigte die bei wohlhabenden Bauern übliche Einrichtung: Tisch und Stühle von Eichenholz und die blumige Truhe, das hoch aufgerichtete Bett. Sie unterschied sich von der anderer Bauernstuben nur durch eine ungewöhnliche Reinlichkeit und Nettigkeit. Während ich noch die nöthigsten Toilette-Requisiten aus dem Koffer kramte, wurde die Thür geöffnet, und mich umwendend, erkannte ich zu meiner nicht geringen Ueberraschung in der eintretenden jugendlich üppigen Gestalt die schöne Tänzerin des verfolgten Lajos, noch erhitzt und hastig athmend vom Tanze und der darauf folgenden Flucht, dabei aber blaß und offenbar angstvoll aufgeregt. Diese Aufregung ließ sie wahrscheinlich auch mein Erstaunen bei ihrem Anblicke nicht bemerken. Nach freundlichem Gruße begann sie alsbald den Tisch zu decken, wobei sie jedoch wiederholt innehielt, um zum offenen Fenster zu treten und aufmerksam hinauszublicken.

Jetzt, wo ich die ländliche Schöne in der Nähe betrachten konnte, wurde mir die gewaltige Leidenschaft der beiden Freunde und ihre Entzweiung ganz begreiflich, denn selten sah ich einen kräftigeren und zugleich geschmeidigeren Wuchs, selten auch regelmäßigere und feinere Züge, deren Schönheit jetzt durch den Ausdruck von Trauer und Melancholie noch edler erschien als vorher. Meine lebhaft angeregte Phantasie begann alsbald alle die charakteristischen Gestalten, welche der Zufall mir an diesem Abende vorgeführt, unter einander zu verbinden, und ich hatte eben die ersten, meiner Meinung nach höchst effectvollen Capitel eines Romans daraus gesponnen, als ein köstlich duftendes Paprikahuhn, von meiner schönen Hauswirthin auf den Tisch gestellt, ein rasches „Ende“ meines dichtenden Phantasirens herbeiführte.

Jetzt trat auch der weißhaarige Mann, welchen ich in der Schenke gesehen, mit einem mächtigen Weinkruge ein und setzte sich zu mir, nachdem er mich mit ungewöhnlicher Herzlichkeit begrüßt hatte. Sein Erscheinen überraschte mich nicht mehr, da ich schon während der Scene in der Schenke in ihm den Vater Ilka’s, Lajos’ schöner Tänzerin, vermuthet hatte, doch war ich über die Bestätigung um so erfreuter, als ich nun hoffen durfte, Genaueres und Sichereres als die Resultate meiner Combination zu erfahren. Diese Hoffnung verwirklichte sich in der That, denn der alte Herr war mir, wahrscheinlich durch den Csikos, schon günstig gestimmt, dankte mir auch in warmen Ausdrücken für meine „Diskretion“ und meinte auf meine Frage, aus welcher Ursache Lajos von den Gensd’armen verfolgt werde, es wäre eigentlich eine zu traurige Geschichte, um sie einem werthen Gaste zu erzählen, da ich mich aber für den armen Lajos interessire und meine Theilnahme schon bewiesen, so wolle er mir gern mittheilen, was er selbst wisse.

Das magyarische Volk besitzt bekanntlich die Gabe der Beredsamkeit in hohem Grade, und es ist gar nichts so Seltenes, daß Landleute ihren Gedanken so fließend Ausdruck zu verleihen wissen, wie etwa ein Professor, der einen Vortrag in seinem Fache hält. Diese Gabe nun war auch meinem Wirthe eigen, und indem ich seine Worte zu wiederholen versuche, bedauere ich den eigenthümlichen Reiz nicht wiedergeben zu können, den der alte Herr durch den charakteristischen Wechsel der Betonung, der Mienen und Geberden zu erzielen wußte.

„Wie gesagt, bester Herr,“ begann er, „es ist eine traurige Geschichte, und Gott weiß, wie sie noch enden wird. Ilka ist mein einziges Kind, war immer mein Stolz, meine Freude und – ich darf es wohl sagen – das schönste Mädchen im Dorfe und der ganzen Umgegend. Wer mir je gesagt hätte, daß meine Tochter das Weib eines ‚armen Burschen‘ sein werde, dem hätte ich in’s Gesicht gelacht. Und doch war es so, vielleicht als Strafe für den Hochmuth, mit dem mich die wachsende Schönheit meines Lieblings erfüllte. Ihr könnt denken, lieber Herr, daß es dem Mädchen nicht an Bewerbern fehlte. Ich ließ ihm die Wahl, denn ich wollte mein einziges Kind glücklich wissen, und ich hätte den ärmsten Schwiegersohn willkommen geheißen, wäre er nur ein rechtschaffener Mensch gewesen. Ich glaubte auch lange, daß Josi, der Csikos, ein hübscher, flinker, kräftiger Bursche, alleiniger Hahn im Korbe sei; so oft er auf seinem gelben Rößlein dahergejagt kam wie ein jäher Windstoß, rötheten sich Ilka’s Wangen, lief sie in den Keller nach einem frischen Trunke für den erhitzten Burschen; doch Mädchensinn ist noch flüchtiger als ein Windstoß, und als sie den Josi zu den Husaren nahmen, da nistete sich ein Anderer in ihr Herz, der freilich noch hübscher, flinker und kräftiger war. Das war meines Schwägers Sohn Lajos, ein Bursche, Herr, der mit den Pferden um die Wette lief und dem im Ringen Keiner gewachsen war, selbst der Josi nicht. War auch sonst nichts an ihm auszusetzen, er verstand die Wirthschaft und arbeitete für Zwei, aber einen Fehler hatte er doch: zu ducken wußte er sich nicht und klein beizugeben, wenn es die Klugheit erforderte. ‚Biegen oder Brechen‘ hieß es bei ihm; er trug auch den Kopf immer hoch, als wär’ er zum Herrn geboren, und das wurde sein und unser Unglück.

Lajos hatte eine hübsche Schwester, die den Sommer über auf der Tanya (Meierei) hauste. Der junge Graf, der Sohn unseres gnädigen Herrn, jagte fast jeden Tag in jener Gegend, und wenn er müde und durstig war, kehrte er bei Lajos’ Schwester ein.

Eines Tages aber führte dieser Holz aus dem Tannenwalde herein, und da traf er mit dem jungen Herrn zusammen. Was damals auf der Tanya vorging, weiß Niemand, für den aber, der Lajos kennt, ist’s nicht schwer zu errathen. Genug, als er mit der Holzfuhr hereinkam, warteten schon die Panduren auf ihn (die Gensd’armen bekamen wir erst ein Jahr später) und führten ihn nach dem Herrenhof hinüber. Ich war gerade bei Lajos’ Vater und blieb bei ihm, nachdem sie den Jungen fortgeführt, denn mir ahnte nichts Gutes.

Nach einer Stunde etwa kam er wieder, aber Herrgott in welchem Zustande! Nie, Herr, werde ich den Anblick vergessen, würde ich auch hundert Jahre alt. Bleich wie der Tod, die Lippen blutig gebissen, die Augen aus dem Kopfe gequollen, die starken Arme schlaff hängen lassend, den Körper wie gebrochen vorbeugend, mit den Zähnen wie im Fieber klappernd, so stand er vor uns, wortlos, blöde, ein Jammerbild an Leib und Seele.

Schluchzend fiel ihm der Vater um den Hals, und wahrlich, Herr, es fehlte nicht viel, so hätte auch ich geweint wie ein Kind. Denn so gern ich auch den Josi hatte, der Lajos war doch mein und unser Aller Stolz geworden, und wenn er auf seinem Leiterwagen hoch aufgerichtet und stramm wie eine Tanne stand und die wildesten Pferde spielend lenkte, da lachte uns Allen das Herz im Leibe, denn in ihm sahen wir die Verkörperung jener ungebrochenen Manneskraft, die uns in harter Frohnarbeit Aufgewachsenen versagt geblieben. Und jetzt, was hatte eine einzige Stunde aus dem Riesenjungen gemacht! Dennoch fragten weder der Vater noch ich, was geschehen, und auch er schwieg und setzte sich still in eine Ecke der Stube, um unbeweglich, stumm, wie geistesabwesend vor sich hinzustarren. Wir wußten ja, was geschehen. Sie hatten ihn eben geschlagen, so lange geschlagen, bis sie glaubten, daß er genug habe für sein Leben. Nun freilich, damit irrten sie; sein junger Leib hielt mehr aus, als sie dachten, und wie ein Heubaum um so mächtiger emporschnellt, je stärker er niedergebunden war, so ging es mit seiner Leibeskraft, aber – es war doch nicht mehr derselbe Lajos. Er, der sonst froh und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_146.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)