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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


eine Verstimmung an ihm, die bis zur Bitterkeit ging. Dann war er plötzlich wieder verschwunden. Nicht lange darauf erscholl die Kunde von Radetzky’s Siegen – was war aus Mende geworden?

An einem ganz andern Punkte der Landkarte sollte ich es vier oder fünf Jahre später erfahren. Auf einer Fahrt aus dem Mecklenburgischen nach Oldenburg war unser Fuhrwerk zu ich weiß nicht welchem kleinen Orte im nördlichen Striche der Lüneburger Haide gekommen, als ein Mann meine Aufmerksamkeit anzog, der an einem tüchtigen Stocke mit aller Kraft der Sehnen auf einem Seitenpfade durch den dichten Nebel schritt. Die hohe, fast dürre, aber knochenstarke Gestalt, die kühne, straffe Haltung, der Ueberrock von einer besonderen grauen Farbe, genau wie das Haar des zottigen Hundes, der lustig neben ihm trabte – das konnte Keiner sein als Mende und sein „Schnauz“. Er war es. Der Hund, der wie eine Mischung von Pudel und Rattenfänger aussah, aber eine italienische Art war, bildete sozusagen ein Stück von ihm; er liebte das anhängliche, muthige und kluge Thier in solchem Maße, daß er die jährliche Schur von dessen Haar aufbewahrte, bis dieses hinreichte, um es spinnen und weben zu lassen; der Rock, den er daraus schneidern ließ, war sein Lieblingsgewand. – Bei einem Glas Grog, aus schlechtem Rum und leidlichem Rothwein gemischt, wie es die Dorfschenke hergab, erzählte er seine Geschichte seit Frankfurt. Dort hatte er eben solche Vielköpfigkeit der Ansichten und Unklarheit des Strebens gefunden wie in Italien. Die Raschheit, womit die Bewegung des Jahres 1848 über halb Europa hereinbrach, hatte zwar die Geister überall aufgerüttelt und Wünsche erweckt, allein nirgends vorbereitete Gemüther angetroffen; aus lauter Begeisterung und ungeduldiger Hitze machte man Putsche, hier Hecker und Struve, dort die Republikaner und Piemontesen. Nach der Niederlage der letzteren war es mit den italienischen Freiheitsträumen vorbei. Mende, der mit Grausen die blutigen Schlachtfelder gesehen, fühlte sich in Italien nicht mehr sicher. Er suchte schweizerisches Gebiet auf und gelangte in großer Entblößung von Mitteln nach Basel, wo einige Freunde für ihn sorgten, so gut es an dem Orte zu thun war.

„Was sollte ich machen?“ rief er mit einem Lachen, in dem Zorn und Heiterkeit sich mischten. „Nach Deutschland wagte ich mich nicht sogleich. Ich putzte die verfallenen Wandbilder im Stadthause auf, wofür mich die Millionäre wie einen Tagelöhner bezahlten, aber ich mußte das tägliche Brod haben und – gerächt habe ich mich gründlich.“

Weil er ein närrischer Kauz war, der den Aerger, den er niederschluckte, in Spaß ummünzte, daran sich schwer unterscheiden ließ, ob er kitzeln oder beißen sollte, so ließen ihn die reichen Geldherren von Basel in ihrem Casino zu, das sie im „Riesen“ hatten, damit er die Zeitungen lesen konnte, und er wußte sich durch die Schlagfertigkeit seines Witzes bei ihnen so in Gunst zu setzen, daß sie auf den Vorschlag seines Freundes eingingen, er solle die gesammte Gesellschaft „Zur Baseler Maus“ conterfeien und in einem Bilde zusammenstellen. „Sie bekamen es ja billig,“ lachte der Schalk. „Da hatte ich denn reichliche Gelegenheit, die kleinlichen Leidenschaften dieser nur für Geld und Sinnengenuß eingenommenen Menschen – es ist der excentrische Künstler, der so spricht – „recht gründlich zu studiren und aus jedem Gesichte zu erforschen, für welche Art von niedrigem Gelüst seine Züge am besten zu verwenden wären, damit sie als Typus einer Gemeinheit oder rohen Leidenschaft erschienen.“ Mit rastlosem Fleiße schuf er so ein Kunstwerk besonderer Art. An dem runden Tische des Casinos saßen, im Halbkreis malerisch gruppirt, die Mitglieder dieser Gesellschaft, deren materialistische Denkungsweise ihn so grimmig empört hatte, jedes Gesicht wunderbar fein und getreu wiedergegeben, und doch war es nicht der bestimmte Mensch, den er vor sich gehabt hatte, sondern die Züge desselben waren zum typischen Modell irgend einer Leidenschaft ausgebildet. Ueber dem freien vorderen Theil des Tisches sah man die Erholung der Herren: die Baseler Maus, ein auf verborgenen Rädern laufendes Thierchen, lief zum „Gewinnen oder Verlieren“ über den Tisch, und der Wirth und sein Sohn, beide von auffallender Körperbildung, welche Wein herbeitrugen, deuteten den übrigen Zeitvertreib an.

Der geniale Schelm hatte sein Spiel geschickt getrieben – man merkte nichts. Als es aber zum Bezahlen kam, fand man Mende’s bescheidene Forderung zu hoch und entrüstete ihn durch armseliges Gebot. Da ließ er in seiner Hitze gegen irgendjemanden die Aeußerung fallen, daß die Herren es bereuen würden, und sagte vielleicht noch mehr; genug, der Possen, den ihnen der Maler hatte spielen wollen, daß sie in ihrem Casino die eigenen Bildnisse als satirische Charakterbilder[1] zur Schau hängten, wurde den Herren hinterbracht, und da sie ja auch in der Regierung saßen, so beschlossen sie, Mende in der Nacht auszuheben, sein Bild zu vernichten und ihn selbst als Revolutionär über die deutsche Grenze zu liefern. Doch wie der Verräther, so wachte auch der Freund. Mende erhielt rechtzeitig einen Wink und Beihülfe, daß er am Abende sein Bild und seine Person auf badisches Gebiet in Sicherheit zu bringen vermochte. Er eilte nach Frankfurt, wo er das Bild zu verkaufen hoffte. Wie es schien, hatten die Baseler seine Spur überholt; er wurde überall zurückgewiesen. Rasch entschlossen begab er sich nach München und fand dort einen Kunsthändler, der das Bild, welches in künstlerischen Kreisen ungewöhnliches Aufsehen erregte, mit dem Rechte der Vervielfältigung erwarb. Fallmerayer war von den Kunstwerke so entzückt, daß er den Pathen dazu abgab; die Blätter, welche für die Verbreitung bestimmt waren, sollten die Ueberschrift „Stillleben reicher Leute“ führen. Vervielfältigt worden ist es allerdings, doch hat es den Anschein, daß es die Welt nicht zu sehen bekam. Außer einem Premier-Abzuge, den Mende besaß, ist es vielen späteren Bemühungen nicht gelungen, von dem Bilde oder der Vervielfältigung etwas zu entdecken; es scheint sich verloren zu haben. Möglich, daß die von dem Genie Mißhandelten sich durch größere Summen, als sie dem Maler hatten zugestehen wollen, vor dem öffentlichen Spotte schützten.

Mende hegte diese Besorgniß, da er von dem Kunsthändler vergeblich fernere Exemplare erwartete, und ein neuer Vorfall bestärkte ihn in dieser Meinung. Von München war er nach Hannover gegangen, wo er, seiner eigenen Mittheilung zufolge, in Künstlerkreisen mit Herzlichkeit und Anerkennung aufgenommen wurde. Daselbst wurde eben die Jahresausstellung norddeutscher Kunstvereine eröffnet. Unser Maler hielt dies für eine Gelegenheit, sich durch sein „Stillleben reicher Leute“ und etliche andere Sachen der Aufmerksamkeit zu empfehlen. Er hatte nämlich Pläne für mehrere große Bilder, die er theils in Zeichnung, theils in Farbenskizze entworfen hatte. Zwei davon, die ich unter vielen sah, als ich ihn bald nach dieser Begegnung in Hannover besuchte, stehen mir noch in Erinnerung.

Das eine erinnerte an die „Vertheidigung eines Tiroler Hauses“ durch die feine Auffassung, womit der Maler alle Schrecken eines blutigen Zusammenstoßes in der Vorstellung erweckte, ohne den Beschauer unmittelbar in die Verwüstung blicken zu lassen. Es war eine Scene aus dem italienischen Aufstande. Auf der linken Seite der Tafel sah man eine schräg gegen die Mitte gelagerte Dorfkirche, vor der sich der von einer Mauer umschlossene, das Hauptfeld des Bildes abgebende Friedhof ausbreitete. Hierher hatte sich geflüchtet, was für den Kampf nicht taugte, Weiber, Greise, Kinder; im Vordergrunde einige Verwundete – Zeugnisse dessen, was in der tiefern Straße jenseit der Kirchhofsmauer geschah, über die etliche Buben und Männer in den Tumult schaueten oder daran theilnahmen, den Bajonnette, allerlei Waffen und Köpfe mit militärischen und bürgerlichen Bekleidungen andeuteten. Ein Priester im Ornat und mit kirchlichem Geleit näherte sich den Verwundeten, neben denen links in der Ecke die Zündung einer herübergeflogenen Granate hoch aufsprühete – ein Bild der höchsten künstlerischen Ruhe, das die wildeste Bewegung vergegenwärtigte. Obgleich nur Skizze, war die Farbengebung so wunderbar, daß Bandel, der Meister des Hermannsdenkmals, mit dem ich hingegangen war, ausrief: „Woher nur der Mensch solche Farben nimmt!“

Das andere Bild, eine Zeichnung, beschäftigte sich mit Falstaff und dem Prinzen Heinz. Eine Londoner Kellerkneipe, welche rechts durch die Stiege von der Straße und ein Fensterlein das Tageslicht der Scene erhält; an der darauf schießenden Seitenwand drei Brettertafeln mit Holzbänken; an der ersten die Wirthin und irgend welche lustige Zeisige, die ihre lockere Kurzweil treiben; an der Ecke der zweiten, den Hauptpunkt der Tafel einnehmend, Falstaff neben Dortchen, mit der Rechten ein Weinglas schwingend, die Linke gemächlich in der Tasche; an ihm hinaus unter der trüben Lampe, welche die dritte Tafel erhellt, raufen

  1. Vorlage: „Charaterbilder“
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 873. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_873.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)