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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


verräth das Unternehmen; jede Nachricht, die ich Euch sende, gefährdet es. Legt es in meine Hände – und nun lebe wohl! Ich muß fort – wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.“

Er berührte noch einmal flüchtig die Hand der Mutter mit seinen Lippen und eilte dann fort. Die Fürstin empfand den schnellen kurzen Abschied fast schmerzlich; sie trat an das Fenster, um dem Fortreitenden noch einen Gruß nachzuwinken, aber sie wartete vergebens darauf, daß er zu ihr emporblicken sollte. Wohl suchten seine Augen ein Fenster des Schlosses, als er langsam und zögernd aus dem Hofe ritt, aber es war nicht das ihrige. Sie hingen so fest und beharrlich an Wanda’s Erkerzimmer, als müsse dieser Blick die Kraft haben, die Geliebte zum Abschiedsgruße heranzuzwingen. Um ihretwillen ging er ja doch allein in das Wagniß, die Mutter, die eben geschlossene Versöhnung, das Alles versank, sobald es sich um seine Wanda handelte.

Und er erreichte es in der That, sie noch einmal zu sehen. Die junge Gräfin mußte wohl im Erkerfenster erschienen sein, denn Waldemar’s Gesicht leuchtete plötzlich auf, als habe ein Sonnenstrahl es berührt. Er warf einen Gruß hinauf, dann gab er seinem Normann die Zügel und flog, schnell wie der Sturmwind, aus dem Schloßhofe.

Die Fürstin stand noch immer an ihrem Platze und sah ihm nach; zu ihr hatte er nicht zurückgeblickt; sie war vergessen, und mit diesem Gedanken senkte sich auch zum ersten Male jener Stachel in ihre Seele, den der Sohn so oft gefühlt hatte, wenn er ihre Zärtlichkeit gegen Leo sah. Und doch drängte sich ihr gerade in diesem Augenblicke unwiderstehlich die Ueberzeugung auf, der sie bisher immer noch nicht ganz hatte Raum geben wollen, daß gerade ihr Erstgeborener das Erbtheil besaß, das dem jüngsten Lieblingssohne von jeher gefehlt hatte, die unbeugsame Kraft und Energie der Mutter, daß er auch in Geist und Charakter Blut von ihrem Blute war.




Es war in den Vormittagsstunden eines kühlen, aber sonnigen Maitages, als der Administrator von L. zurückkehrte, wo er seine Kinder abgeholt hatte. Herr und Frau Professor Fabian befanden sich bei ihm im Wagen. Dem Professor schien die neue akademische Würde recht gut zu bekommen und die Ehemannswürde ebenfalls. Er sah wohler und heiterer aus als je. Seine junge Frau hatte mit Rücksicht auf die Stellung ihres Gatten eine gewisse Feierlichkeit angenommen, die sie möglichst zu behaupten strebte und die einen komischen Contrast zu ihrer jugendlich frischen Erscheinung bildete. Zum Glücke fiel sie sehr oft aus ihrer Rolle und war dann ganz und gar wieder Gretchen Frank, in diesem Augenblicke aber herrschte die Frau Professorin vor, die mit sehr viel Haltung neben ihrem Vater saß und ihm von ihrem Leben in J. erzählte.

„Ja, Papa, der Aufenthalt bei Dir wird uns eine rechte Erholung sein,“ sagte sie und fuhr sich mit dem Taschentuche über das blühende Gesicht, das nichts weniger als erholungsbedürftig aussah. „Wir von der Universität werden ja fortwährend von allen nur möglichen Interessen in Anspruch genommen und müssen überall unsere Stellung vertreten. Wir Germanisten stehen ja überhaupt im Vordergrunde der wissenschaftlichen Bewegung.“

Du scheinst mir allerdings sehr im Vordergrunde zu stehen,“ meinte der Administrator, der mit einiger Verwunderung zuhörte. „Sage einmal, Kind, wer sitzt denn eigentlich auf dem Lehrstuhle in J.? Du oder Dein Mann?“

„Die Frau gehört zum Manne; also kommt das auf eins heraus,“ erklärte Gretchen. „Ohne mich hätte Emil die Professur überhaupt gar nicht annehmen können, so bedeutend er auch als Gelehrter ist. Professor Weber sagte ihm noch vorgestern in meiner Gegenwart: ‚Herr College, Sie sind ein Schatz für unsere Universität, aber für das praktische Leben taugen Sie ganz und gar nicht; darin wissen Sie sich nicht zurechtzufinden; es ist nur ein Glück, daß Ihre junge Frau Sie darin so energisch vertritt.‘ Er hat auch vollkommen Recht – nicht wahr, Emil? Ohne mich wärst Du in gesellschaftlicher Hinsicht verloren.“

„Ganz und gar!“ bestätigte der Professor gläubig und mit einem Blicke dankbarer Zärtlichkeit auf seine Gattin.

„Hörst Du, Papa, er sieht es ein,“ wandte sich diese an ihren Vater. „Emil ist einer von den wenigen Männern, die es begreifen, was sie an ihrer Frau haben. Hubert hätte das nie gethan – Apropos, wie geht es denn eigentlich dem Assessor? Ist er noch immer nicht Regierungsrath?“

„Nein, noch immer nicht! Und aus Groll darüber hat er seine Entlassung genommen. Mit dem Beginne des nächsten Monats verläßt er den Staatsdienst.“

„Welch ein Verlust für die Ministersessel unseres Landes!“ spottete Gretchen. „Er hatte einen davon bereits für die Zukunft mit Beschlag belegt und probirte regelmäßig die Ministerhaltung, wenn er in unserem Wohnzimmer saß. Plagt ihn noch immer die fixe Idee, überall Verschwörer und Hochverräther zu entdecken?“

Frank lachte. „Das weiß ich wirklich nicht, denn ich habe ihn seit Deiner Verlobung kaum gesehen und nicht ein einziges Mal gesprochen. Seitdem hat er mein Haus in Acht und Bann gethan, nicht ganz mit Unrecht. Du hättest ihm die Nachricht auch wohl schonender mittheilen können. Wenn er jetzt nach Wilicza kommt, was nicht oft geschieht, so steigt er unten im Dorfe ab, ohne den Gutshof zu betreten. Ich bin der Verhandlungen mit ihm überhoben, seit Herr Nordeck die Polizeiverwaltung selbst in Händen hat. Uebrigens kann der Assessor jetzt für einen reichen Mann gelten; er war ja der Haupterbe des Professor Schwarz, der vor einigen Monaten gestorben ist.“

„Wahrscheinlich am Gallenfieber,“ ergänzte die Frau Professorin.

„Gretchen!“ mahnte ihr Gatte, halb bittend, halb vorwurfsvoll.

„Mein Gott, er hatte doch nun einmal ein so galliges Temperament. Er war darin gerade so extrem, wie Du es in Deiner Langmuth bist. Stelle Dir vor, Papa, Emil hat gleich nach seiner Berufung nach J. an den Professor geschrieben, einen Brief voll Demuth und Liebenswürdigkeit, in welchem er sich förmlich entschuldigte, sein Nachfolger geworden zu sein, und feierlich seine Unschuld an dem ganzen Universitätsstreite versicherte. Der Brief ist natürlich nie beantwortet worden; trotzdem fühlt sich mein Herr Gemahl jetzt, wo diese unliebenswürdige Berühmtheit endlich aus der Welt geschieden ist, veranlaßt, ihm einen großartigen Nachruf zu widmen, und beklagt darin den Verlust für die Wissenschaft, als wäre der Verstorbene sein innigster Freund gewesen.“

„Ich that es aus voller Ueberzeugung,“ sagte Fabian in seiner sanften ernsten Weise. „Der schroffe Charakter des Professors hat nur zu oft die Anerkennung beinträchtigt, die man ihm schuldig war. Ich fühlte mich verpflichtet, daran zu erinnern, was die Wissenschaft in ihm verloren hat. Mag sein persönliches Auftreten gewesen sein wie es wolle, er war eine bedeutende Kraft.“

Gretchen warf verächtlich die Lippen auf. „Meinetwegen! Aber jetzt zu der Hauptsache! Herr Nordeck ist also nicht in Wilicza?“

„Nein,“ versetzte der Administrator einsilbig. „Er ist verreist.“

„Ja, das wissen wir; er schrieb meinem Manne schon vor längerer Zeit, daß er einen Ausflug nach Altenhof zu machen beabsichtigte und wahrscheinlich einige Wochen dort bleiben werde. Jetzt, wo er alle Hände voll im Wilicza zu thun hat – das ist doch seltsam!“

„Waldemar hat Altenhof ja stets als seine eigentliche Heimath betrachtet,“ wandte der Professor ein. „Er konnte sich deshalb auch nie entschließen, das Gut zu verkaufen, das ihm Herr Witold im Testamente vermachte. Es ist nur natürlich, daß er die Stätte seiner Jugendzeit einmal wieder aufsucht.“

Gretchen machte eine sehr ungläubige Miene. „Du solltest Deinen ehemaligen Zögling doch besser kennen! Der hängt sicher keinen sentimentalen Jugenderinnerungen nach, während er mitten in der Riesenarbeit ist, seine slavischen Güter zu germanisiren. Dahinter steckt etwas Anderes, wahrscheinlich seine Liebe zu der Gräfin Morynska, die er sich endlich einmal aus dem Sinne schlagen will, und das wäre auch das Beste. Diese Polinnen sind bisweilen ganz unvernünftig in ihrem nationalen Fanatismus, und Gräfin Wanda ist es nun vollends. Dem Manne, den sie liebt, ihre Hand nicht reichen zu wollen, nur weil er ein Deutscher ist! Ich hätte meinen Emil genommen und wenn er

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 834. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_834.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)