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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


sich in stylvoller architektonischer Umrahmung die Fläche einer Gefängnißthür, aus deren Guckloche ein eingesperrter Würdenträger den verdrießlichen Kopf als Wasserspeier streckte. Rechts und links auf den Verstärkungen der Pilaster saßen zwei Kindergenien, deren einer in dummtrotzigem Ausdrucke die lichtfeindliche Putzscheere, der andere mit frömmelnd bittendem Blicke den geldheischenden Klingelbeutel handhabte. Ueber dem Ganzen dann thronte der Faun mit der Zeusmaske. Der architektonische Aufbau war trefflich, die Figuren sprechend im Ausdrucke und meisterlich behandelt, ja der Faun zuoberst ein ausgemachtes Kunstwerk, wie es nur ein bedeutender und origineller Meister erfinden und ausführen kann. Stadtklatsch und Zeitungskrieg folgten wie immer, wenn man der Gesellschaft „am wunden Zahne wackelt“, und dauerten an, bis irgend ein anderes Ereigniß den boshaften Faun ablöste.

Von Kunstwerken bleibt auf die Länge der Zeit nichts bestehen als die Kunst; jeder andere Reiz, mag er nun dem Formengeschmack oder dem Gedankengebiete angehören, schwindet mit der Erinnerung an die Zeit und Umstände seiner Entstehung. Wenn man nun bei Roth’s Faun von aller Deutung abstrahirt und ihn allein für sich auf seinen Kunstwerth hin ansieht, so verliert er nicht nur nichts, sondern die in ihm verkörperte plastische Idee kommt erst recht zur Wirksamkeit. Mit einem originellen schöpferischen Geiste verbindet Roth die größte Kenntniß des Nackten, wie man es von dem Verfasser des anatomischen Atlasses nicht anders erwarten kann. Es sind jetzt zwölf Jahre, daß Roth, unbefriedigt von den literarischen und instructiven Hülfsmitteln seiner Kunst zum Studium der Anatomie, den Entschluß faßte, selbst Hand anzulegen und auf dem Umwege durch die anatomische Anstalt in München eine höhere Stufe in seiner Kunst zu erklimmen und damit auch Anderen einen bequemeren Weg zu bahnen. Bei den Professoren der medicinischen Facultät fand er die lebhafteste Unterstützung, und nach den für ihn als Vorlage gearbeiteten Muskelpräparaten schuf er nun seine erste Lehrfigur, welche alsbald in den Besitz der Akademie überging. Mit gereifterem Können und Wissen ging er nach weiteren Studien an die Herstellung der Musterfigur eines Athleten im Acte des „Stemmens“, den er in zwei Exemplaren mit und ohne Epidermis (als Muskelpräparat) ausführte. Nach diesen Figuren wird gegenwärtig auf allen Akademien und Kunstschulen in Deutschland und England Anatomie gelehrt, und auch dem anatomischen Atlas (Stuttgart, Ebner und Seubert), den Roth später in zwei Theilen herausgab, sind sie in verschiedenen Positionen zu Grunde gelegt. Nach diesen didaktischen Werken kehrte der Künstler, der unterdessen den Titel eines Professors der Akademie erhalten hatte, zur Ausübung frei schaffender Kunst zurück und war zunächst im Genre- und Portraitfache thätig. In dieser Zeit entstanden die Büsten verschiedener Koryphäen der Universität, ausgezeichnet durch ihre wohlüberlegte stechend-scharfe Charakteristik bei sorgfältiger Ausführung und getragen von einer breiten, fast wuchtigen Auffassung. Der markige Kopf des Anatomen Bischoff mit seiner selten großartigen und ernsten Architectur der Gesichtsformen mag den Besuchern der Wiener Weltausstellung wohl erinnerlich sein. Die Büste wurde nebst der des Zoologen Siebold in der Münchener Anatomie aufgestellt.

Von den Genrescenen, die Roth mit größter Originalität zu erdenken und auszuführen weiß, möchte der „Kampf um das Frühstück“, gegenwärtig im Besitze des Herzogs Karl Theodor von Bayern, den Preis verdienen. Das Stück spielt sich ab zwischen einem nackten Knaben, einer unverschämten Gans und einem angebissenen Butterbrod und steht an Lebendigkeit der Erfindung, an wirklich plastischer Durchlebung des Motivs und geistreicher Behandlung der Oberfläche vermöge ausschließlicher Meißelarbeit über dem Meisten, was in dieser Gattung von deutschen Künstlern geschaffen wird. Aber manche Entwürfe, die im Laufe der Zeit bekannt geworden sind, zeigen, daß Roth’s eigentliche Aufgaben höher liegen, als das Gebiet des Genre, daß seine einzige Kenntniß der Anatomie, seine Fähigkeit zur Erfindung bewegter Gestalten ihn nach der monumentalen Sculptur hindrängen. Man muß sie sich häufig als Kolossalfiguren denken (z. B. den eben besprochenen Faun), wie sie eine Parkanlage oder sonst einen geschlossenen Landschaftsausschnitt beherrschen, wo dann die freie Natur und das Kunstwerk, wie in der besten Zeit des sechszehnten und siebenzehnten Jahrhunderts, sich gegenseitig zur hebenden Folie dienen müssen. Ganz besonders war des Künstlers „Wacht am Rhein“ in diesem Sinne gedacht. Es war das nicht die herkömmliche drapirte Frauengestalt mit Fahne, Schwert und Adler, sondern ein auf einer Felsspitze wie auf einem natürlichen Luginsland sitzender Hüne, das Bärenfell um Kopf und Schultern, die Keule auf den Knieen im sicheren Bewußtsein seiner Stärke ruhig hinausblickend in Feindesland. Kraft und Ruhe sprachen sich in jedem Muskel aus, und doch saß er da, sprungbereit, als ob er jeden Augenblick auffahren und seine Genossen zu den Waffen rufen könnte. Mit solchen Werken beschränkte sich der Künstler freilich gleich von vornherein die Zahl der Bewunderer; denn ein französischer Mäcen wird sich schwerlich die erwähnte Teutonengestalt, ein deutscher Kirchenfürst kaum den bedeutungsvollen Faun für seinen Park in’s Große übertragen lassen. – Roth’s letzte große Arbeit ist durch ihre äußere Bestimmung allerdings solchen Aufgaben verwandt. Es ist dies die Kolossalbüste des verstorbenen Prinzen Karl von Bayern, welche für den Park des Schlosses zu Tegernsee, wo der greise Prinz die letzten Jahre seines Lebens verbrachte, bestimmt ist. Sie ist sicher Roth’s Meisterstück im Portraitfache und sieht gegenwärtig in Carrara, wo der Künstler zu diesem Zwecke weilt, ihrer Vollendung entgegen.

F. K.




Das „gefährliche“ Karlsbad.
Ein Protest gegen die Vorurtheile über Karlsbad.
Von Dr. med. Eduard Hlawacek.


Seit fünfunddreißig Jahren kämpfe ich in meiner Monographie über Karlsbad,[1] die bereits in zwölfter Auflage erschienen ist, gegen den genannten Feind, und – ich muß es mit einiger Genugthuung sagen – nicht ganz ohne Erfolg; denn die Reihen des Feindes sind schon bedeutend gelichtet. Aber demungeachtet cursiren noch immer in ziemlich weiten Kreisen, und zwar nicht blos unter Ungebildeten, sondern zum Theil sogar unter sonst hochgebildeten Besuchern unseres Curortes, ja – ich scheue mich nicht, es recht laut zu sagen – sogar noch bei einer nicht eben geringen Anzahl von Aerzten so große und zum Theile geradezu unbegreifliche Vorurtheile, daß es sich wohl der Mühe lohnt, einmal in einem vielgelesenen und in allen Schichten des Volks verbreiteten Blatte gegen den besagten Feind anzukämpfen, da medicinische Monographien relativ doch nur von Wenigen gelesen werden.

Das wichtigste dieser Vorurtheile ist aber das Vorurtheil in Betreff der vermeintlichen Gefährlichkeit der Mineralquellen von Karlsbad. Die Furcht vor Karlsbad ist hier und da so arg, daß man es für gerathen hält, sein Testament zu machen, bevor man die Reise in dieses höchst gefährliche Bad antritt, und man ist der Meinung, daß man es nur als letzten Zufluchtsort, wenn alle übrigen Mittel fehl geschlagen, in Anspruch nehmen dürfe. Man glaubt, daß man davon bei der geringsten Unachtsamkeit, zum Beispiel durch ein Schläfchen nach Tische, oder den Genuß der geringsten Menge Butter, ganz besonders aber roher Früchte, namentlich der Erdbeeren oder Kirschen oder wohl gar des leibhaftigen „Gottseibeiuns“, des – Salats nämlich, unfehlbar den Tod haben müsse, wobei man sich gewöhnlich das erbauliche Histörchen erzählt, daß ein Engländer – denn freilich kann ja nur ein Engländer ein solcher Wagehals sein – nach dem Genusse von blos drei Kirschen augenblicklich ein Kind des blassen Todes war, indem sich, wie das blöde Vorurtheil glaubt, die Kirschen, wenn der Karlsbader Curgast sie genießt, in das heftigste Gift verwandeln.

Was in aller Welt, fragen wir im Ernste, kann wohl in

  1. Karlsbad in geschichtlicher, medicinischer und topographischer Beziehung. Von Med. Dr. Eduard Hlawacek. Karlsbad, 1876, Hans Feller, Mk. 4. 80.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 802. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_802.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)