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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


aber der Südländer hat viel von seinem heißen Wesen hineingemalt. Dieses Bild könnte für ein Portrait der Lea gelten; es ist eine merkwürdige Aehnlichkeit.

Wo ein Sonnenstrahl hinfällt, da wird selbst das Düster verklärt. Die schöne Lea brachte Licht und Freude in die wüste Schenke. Es ist kaum zu sagen, wie Eltern und Geschwister an ihr hingen, mit welcher zitterigen Liebe sie das Mädchen umfaßten, mit welchem thörichten, unbeholfenen Stolze sie es feierten, mit welcher rührenden Hingebung sie sein Leben schmückten und bewachten. Der alte Gavriel war ein wohlhabender Mann, denn die Schenke lag auf gutem Posten, und den Schnaps zu wässern oder das Geborgte mit doppelter Kreide anzuschreiben, verstand kein Wirth in Podolien besser. Aber es ist doch eigentlich ein Wunder, daß er zu einigem Besitzthum kam – so ungemein viel Geld wandte er auf die Lea. Freilich in seiner Weise; das Kind lernte nichts, als nothdürftig die Gebete lesen, aber dafür behing er den schönen Leib mit den schwersten Stoffen und Ketten, und sie ging an Wochentagen einher, wie nicht einmal des reichsten Mannes Tochter am Neujahrstage.

Schon die Familie hätte also genügt, das Mädchen eitel zu machen, wohl auch hoffärtig. Aber ebenso sorgten die anderen Leute redlich dafür: die Frauen durch ihren Neid, die Männer durch ihre Bewunderung. Die Lea weckte in den jungen Juden von Barnow Empfindungen, wie sie sonst selten in solchen Busen zu keimen pflegen. Denn gewöhnlich denkt so ein langlockiger Jüngling an kein Mädchen der Welt, bis ihm endlich sein Vater eines Tages sagt, er sei verlobt. Bei der Verlobung, oft genug auch erst bei der Hochzeit, sieht er sich dann seine Braut an, und ob sie ihm nun gefällt oder nicht, er beschließt, sich an sie zu gewöhnen, was ihm denn auch in den meisten Fällen gelingt. Aber an die Lea dachten Viele, und wenn sie über die Straße ging, so ereignete sich oft sogar das Unerhörte, und es blickte ihr Einer nach. Ja sogar in der „Klaus“, wo die stillen, frommen, sehr träumerischen und sehr wasserscheuen Talmudisten über den großen Folianten nickten, ward zuweilen ihr Name genannt und mancher tiefe Seufzer hörbar, der nur ihr galt.

Das erfuhr die schöne Lea freilich nicht. Aber andere Leute sorgten dafür, daß sie nicht darüber in Zweifel bleibe, ob sie gefalle oder nicht. Da waren die kühnen Gymnasiasten von Barnow, die sich immer in den Ferien sterblich in sie verliebten, in sie und in die „Esterka Regina“, ein anderes schönes Judenmädchen, das gleichfalls ein trauriges Ende genommen. Da waren die noch kühneren Edelleute, die oft vor der Schenke hielten, auf ein Gläschen Schnaps und auf ein kleines Gespräch. Da waren die allerkühnsten Husaren-Officiere, die in dem fuselgeschwängerten Raume ihre Zeit vergeudeten, welche übrigens auch sonst schwerlich nützlich angewandt worden wäre.

Hier freilich geschah es ohne jeglichen Nutzen. Denn eitel war die Lea, aber auch brav, gut und rein. Ihr Herz war so weich und mitleidig, wie man es selbst unter den grundgütigen Frauen dieses Volkes selten findet, und jeder Arme nannte ihren Namen mit inbrünstiger Verehrung. Nur war sie eben verliebt in die eigene Schönheit und besonders in ihr Haar, das ja auch von seltener Herrlichkeit war. Wenn sie die schweren kunstvollen Flechten löste, dann fluthete es herab wie eine mächtige Goldwelle und schmiegte sich bis an die Kniee um den Leib, ein leuchtender seidener Mantel, wie ihn keine Königin je schöner getragen. Von diesem ihrem Schmucke hatte sie auch ihren Spitznamen „Lea mit den langen Haaren“.

Die Juden von Barnow waren der festen Ueberzeugung, daß die Lea nie heirathen würde; die Frauen hofften, die Männer fürchteten es. Denn sie reifte heran, ward siebenzehn-, ward neunzehnjährig und hatte noch immer keinen Freier für werth erachtet, sie zu besitzen. Das war unerhört unter den Leuten dieser Landschaft, welche sonst schon halb entwickelte Kinder miteinander verheirathen. Aber hier ging es auch anders zu, als sonst: Der alte Gavriel fragte seine Tochter um ihren Willen. Und Lea sagte regelmäßig kurz und entschieden: „Nein!“ Die Bewerber wagten sich schließlich gar nicht mehr heran, nachdem sogar Jossef Purzelbaum einen Korb bekommen, der Sohn des reichsten Mannes im Kreise, und der kleine Chaim Machmirdas, der im dritten Gliede mit dem Rabbi von Sadagóra verschwägert war. Daß man einen Menschen aus so heiliger Familie verschmähen könnte, war unfaßbar und kam einer persönlichen Beleidigung Gottes fast gleich. Aber die Lea wagte diesen Frevel und fuhr fort, die Heirathsvermittler zur Verzweiflung zu treiben. Schließlich wagten es diese Leute kaum mehr die Schenke zu betreten, obwohl es im Allgemeinen Menschen giebt, welche scheuer, schamhafter und rücksichtsvoller sind als jüdische Heirathsvermittler in Podolien. Und einer von ihnen, Herr Itzig Türkischgelb, pflegte zu sagen: „Ich bin ein alter Mann, aber ich hoffe doch noch die Verheirathung der Lea und die Ankunft des Messias zu erleben. Das letztere freilich eher als das erstere.“ Denn Itzig Türkischgelb war ein recht munterer Herr.

Da sollte dennoch das Entgegengesetzte wahr werden. Und als der Name des Glücklichen bekannt ward, da war das Staunen darüber noch größer, als über die Thatsache selbst. Den Ruben Rosenmann oder Ruben der Rathhauser, wie er, wegen der Lage seines Kramladens im Städtchen genannt wurde, war weder reich noch aus frommer Familie und obendrein Wittwer. Aber er war ein schöner Mensch, hoch und stattlich, dabei ernst und still. Er hielt etwas auf sein Aeußeres und trug den Kaftan um eine Spanne kürzer, als die Anderen. War er doch auch zwei Jahre in einer größeren Stadt gewesen, in Brody, und las, sprach und schrieb das Hochdeutsche. Wahrscheinlich darum stand er im Rufe eines Freigeistes, den er sonst durchaus nicht verdiente; er befolgte sclavisch alle Gebote, nicht blos des Glaubens, sondern auch sogar des Aberglaubens.

Warum die Lea just ihn gewählt, darüber gab sie Jedem, der es hören wollte, Aufschluß: „Weil er mir gefallen hat.“ Das war freilich ein Grund, der bei einem podolischen Judenmädchen unerhört war. Darum forschte man bei den Heirathsvermittlern, ohne jedoch auch hier mehr erfahren zu können. Selbst Herr Türkischgelb mußte zugestehen, daß diese Verlobung nicht seinem Talente zuzuschreiben. Wohl hatte ihn Ruben ausgesendet, aber Lea hatte erklärt: „Er selbst soll kommen, wenn er mir etwas zu sagen hat.“

Ruben war gekommen; die jungen Leute hatten eine lange Unterredung, wohl an die zwei Stunden. Was sie da verhandelt, wußte Niemand, erfuhr Niemand, nicht einmal die Eltern des Mädchens. Nur der alte Gavriel erlauschte, wie Ruben einmal laut und bewegt, fast feierlich sagte: „Willst Du es denn unumstößlich – gut, ich wehre Dir nicht. Vor Gott ist es wohl keine Sünde, aber vor diesen Menschen. Darum hüte Dein Geheimniß! Sie würden Dich und mich vernichten, wenn sie es erführen.“ Aber der Alte drang vergeblich in die Tochter, auch ihm das Geheimniß zu offenbaren.

Bald darauf war die Hochzeit. Die Lea war unter dem Trauhimmel schöner anzuschauen, denn je. Und doch fehlte ihr nun ihr schönster Schmuck: das Goldhaar. Keine verheirathete Frau darf ihr eigenes Haar tragen; es wird vor der Trauung kurz abgeschnitten, hier und da auch der Kopf rasirt. Die Blöße bedeckt man mit einem hohen wollenen oder seidenen Aufsatze, dem „Scheitel“. So will es der alte, starre Glaube, und so wird es gehalten. Sein eigen Haar zu tragen, würde nicht blos als Zeichen der Schamlosigkeit gelten, sondern eine ungeheuere Versündigung gegen Gott bedeuten. Aber die Lea duldete es wenigstens nicht, daß sich Fremde an ihr vergriffen; mit eigener Hand schnitt sie sich in verschlossener Kammer das Haar vom Haupte.

Es ward eine sehr glückliche Ehe. Und es begab sich noch ein Weiteres, das größte Wunder: die Lea ward demüthig und gehorchte ihrem Gatten. Selbst der Neid mußte eingestehen, daß der lange Ruben ein treffliches Weib habe. Das fühlte er auch, und als ihm bald darauf eine süße Hoffnung winkte, kannte sein Glück keine Grenzen. Aber diese Hoffnung erfüllte sich nicht; das Kind kam vorzeitig und todt zur Welt. Der Arzt schob dies auf eine Erkältung der Mutter. Aber der Rabbi von Barnow war anderer Ansicht. Er ließ Lea holen und fragte sie, ob sie sich nicht etwa dadurch diese Strafe Gottes zugezogen, weil sie heimlich eines seiner Gebote übertreten. Lea wurde todtenbleich, aber sie sagte fest: „Nein, Rabbi!“

Das war im Frühling gewesen. Im zweitnächsten Herbste

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 787. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_787.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)