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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Gretchen sprang auf, so daß der Stuhl zurückflog. „Da haben wir es! Aber daran und Sie schuld, Herr Doctor Fabian, Sie allein. Sehen Sie mich nicht so erstaunt und erschrocken an! Sie haben mich damals verleitet, den Assessor nach Janowo zu schicken, wo er sich den Schnupfen holte. Aus Furcht, er könne ernstlich krank werden, nahm ich den Patienten in Pflege. Seitdem ist es bei ihm zur fixen Idee geworden, ich liebe ihn, und von seinen fixen Ideen ist er nicht abzubringen – das sehen wir an den ewigen Verschwörungsgeschichten.“

Sie weinte fast vor Aerger, das Gesicht des Doctors aber verklärte sich förmlich bei dieser ungeheuchelten Entrüstung.

„Sie lieben den Assessor nicht?“ fragte er mit fliegendem Athem. „Sie beabsichtigen nicht, ihm Ihre Hand zu geben?“

„Einen Korb werde ich ihm geben, wie er noch nicht dagewesen ist,“ versetzte die junge Dame energisch, und war im Begriff, noch einige Injurien gegen den armen Hubert hinzuzufügen, als sie dem Blick des Doctors begegnete. Sie wurde auf einmal dunkelroth und verstummte völlig.

Die nun entstehende Pause dauerte ein wenig lange. Fabian rang offenbar mit einem Entschlusse, der ihm bei seiner Schüchternheit sehr schwer fiel; er setzte mehrere Male vergebens zum Sprechen an; vorläufig sprachen nur seine Augen, aber so deutlich, daß Gretchen nicht gut im Zweifel bleiben konnte über das, was ihr bevorstand. Diesmal jedoch fiel es ihr nicht ein, davonzulaufen oder ein paar Saiten auf dem Clavier entzweizuschlagen, wie sie es mit Vorliebe that, wenn die Gefühle des Assessors zum Ausbruch zu kommen drohten; sie hatte sich wieder hingesetzt und wartete der kommenden Dinge.

Nach einer Weile näherte sich denn auch der Doctor, freilich sehr scheu und ängstlich.

„Mein Fräulein,“ begann er. „Ich glaubte in der That – das heißt: ich setzte voraus – die innige Neigung des Assessors für Sie –“

Er hielt inne und besann sich, daß es doch sehr unpraktisch sei, von der innigen Neigung des Assessors zu reden, wo er von der seinigen sprechen wollte. Gretchen sah, daß er im Begriff stand, sich rettungslos zu verwickeln, und daß sie ihm zu Hülfe kommen müsse, was denn auch geschah. Es war freilich nur ein Blick, den sie ihrem zaghaften Freier zuwarf, aber er sprach ebenso deutlich, wie vorhin der seinige. Der Doctor faßte auf einmal Muth und ging mit unerhörter Kühnheit vorwärts.

„Der Irrthum hat mich sehr unglücklich gemacht,“ sagte er. „Noch gestern hätte ich nicht gewagt, Ihnen das zu gestehen, obgleich es mir fast das Herz abdrückte. Wie konnte ich, dessen ganze Existenz von der Großmuth Waldemar’s abhängig war, Ihnen mit Wünschen nahen! Der heutige Morgen hat das Alles geändert. Die Zukunft, die man mir bietet, läßt es wenigstens nicht mehr als eine Vermessenheit erscheinen, wenn ich meinen Gefühlen Worte gebe. Fräulein Margarethe, Sie haben mir vorhin meine entsagungsvolle Natur zum Vorwurf gemacht; wenn Sie wüßten, wie sehr ich von jeher auf die Entsagung angewiesen war, Sie würden den Vorwurf zurücknehmen. Ich bin stets einsam und unbeachtet durch das Leben gegangen, mit einer trüben und freudlosen Jugend, mit den härtesten Entbehrungen habe ich mir das Studium erkaufen müssen, und doch nichts damit gewonnen, als eine Abhängigkeit von fremden Launen oder fremder Güte. Glauben Sie mir, es ist schwer, mit einem ernsten hohen Streben, mit der glühenden Begeisterung für die Wissenschaft im Herzen, Tag für Tag zu der Fassungskraft von Knaben herabzusteigen, die man in den Anfangsgründen des Lernens unterrichten muß, und ich habe das lange thun müssen, sehr lange, bis Waldemar mir die Möglichkeit gab, meinen Studien zu leben, und mir die Laufbahn öffnete, die sich jetzt vor mir aufthut. Es ist wahr, ich wollte sie ihm opfern, wollte ihm die ganze Berufung verschweigen, aber damals hielt ich Sie noch für die Braut eines Anderen, jetzt dagegen –“ er hatte die Hand des jungen Mädchens ergriffen; fort waren Scheu und Verlegenheit; jetzt, wo er einmal in Fluß gekommen war, stürzten ihm die Worte nur so von den Lippen – „jene Zukunft verheißt mir so Vieles; ob sie mir auch Glück verheißen soll, das liegt einzig in Ihren Händen. Entscheiden Sie, ob ich sie annehmen oder zurückweisen soll, Margarethe –!“

Er war jetzt genau so weit gekommen, wie damals der Assessor, als er die große Kunstpause machte, die seinem beabsichtigten Kniefall voranging, und mit beiden stecken blieb, weil seine Angebetete gerade im entscheidenden Augenblicke davonlief. Der Doctor versuchte nun zwar keinen Kniefall, dafür vermied er aber auch glücklich die verhängnißvolle Pause; er sprach ohne Stocken und Zögern weiter, während Gretchen mit niedergeschlagenen Augen vor ihm saß und mit unendlicher Befriedigung zuhörte, und Liebeserklärung, Jawort und sogar die schließliche Umarmung gingen prompt und ohne Störung von Statten. –

Herr Assessor Hubert kam die Treppe herunter; er hatte den Kutscher wieder einmal vernommen, und zwar so lange und so ausführlich, bis sie Beide müde und matt waren, und gedachte nun, sich von den anstrengenden Pflichten seines Amtes zu erholen, indem er den Gefühlen seines Herzens freien Lauf ließ. Der arme Hubert! Er hatte ja selbst gesagt, daß es sein Schicksal sei, überall zu spät zu kommen; wie sehr dies aber gerade heute der Fall war, ahnte er noch gar nicht. Seine Abreise war auf den Nachmittag festgesetzt, aber vorher wollte und mußte er noch mit seiner Bewerbung in’s Klare kommen. Er war fest entschlossen, diesmal nicht ohne Jawort abzureisen, und in dem Eifer dieses Entschlusses öffnete er die Thür des Vorzimmers so energisch und geräuschvoll, daß das neue Brautpaar im anstoßenden Gemache Zeit hatte, eine ganz unverfängliche Haltung anzunehmen. Gretchen saß am Fenster und der Doctor stand bei ihr, dicht neben dem Clavier, das zur großen Erleichterung des eintretenden Assessors diesmal geschlossen war.

Hubert grüßte herablassend. Es lag stets etwas Gönnerhaftes in seinem Wesen, wenn er mit dem Doctor verkehrte, der in seinen Augen nichts weiter war, als ein pensionirter Hauslehrer, dessen ganze Wichtigkeit in seinen Beziehungen zu dem Herrn von Wilicza bestand. Heute nun, bei der beabsichtigten Erklärung, war ihm Fabian geradezu im Wege, und er gab sich durchaus keine Mühe, das zu verbergen.

„Ich bedaure zu stören. Sie halten wohl gerade französische Uebung mit dem Fräulein?“

Der Ton war so nachlässig, so ganz in der Art wie man zu einem bezahlten Lehrer spricht, daß selbst die Gutmüthigkeit des Doctors nicht davor Stand hielt. Er hatte es bisher noch nie über sich gewonnen, dieses Benehmen zu rügen, das sich Hubert oft genug gegen ihn erlaubte, heute aber verletzte es seine neue Bräutigamswürde doch gar zu empfindlich; er richtete sich empor und sagte mit einer Haltung, die Gretchens höchste Befriedigung erregte:

„Sie irren – wir übten uns in einer ganz anderen Wissenschaft.“

Der Assessor merkte durchaus nichts; er war ganz mit dem Gedanken beschäftigt, wie er diesen unbequemen Menschen möglichst schnell beseitigen könne.

„In der historischen vielleicht?“ fragte er malitiös. „Das ist ja wohl Ihr Steckenpferd? Leider ist es wenig geeignet für junge Damen. Sie werden das Fräulein damit langweilen, Herr Doctor Fabian.“

Dieser wollte antworten, aber Gretchen kam ihm zuvor; sie fand, daß es jetzt die höchste Zeit war, dem Herrn Assessor einen Dämpfer aufzusetzen, und unterzog sich dieser Mühe mit außerordentlichem Wohlgefallen.

(Fortsetzung folgt.)




Vom Rostocker Pfingstmarkt.


„Nu kiek ens den spaßigen Kierl mit de rohre Apenjack’, mit Goldsnur beset’t, wo de sick upspält – as en kalkut’schen Hahn!“

Damit zog der alte Herr in langem, blankbeknopftem Gehrock und Wasserstiefeln den Kopf aus der Lücke im Leinwandgezelt. Ich hatte seine der Straße zugekehrte nördliche Körperhälfte ob ihrer kolossalen Dimensionen soeben mit stillen Staunen betrachtet; nun blickte ich in das frischrothe, immer heitere Gesicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 768. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_768.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)