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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


das Wartezimmer zu verlassen, reichte sie der jungen Frau noch einmal die Hand.

„Gott behüt’ Sie, Fräulein!“ sagte Monika und sah sie mit voller Liebe an. „Grüßen Sie den Herrn General und kommen Sie gesund wieder! Eh’ Sie aber fortgehen, lassen Sie sich noch Eins sagen – das ist mein Morgen- und Abendgebet: Vergelt’s Gott, Alles!“

Der Conducteur schloß die Thür. Monika blieb dahinter stehen und blickte durch die Scheiben, bis der Zug von dannen war. Ein schwerer Seufzer hob ihre Brust. Sie kam sich recht verlassen vor.

Als sie den bedeckten Gang des Perrons entlang ging, sah sie eine ihr bekannte Frau in einen der Wartesäle dritter Classe treten. Es war die Wittwe eines Unterofficiers, welche zu den Schützlingen Fräulein von Wittstein’s gehörte. Die Frau war mit Gepäck beladen, und Monika ging ihr nach, um zu erfahren, ob sie fortreiste und wohin; auf ihre Frage erfuhr sie, daß dieselbe zu Verwandten in’s Oberland wollte.

„Ich bin zu früh hier; der Schalter ist noch zu,“ sagte die Frau. „Wüßt’ ich, daß meine Sachen hier sicher lägen, so könnte ich gut noch einen nöthigen Gang in’s Karlsthor machen. Ich glaubte, es wär’ dafür schon zu spät.“

„Dann gehen Sie nur, Frau Kern!“ sagte Monika, „ich bleibe so lange da und hab’ Acht auf Ihr Gepäck; ich hab’ im Augenblick nichts zu versäumen.“

Das Anerbieten wurde dankbar angenommen, und Monika setzte sich ruhig in dem leeren Wartezimmer nieder und dachte an ihre Reisende. Der Kopf that ihr weh; es war ihr eine Wohlthat, vor dem grellen Sonnenschein draußen geschützt zu sein und in dem Winkel des kühlen, etwas düsteren Wartezimmers zu sitzen. Sie hatte all das Gepäck vor sich auf den Tisch gelegt, stützte ihre schmerzende Stirn dagegen und schaute auch nicht auf, als nach ein paar Minuten Jemand eintrat.

Als sie sich nach einer Weile aufrichtete, sah sie an einem der Tische des übrigens leeren Zimmers einen Mann sitzen, der einen Soldatenmantel und auf dem verbundenen Kopfe eine Militärmütze trug. Er saß mit dem Rücken gegen sie, hatte aber schon für ihren ersten, zerstreuten Blick etwas so Bekanntes. Sie sah schärfer hin – ein Stich ging ihr durch das Herz; der Soldat dort hatte gerade solch eine Figur, wie ihr Wilhelm. So pflegte er hinzusitzen, wenn er unbeschäftigt war. Das Herz schlug ihr so heftig, daß ihr fast der Athem verging – sie wußte nicht warum. Aber dem Manne, der ihrem Wilhelm so ähnlich schien, mußte sie in das Gesicht sehen – es war ein Verwundeter; sie konnte ihm vielleicht in etwas helfen. Sie stand auf und machte ein paar hastige Schritte gegen ihn hin. Der Soldat wandte bei dem Geräusch mechanisch den Kopf.

Heiliger Gott, es – war Wilhelm!

Sie stürzte auf ihn zu; sie umklammerte ihn mit beiden Armen, um ihn eben so plötzlich wieder los zu lassen und an seinem Gesicht, an seinen Händen herumzutasten, wie ein Blinder, der wissen will, ob er sich im Erkennen nicht irrt.

„Du bist am Leben?! Wilhelm, Wilhelm, Du bist wieder da?!“

Er faßte sie in seine starke Arme und hielt sie fest und dicht an seine Brust geschlossen. Große Tropfen rollten über sein männliches Gesicht. Damit saßen die Beiden zusammen nieder, sein Arm um ihren Leib, Wange an Wange, und schwiegen in den nächsten Augenblicken ganz still. Sie streichelte ihm nur die Hände. Endlich sagte er mit tiefem Athemzuge: „Jetzt ist Alles gut.“

Monika besann sich. „Ist es wirklich gut?“ sagte sie mit ängstlichem Blicke auf den Verband, welchen er am Kopfe trug. „Du bist verwundet – ist das schlimm? Wilhelm, wo kommst Du her? Bist Du von den Todten auferstanden? Sieh mein Kleid an! Ich trag’ seit vier Wochen Trauer um Dich.“

Er sah sie liebreich an und strich mit leiser Hand über ihr Gewand hin. „Das hab’ ich wohl gewußt,“ sagte er, „aber nicht, wie Dir dabei im Herzen zu Muthe war. Oft dacht’ ich daran und hätt’ ein Glied vom Leibe drum gegeben, das zu wissen. – Alles ist ganz natürlich zugegangen, Monika. Ich war für todt liegen geblieben, wie die Franzosen aber auf den Platz kamen, sahen sie wohl, daß ich mich noch regte, und nahmen mich mit. Da hab’ ich im feindlichen Lazareth gelegen, und zweimal sind Gefangene ausgewechselt worden, ohne daß ich nur davon was erfahren hätte, denn ich wußte nicht viel von mir selber, so lang ich so im Fieber dalag. Wie es besser ging – es hat gar keine Gefahr mehr, Monika – wie es also besser ging, bin ich mit noch Einigen zum Austausch an mein Regiment escortirt worden, und weil ich noch keinen Dienst thun kann, haben sie mir Urlaub gegeben, damit ich mich daheim auscurire. Bei der Gelegenheit hab’ ich auch den Herrn General gesprochen und von dem erfahren, daß Du bei dem Fräulein bist. Er hat eigens meine Reisekarte über München ausstellen lassen.“

„Und doch hast Du – weiter gewollt?“

„Wie hätt’ ich vor Dich hintreten können, Monika, nach Dem, was Du mir zuletzt gesagt hast? Ich meinte, wenn Du erführest, daß ich noch da bin, und denkst jetzt anders, dann müßtest Du mir selbst ein gutes Wort zukommen lassen. Wissen konnt’ ich ja nichts. Deßwegen hab’ ich nicht einmal in meinen Heimathsort schreiben mögen, als sie mir bei’m Regiment sagten, ich wär’ dorthin für todt gemeldet. Daß Du es jetzt bald erfahren würdest, wußt’ ich. Der Herr General hatte seinen Spaß daran, daß er mit der Nachricht das Fräulein überraschen wollte. Der Herr war gut zu mir, hat mich beschenkt und mir auch einen sicheren Civilposten in Aussicht gestellt, aber so lang er mit mir redete, war mir traurig genug zu Muth. Er wußte ja nichts, wie es mit uns Zwei stand, und machte seine Späße.“

Monika schwieg und verbarg ihr Gesicht an seiner Brust. „Hast Du mir denn verziehen, daß ich fort ’gangen bin?“ fragte sie endlich scheu.

„Ich hab’s begriffen; drum hab’ ich’s auch verzeihen müssen,“ sagte er in tief treuherzigem Tone. „Ich hab’ Dich viel zu lieb, als daß ich Dir lang hätte bös sein können. Und unser liebes Kind hat auch immer Deinen Namen gerufen, so oft es mir in den Sinn kam.“

Die junge Frau umschlang ihren Mann mit überströmenden Augen. „Und von Dir, Wilhelm, hab’ ich gemeint, Du hättest kein Herz! Verzeih’, o verzeih’ mir und vergiß für alle Zeit, daß – ich kein’s hatte, als ich Dich allein gelassen hab’! Jetzt bleiben wir beisammen in Ewigkeit.“

A. Godin.




Blätter und Blüthen.

Immergrüne Weihnachtsbäume. Während ich vor Kurzem mit dem Pflanzen junger Fichten beschäftigt war, erhielt ich den Besuch eines Pfarrers aus der Umgegend, der meine Gartenanlagen anzusehen wünschte. Da in denselben die Nadelhölzer eine ziemlich reiche Verwendung gefunden haben, theils freistehend, theils in Gruppen oder Hecken, so hatte ich wohl schon Gelegenheit, zu bemerken, welches Interesse, ja welche Bewunderung dieselben jederzeit bei den Besuchern erregten, und war namentlich deshalb, weil die Verpflanzung derselben im Allgemeinen vom Laien für eine sehr schwierige gehalten wird und etwaige Versuche damit ihm auch in der Regel mißlingen. Fast schwärmend äußerte sich aber der erwähnte geistliche Herr, und das frische Aussehen meiner Fichtenanpflanzungen veranlaßte ihn zu der halb vorwurfsvollen, halb ermunternden Frage, warum ich nicht auch Fichten und Tannen in Kübel einsetze, um so dieselben auch im Zimmer, und zwar insbesondere in Krankenzimmern, halten zu können. Suche man der Trockenheit der Zimmerluft durch Zimmer-Springbrunnen abzuhelfen, warum nicht diese Luft durch die würzigen Ausathmungen der immergrünen Nadelhölzer noch verbessern? In jedem Hause, vor Allen in Spitälern, Speisesälen, Corridors sollten Tannen und Fichten in Kübeln stehen! Die schönste Verwendung würde sie aber als Weihnachtsbäume finden. Seit Jahren habe er, wenn das liebliche Weihnachtsfest herannahe, mit Trauer daran gedacht, daß nun so viele Tannen- und Fichtenbäumchen gefällt, oder Spitzen hoher Tannen abgebrochen würden. Wie viele Nadelbäume könnten vor frühzeitigem Untergang bewahrt werden, denn jedes eingesetzte und gedeihende Bäumchen würde jedes Jahr einem Bruder im Walde das Leben retten. Seit etwa zehn Jahren habe er den Weihnachtsbaum in der eigenen Familie angezündet; hätte er gleich im ersten Jahre wenn auch nur einen kleinen lebenden Baum gehabt, so wären neun von dessen Brüdern mit ihm am Leben geblieben. Und erst welche Freude würde es den Kindern gewähren, wenn ihr Liebling nicht mehr entfernt zu werden brauchte, sondern den ganzen Winter hindurch, sei es auch ohne Schmuck, im Zimmer bliebe, und mit welcher Freude werden die Kinder den lieben Winterfreund auch im Sommer im Garten pflegen! Wird der Baum zu groß für das Zimmer, nun, so setze man

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 763. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_763.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)