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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


unheimlichen Kampf hin, in welchem die Gewohnheit des Daseins mit dem unerbittlichen Mahner Tod um die letzte ärmliche Minute ringt. Er war gestorben, wie Dichter sterben sollen. Der Todesgenius schien mit leisem Kusse ihm den letzten Hauch von den Lippen geküßt zu haben; das Leben ihm wie in einem schönen Dichtertraume verklungen zu sein. Das auf dem Pfühl wie schlummernd ruhende Haupt war noch der alte, mähnenumwogte Löwenkopf, mit der trutziglichen Stirn. Nur daß neben den gewaltigen plastischen Zügen – man könnte fast von granitnen Formationen dieses Kopfes sprechen – die langen Leiden seiner letzten Krankheit, vor Allem aber die, in einem ergreifend schönen Gedichte geklagte, Trauer um das junge Leben seines 1873 in hoffnungsvoll jugendlicher Lebensfrische durch ein tückisches Nervenfieber dahin gerafften Sohnes Otto, wie mit leisen Meißelschlägen ihre Spuren gekennzeichnet haben. Das treffliche Buchner’sche Photographie-Bildniß unseres Dichters, das diesen in seiner vollen dichterischen, wie eine Welt herausfordernden Energie darstellt, ist wenige Wochen vor dem Tode seines geliebten Otto aufgenommen. Der elegisch trauernde Zug auf dem Antlitze des verblichenen Dichters erinnerte mich unwillkürlich an Thorwaldsen’s sterbenden Löwen von Luzern!

Ich meine, daß selten wohl das Bildniß eines Dichters zugleich als Illustration zum Verständniß seiner Dichtungen und seines Lebens so habe gelten können, wie der Charakterkopf Ferdinand Freiligrath’s. –

Ludwig Walesrode.




Die deutsche Communisten-Colonie der „Wahren Inspirations-Gemeinde“ in Iowa.
Von Wilhelm Müller.


Mitten in den Prairien Iowas, etwa zweiundsiebenzig englische Meilen von Davenport, liegt eine blühende Niederlassung, welche den hochklingenden Namen Amana führt und aus mehreren Dörfern besteht. Wird ein deutscher Reisender zufällig in eines derselben verschlagen, betritt er dann des Abends die Schenke und sieht den sandbestreuten Fußboden, die langen gescheuerten Tische, die plumpen Bänke ohne Lehnen an den Wänden des niedrigen, durch eine Oellampe spärlich erhellten Raumes, so ist er geneigt, seinen Augen zu mißtrauen oder eine allzu lebhafte Thätigkeit seiner Phantasie anzunehmen. Tritt jedoch der wohlbeleibte Wirth im kurzen Wammse, die Zipfelmütze auf dem Kopfe und eine Pfeife im Munde, näher und erkundigt sich im oberländischen oder elsässischen Dialekte nach den Wünschen des Gastes, so wird diesem ganz auerbachisch zu Muthe, und er fragt sich: „Befinde ich mich denn in dem Westen der Vereinigten Staaten auf den Prairien Iowas, oder in einer Schwarzwälder Dorfkneipe?“ Bleibt der Reisende in dem Wirthshause über Nacht, so wird die Illusion durch die Einrichtung des Schlafzimmers, durch den kahlen Boden und das mächtige Federbett in der Ecke verstärkt und schwindet erst, wenn er am nächsten Morgen einen Spaziergang durch das Dorf macht. Die einfache Bauart der Häuser, die Anlage der Gärten und vor Allem die Tracht der Bewohner tragen zwar dazu bei, den gestern empfangenen Eindruck wieder aufzufrischen; allein die hölzernen Seitenwege der Straße, die flachen Schindeldächer der Gebäude und der regelmäßige Plan wie die Neuheit des Dorfes sind specifische Eigenschaften eines amerikanischen Landstädtchens und erinnern ihn daran, daß er sich nicht in der alten Heimath, sondern an den Ufern des Iowa-Flusses in einer von deutschen Pietisten gegründeten Colonie befindet.

Im Jahre 1816, so erzählen die Jahrbücher der „Wahren Inspirations-Gemeinde“, wurde Michael Krausert, ein Straßburger Schneider, durch die Gnade des Herrn zu einem „Werkzeuge“ erwählt und begann unter Mitwirkung eines Schweizers, Namens Christian Metz, in der Umgegend von Constanz und Schaffhausen durch kräftige Ermahnungen die Herzen frommer Landleute und Handwerker zu rühren und dieselben zu einem gottseligen Leben zu erwecken. Barbara Heynemann, „eine arme und ganz ungelehrte Dienstmagd aus dem Elsaß“, war auserlesen, die einfachen Lehren dieser Männer durch Offenbarungen, welche sie von dem heiligen Geiste empfing, zu bestätigen. Allein verblendet vom bösen Feinde, richtete sie ihr Auge mit Wohlgefallen auf einen jungen hübschen Bauernburschen, Georg Landmann, und heirathete selben trotz ernstlicher Ermahnung der Aeltesten. Da ging sie ihres heiligen Amtes auf längere Zeit verlustig, und Christian Metz wurde vom Geiste zum „Werkzeuge“ berufen. Unter seiner Leitung sammelte sich während der dreißiger Jahre eine größere Anzahl von Gläubigen in Armenburg, wo sie den Offenbarungen des Herrn aus dem Munde seiner Heiligen lauschten und zu einigem Wohlstande gelangten, aber von „Babylon“ verfolgt wurden, da sich die Mitglieder weigerten, den Unterthaneneid zu leisten und ihre Kinder in die Pfarrschulen zu schicken.

Im Jahre 1842 wurde dem Christian Metz durch eine besondere Eingebung vom Geiste befohlen, die verschiedenen Gemeinden zusammen zu berufen und mit ihnen nach Amerika auszuwandern, wo sie nach den Lehren des Herrn und den Forderungen ihres Gewissens ihr Leben einrichten könnten.

Im September desselben Jahres segelte Metz mit vier Begleitern nach den Vereinigten Staaten und kaufte in der Nähe von Buffalo von der Regierung fünftausend Acker Landes, die von den nachkommenden Brüdern besiedelt wurden. Bei dem Baue der Blockhütten und der Urbarmachung der Felder hatten die Ansiedler Vieles unter den Feindseligkeiten der Indianer zu leiden. Durch die Freundlichkeit ihres Benehmens und die Ehrlichkeit im Tauschhandel mit den Rothhäuten wußten sie den Haß derselben zu entwaffnen, während es ihnen durch ausdauernde Thätigkeit, kluge Sparsamkeit und geschickt geleitete Geschäftsunternehmungen gelang, ihre Schulden zu bezahlen, neue Ländereien zu erwerben und die Colonie in hohe Blüthe zu bringen.

Die Gründung der Gemeinde auf einer communistischen Grundlage war ursprünglich von den Auswanderern nicht geplant. Sie hatten sich im fernen Westen eine Freistätte erworben, auf der sie, unbehelligt durch Regierungserlasse und ungestört durch die Agitation orthodoxer Priester, ihr Leben gänzlich dem Herrn weihen und zur Vorbereitung auf die bessere Welt benutzen wollten. Sollten nun Alle der Segnungen dieses Asyls und der reinen Lehre aus dem Munde der Heiligen theilhaftig werden, so mußten sie nothwendiger Weise in Gemeinschaft mit einander leben. Leider waren jedoch die Aermeren gezwungen, hart zu arbeiten und konnten sich nicht, wie die Wohlhabenderen, während der Woche geistlichen Uebungen widmen; auch hatte man nicht Arbeit genug für die Handwerker, und diese mußten sich ihren Lebensunterhalt in den umliegenden Dörfern zu verdienen suchen. Unter diesen kritischen Verhältnissen hatte Metz, der die fünf Bücher Mosis genau studirt und die Taktik des alttestamentarischen Gesetzgebers vollkommen begriffen zu haben scheint, eine Offenbarung, in Folge deren er Gemeinschaft der Güter proclamirte, und „von dieser Stund’ an, erzählt die Chronik, „goß des Herrn Segen Fülle und Wohlstand über die Seinen“.

Um diese Zeit scheint Barbara Heynemann aus Deutschland angekommen und bald nach ihrer Niederlassung unter den Gläubigen ihren früheren Einfluß wieder erlangt zu haben. Sie wahrte von da an, in Gemeinschaft mit Metz, die geistlichen Interessen der Brüder und ist seit dem Tode des Propheten, im Jahre 1867, alleiniges Werkzeug und höchste geistliche Autorität der „Wahren Inspirations-Gemeinden“.

Einige Jahre früher hatte die Commune fünfundzwanzigtausend Acker Land in Iowa erworben, und sobald sich günstige Gelegenheit zum Verkaufe ihres Eigenthums bot, verließen die respectiven Familien die alte Colonie „Eben-Ezer“ und siedelten sich auf dem neuen Besitzthume „Amana“ an.

Die religiöse Anschauung der Amaniten gipfelt in dem Glauben an die Nothwendigkeit eines streng geistlichen Lebens auf dieser Erde zur Vorbereitung für das Jenseits und zeigt die entschiedenste Abneigung gegen die Anwendung von Ceremonien beim Gottesdienste, sowie alle Formen im gewöhnlichen Leben. Sie glauben an die Dreieinigkeit, an die Auferstehung der Todten, an ein letztes, allgemeines Gericht, jedoch nicht an die Ewigkeit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 756. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_756.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)