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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


an die Adresse desjenigen zu richten, der den Mitlebenden die unlösbaren Aufgaben gestellt, der, unbekümmert um die Leistungsfähigkeit unserer modernen Bühne und im steten Hinblicke auf die vor keiner Schwierigkeit zurückbebende Vollkommenheit einer Bühne, die da kommen soll, den capriciösen Ausschreitungen seiner despotischen Phantasie willig nachgegeben hat – an die Adresse des Urhebers Richard Wagner.

Und da ich hier von einer zukünftigen Musterbühne spreche, wie sie Wagner für die Aufführung seiner Werke erheischt, fällt mir ein Ausspruch ein, den Wolfgang Goethe gethan hat – ein Schriftsteller, auf den ich mich immer gern berufe. Als diesem von einem jungen genialen Dichter, von Kleist, das Drama „Penthesilea“ zugeschickt wurde, von dem der Verfasser sagte, die Bühne seiner Zeit sei für dasselbe noch nicht reif, aber vielleicht werde eine Zeit kommen, in welcher dieses seltsame Stück doch noch zur vollen Geltung kommen werde – auch dieser Wechsel auf die Zukunft ist bis jetzt noch nicht eingelöst –, da antwortete ihm Goethe am 1. Februar 1808:

„ … Erlauben Sie mir zu sagen (denn wenn man nicht aufrichtig seyn sollte, so wäre es besser, man schwiege gar), daß es mich immer betrübt und bekümmert, wenn ich junge Leute von Geist und Talent sehe, die auf ein Theater warten, welches da kommen soll. Ein Jude, der auf den Messias, ein Christ, der auf’s neue Jerusalem und ein Portugiese, der auf den Don Sebastian wartet, machen mir kein größeres Mißbehagen. Vor jedem Bretergerüste möchte ich dem wahrhaft theatralischen Genie sagen; hic Rhodus, hic salta“ Auf jedem Jahrmarkte getraue ich mir, auf Bolen über Fässer geschichtet, mit Calderon’s Stücken, mutatis mutandis, der gebildeten und ungebildeten Masse das höchste Vergnügen zu machen. Verzeihen Sie mir mein Geradezu: es zeugt von meinem aufrichtigen Wohlwollen.“[1]

Mit diesen Worten lassen Sie mich schließen!

Ihr treu ergebener
Paul Lindau.




Bilder und Skizzen aus Potsdam.
Von Fedor von Köppen.
Mit Originalzeichnungen von Hermann Lüders.

Die Havelbrücke.

3.

Aus Spandau ließen wir unsere accordirten Pferde nach Potsdam abgehen, drei Meilen von Spandau. Selbiges ist wegen des Thiergartens berühmt, welcher sich auf etliche Meilen erstreckt und in dem sich eine große Anzahl Hirsche, Rehe und anderes Wild befindet, wegen des königlichen Schlosses und Gartens, als auch wegen der herrlichen Gegend und sonderlichen Fruchtbarkeit und Wein. Die Gegend um Potsdam ist ungemein angenehm und lustig, weswegen auch der alte Kurfürst Friedrich Wilhelm sich meistentheils allda aufgehalten. Durch Potsdam fließet auch die Havel und worin die Krebse daselbst hinter den Leuten ihren Wohnungen in großer Abundance gefunden werden.“

So lautet ein Auszug aus dem Reiseberichte eines Bremer Patriziers, der als Sohn eines wohlhabenden und angesehenen Raths- und Handelsherrn im Frühjahre 1706 Potsdam besuchte. Anders sind die Eindrücke, welche der Besuchende heutzutage – einhundertundsiebenzig Jahre später – von Potsdam empfängt. Paläste und Casernen, Forste und Lustparks, Hügel und Seen – dies Alles vereinigt sich hier zu einem Gesammtbilde eigener Art. Man vergleicht Potsdam mit einer „großen Caserne“, mit einer „Stadt, aus der die Bewohner vor dem Feinde geflohen und nur die Garnison zurückgeblieben, um sie zu vertheidigen“; man nennt es eine „steinerne Cabinetsordre“, aber auch eine „Oase in der Wüste“, ein „liebliches Idyll im brandenburgischen Sande“. Auch der Vergleich Potsdams mit Versailles liegt nahe, wenngleich in mancher Beziehung die solide Schöpfung der Hohenzollern wieder durchaus gar keine Parallele mit den übermüthigen Prachtbauten des vierzehnten Ludwig bietet. Was der Stadt Potsdam ihren besondern Reiz verleiht, das ist ihre historische Entwickelung, welche mit derjenigen des preußischen Königthums und der preußischen Monarchie gleichen Schritt gehalten hat. Alle Könige von Preußen haben mit Vorliebe an Potsdam gebaut, und die Spuren ihres Wirkens sind in der Physiognomie der Stadt noch so deutlich zu erkennen, daß nur wenig Phantasie dazu gehört, um sich nach ihnen die verschiedenen Epochen in dem Werden und Wachsen des preußischen Staates lebhaft vor die Seele zu rufen.

Man betrachte nur die langen, gleichmäßigen Straßenfronten gewisser Stadtviertel, in denen alle Häuser gleich hoch, gleich gerichtet dastehen, mit zwei Stockwerken und einem spitzen Giebel nach der Straßenseite, der mit seinem vorspringenden Erker der preußischen Grenadiermütze ähnlich sieht, und man wird unwillkürlich an die Wachparade König Friedrich Wilhelm’s des Ersten erinnert. Wir glauben sie im Geiste noch zu erblicken dort auf dem länglichen, ungepflasterten Platze zwischen dem königlichen Residenzschlosse und der Havel, der durch eine Colonnadenreihe von der Straße getrennt ist. Dort steht sie aufgepflanzt in Reih’ und Glied – wie ein zu Fleisch und Blut gewordener kategorischer Imperativ –, jene berühmte Riesenschaar, breitbeinig, kerzengerade, in knappen blauen Uniformen, hellen Westen, engen Kniehosen und Gamaschen. Unter der blanken, spitzen Grenadiermütze hervor schauen an den Schläfen die beiden weißen Puderlöckchen; über den breiten Rücken herab hängt in gemessener Länge der kunstvoll gedrehte Zopf. Keine Miene wird verzogen, keine Wimper zuckt, obschon

  1. Aus von Mausebach’s Sammlung, mitgetheilt in Hoffmann’ von Fallersleben „Findlingen“, S. 180.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 688. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_688.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)