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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Körben diente, während ein feuchtes Netz über seine kolossale Figur niederhing. Das junge Mädchen schlüpfte behende durch die Thür, doch wurde ihr Schritt langsamer, als sie die Stube betrat und dort den Vater sitzen sah. Der Wendelfischer, ein sehniger, schmal gebauter Mann mit scharfem Vogelgesichte, sah ihr mit so eigenthümlichen Ausdrucke entgegen, daß sie verwirrt an der Schwelle stehen blieb, ohne ein Wort herauszubringen.

„Das sind mir Sachen!“ sagte der Vater, indem er die Pfeife aus den Munde nahm. „Ist das neumodisch, daß man von so was daheim kein Schnauferle thut und schickt ohne Weiteres den Hochzeiter in’s Haus? Ist’s wirklich Dein Ernst, Monika?“

„Freilich, Vater! Und was war da im Voraus zu reden? Ich hab’s selber erst gestern erfahren, daß mich der Wilhelm gern hat.“

„Wenn doch einmal geheirathet sein muß, warum nimmst Du nicht lieber den Hafner in Chieming? Der hat ein gutes Geschäft, das brav Geld einträgt. Dem Huber sein Anwesen ist gering und Du mußt Dein Lebtag auf dem Dorfe hocken bleiben.“

„Das ist meine Sache,“ antwortete das Mädchen. „Wenn Ihr nichts weiter einzuwenden habt, dann ist’s abgemacht.“

„Einzuwendenden hätt’ ich gerade nichts. Der Huber hat mir seine Militärpapiere gezeigt, und ich war vorhin droben und hab’ mit dem General geredet; der ist ein zuverlässiger Mann und hat dem Wilhelm zu Gunsten gesprochen. Daß Du nicht ewig daheim bleibst, weiß ich auch. Wie Ihr Zwei miteinander auskommen werdet, geht Euch selber an. Soll mich wundern! Du hast immer den Schnabel in Bewegung, und der Huber redet so sparsam, als kostete jedes Wort einen Batzen. Du geräthst so leicht in Brand wie ein Pulverfaß, und der sieht so einerlei aus, als könnt’ die Welt in Stücke gehen, ohne daß er nur den Kopf herumdreht. Wie Ihr nur aufeinander verfallen seid? – Basta! Wann soll denn Hochzeit sein? Habt Ihr das auch schon ausgemacht?“

„Soll auf der Stelle ausgemacht werden,“ rief eine kräftige Stimme, und als Monika erschrocken herumfuhr, stand Wilhelm auf der Schwelle der Zimmerthür. Er mußte sich bücken, um eintreten zu können; zwei Schritte, und er stand neben Monika und drückte ihr einen herzhaften Kuß auf die Lippen.

Im nächsten Momente ließ er sie los. Stramm aufgerichtet stand er vor dem Wendelfischer und sagte in seiner knappen Weise: „Mit Verlaub könnte ich in ein paar Wochen wieder herkommen und die Monika holen, wenn es Ihnen recht ist. Meine Dienstzeit ist am ersten October um, der Herr General entläßt mich aber gleich, wenn er wieder daheim ist – das hat er mir versprochen. Ich komme also nächste Woche schon in meinen Ort und kann nach den Rechten sehen. Hauseinrichtung ist da, so viel wir vorerst nöthig haben. Wir brauchen also nicht zu warten. Blos ein Umstand ist’s, der mir Gedanken macht. Kann aber nicht geändert werden.“

„Was denn?“ sagte das junge Mädchen heiteren Auges.

„Du hältst so viel vom Wasser, Monika,“ sagte er bedenklich. „Daheim bei mir giebt’s keins, als im Brunnen.“

„Schadet nichts,“ rief Monika mit frischem Lächeln; „dafür giebt’s sonst Allerlei. Ich hab’ mir lange gewünscht, einmal was Anderes zu sehen und zu hören, als unsere Insel, die ich auswendig weiß. Jetzt setz’ Dich aber! Ich koch’ uns einen Kaffee.“

„Kann nicht sein; ich muß gleich wieder hinauf. Der Herr General will im Rollstuhle fahren. Ich hab’ mich nur gerade fortgemacht, während er seine Mittagsruhe hält. Das dauert aber nie lange.“

„Laß ihn halt ein Bissel warten!“ schmeichelte Monika. „Heut’ wird er’s schon nicht so genau nehmen. Lange darf ich ja auch nicht dableiben. Bis die Herrschaften ihren Kaffee verlangen, muß ich wieder droben sein. Das halbe Stündchen dürfen wir uns doch gönnen?“

Er schüttelte den Kopf. „Es geht nicht, Monika; meine Schuldigkeit muß gethan werden. Heut’ Abend, wenn der Herr im Bett ist, können wir beisammen bleiben; jetzt muß ich fort.“

Sie schmollte. „Morgen gehst Du fort und willst mir heute nicht den kleinen Gefallen thun? Giebt’s auch ein Bissel Verdruß, den Kopf wird’s nicht kosten. Na, sieh nicht gar so ernsthaft drein, Wilhelm! Ich bin schon still – geh’ nur! Ich red’ mit der Wirthin, daß sie mich heut’ Abend frühzeitig fort läßt, dann kommen wir alle Zwei herunter – gelt? Nun sag aber einmal – Du hast vom General geredet – weiß denn das Fräulein auch schon, wie es mit uns steht? Nicht? O, dann sag ich’s ihr selber, und gleich. Grüß Gott!“

Auf dem sonnigen Gesichte lag noch ein wenig von dem Schatten, der eben darauf gefallen, während sie an Wilhelm vorbei aus dem Zimmer und Hause schlüpfte und eilig hügel-aufwärts sprang, als wollte sie sich nicht einholen lassen. Als sie die Höhe erreicht hatte, wo uralte Linden einen kreisförmigen Grasplatz umgeben und inmitten des rührigen Lebens ringsum eine Stätte grüner, wunderbarer Einsamkeit schaffen, stand sie vor einem der mächtigen Stämme still. Dort war ein Madonnenbild in die Rinde eingelassen, dessen Angesicht auf die Häuser am Strande niederlächelte, welche im Sonnenglanze ruhten. Monika faltete die Hände. Der zwischen Empfindlichkeit und Schelmerei gemischte Ausdruck ihrer Züge wandelte sich in Ernst. Ihre Gedanken bekamen Flügel; sie murmelte leise Worte, ohne selbst recht zu wissen, was sie sprach. Sie gab ihr neues Glück der Muttergottes zum Aufheben.

Als ihre Augen sich senkten, sah sie zu Füßen der schattenreichsten Linde Valentine Wittstein im Grase ruhen; den Kopf leicht an der Stamm gelehnt, war dieselbe in ein Buch vertieft. Im nächsten Augenblicke stand Monika vor ihr. „Fräulein – Fräulein! Ich muß Ihnen etwas sagen. Fräulein, denken Sie doch – ich heirathe den Wilhelm.“


Der Vollmond war in seiner ganzen Pracht aufgetaucht und hob sich langsam über den See. Valentine saß auf ihrem Lieblingsplatze, den breiten Stufen, welche den Endpunkt des Dampfschiffsteges erhöhten, und genoß das Schweigen. Der leise Ruf der Unken vom Ufersaum störte nicht, sondern erhöhte noch den Eindruck der Stille. Das Mondlicht lag wie eine Brücke von Silber und Perlen über dem ruhigen Wasser, und die Wasserfäden, welche ihre feinen Ranken hinab in die Tiefe spannen, schienen es durstig einzutrinken. Schilf und Binsen schillerten bläulich; an den Aesten der Uferbäume blinkte silbernes Licht. Das geistliche Haus drüben im Klosterbering, das seine freie Ostseite dem See zuwendet, war gleichsam gebadet im weißen Schimmer; jedes einzelne Blatt des Obstspaliers, das es bis unter den Dachgiebel umflicht, ließ sich zählen. Jenseits hielten die Berge geisterhafte Wacht, umwogt von Nebeldünsten, die sich auf und niederbewegten wie riesige Phantome. Einzelne Gipfel hoben sich in voller Klarheit gegen den Sternenhimmel ab, bis ihnen die aufsteigenden Nebelschemen den Schleier über das Haupt warfen und sie vergingen. Der wallende Brodem verhüllte, was er umfing, und erschien doch schimmernd und durchsichtig, wie ein silbergewirktes Gewebe.

Valentinens Auge war von dem glänzenden Wasser abgewandt; es hing an den dunstigen Höhen. Sie war so tief in Gedanken, daß sie das Nahen eines Schrittes überhörte und zusammenfuhr, als Bernardin sie begrüßte.

„Störe ich Sie, Fräulein Valentine? Dann gehe ich wieder.“

Sie wandte ihm ihr Gesicht zu, ohne die Thränen zu entfernen, welche schwer in den Wimpern hingen. „Sie stören mich nie, lieber Freund,“ sagte sie ruhig. „Im Gegentheil bin ich dem Zufall oder dem freundlichen Willen, der Sie hergeführt recht dankbar, denn ich befinde mich heute nicht in zuträglicher Gesellschaft, wenn ich allein bleibe.“

„Ich sah Ihnen den ganzen Tag über an, daß Sie in irgend einer Weise leiden, deshalb kam ich Ihnen nach,“ entgegnete er einfach. „Ich weiß, daß Sie offen sein würden, wenn Sie lieber allein bleiben möchten. In bedrückter Stimmung ist das aber nur ein süßes Gift, und es freut mich, daß Sie sich dies selbst zugeben. Es ist sonst nicht der Frauen Art, noch weniger die der Jugend. Erst wenn man viel Leben hinter sich hat, fürchtet man die Schmerzen und weicht ihnen aus.“

„Hätten Sie eine Vorstellung, wie alt ich mich fühle, Bernardin, dann wüßten Sie auch, daß ich mit der Art der Jugend überhaupt nichts mehr gemein habe. Weit weniger als Sie – glauben Sie mir das?“

Er lächelte. „Nein, Fräulein, ich glaube das nicht. Sehen

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