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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


vom Fischerhause, und wir werden gleich erfahren, ob wir Aussichten haben.“

Im Begriff, nach dem Wirthshause einzubiegen, hörte Monika den Ruf des Fräuleins und eilte flink herbei. Ihre prächtige Gestalt erschien stets am vortheilhaftesten in der Bewegung; der elastische Schritt, die freie Haltung des Kopfes hoben noch ihre Stattlichkeit. Das reiche Blondhaar schimmerte in der Sonne.

„Der Vater muß nach Prien, Fräulein, und der Bube ist schon mit dem kleinen Boote voraus,“ sagte sie eilig; „aber ich habe zuvor schon mit der Wirthin geredet. Wenn die Herrschaften bis Mittag zurück sein wollen, darf ich Sie fahren.“

Der General blickte wohlgefällig auf die blühende Erscheinung. „Ganz schön, Monika,“ sagte er zustimmend; „wird die Ladung aber nicht zu schwer für zwei Arme? Sie bekommen dreifache Fracht; wenn wir drüben bis zum rothen Kreuze wollen, brauche ich den Wilhelm.“

„Hat keine Gefahr, gnädiger Herr,“ sagte sie munter. „Drei machen mir nicht bange, und wenn der Herr Wilhelm mitfährt, lege ich doppelte Ruder in’s Schiff, oder er soll steuern. Was man nicht kann, lernt man. Um welche Zeit soll ich unten sein?“

Herr von Wittstein sah nach der Uhr. „Wenn es angeht, so fahren wir gleich. Und hören Sie, Monika, da Sie jetzt hineingehen, können Sie dem Wilhelm sagen, was wir ausgemacht haben – vergessen Sie aber nicht, ihm auch zu vermelden, wer die Schifferin ist! Wir kommen bald nach.“

Er lachte. Der mürrische Zug verschwand für einen Moment aus dem bärtigen Gesichte, und aus dessen hundert Falten lachte eine Jovialität, die man vor wenig Augenblicken nicht in ihrem Versteck errathen haben würde. Der Anflug gemüthlicher Heiterkeit warf gleichsam einen Reflex. Valentinens Auge hing freudig und zärtlich an den belebten Zügen des Vaters. So blickt man in eine traulich bekannte, von Nebeln verhüllte Landschaft, wenn ein vorübergehender Sonnenstrahl sie beleuchtet.

Monika begab sich inzwischen nach der Gaststube, wo die Wirthin saß und ihrer Gäste „Beichte hörte“, das heißt mit Jedem, der da kam, reihum die Rechnung des vorigen Tages richtig machte. Dort fand sich sogleich Gelegenheit, ihre Botschaft an den Diener des Generals auszurichten, welcher sich eben im Interesse seiner Herrschaft nach dem heutigen Küchenzettel erkundigte. Nach geschehener Meldung an die Wirthin nahm das Mädchen den Bootschlüssel vom Haken belud sich mit ein paar Rudern und eilte hinter dem Hause hügelabwärts nach der kleinen Bucht, in welcher die Badehütten standen und an deren Eingange die beiden dem Wirthshause zugehörenden Boote angekettet lagen. Sie war noch geschäftig, das kleinere derselben sorgsam auszuschöpfen, als der Bediente, mit Plaids und Fußkissen beladen, gleichfalls hinabkam, ihr, ohne ein Wort zu sprechen, mit freundlichem Gesicht die Schöpfkelle aus der Hand nahm und das Geschäft gewandt vollendete.

„Wie Ihnen das von der Hand geht, Herr Wilhelm!“ sagte Monika neckend. „Ist’s denn wahr, daß Sie nicht rudern können? Ich glaube, Sie stellen sich nur so, um auf dem Wasser Feiertag zu haben.“

„Bin wirklich so ungeschickt, hab’s wenigstens noch nicht probirt,“ erwiderte der junge Mann treuherzig. „Das kommt eben, weil ich nie am Wasser gehaust hab’. Zur Noth, daß ich ein wenig schwimmen kann, und auch das hab’ ich erst als Soldat gelernt, und es geht damit nur so, so.“

„Wie lange sind Sie denn schon beim Militär?“ fragte Monika, während sie den Schiffsboden vollends trocken rieb.

„Just zwei Jahre. In ein paar Wochen ist meine Zeit um, und ich darf wieder heim.“

„Da sind Sie gewiß froh. Nun gar nach der gräulichen Kriegszeit!“

„Na, davon bin ich gerade nicht viel gewahr worden. Der Herr General hat ja den Schuß gleich zu Anfang abbekommen, und weil ich dazumal schon lange als Bursche bei ihm war, bin ich commandirt worden, mit ihm in’s Feldlazareth und dann in sein Haus zu gehen. Dort ist mir’s gut genug ergangen, besser, als ich’s daheim haben kann. Man ist aber doch lieber sein eigener Herr. Ich hab’ zwar kein Vater und Mutter mehr, aber doch ein Häuserl und ein bissel Feld, was mein ist; drum freu’ ich mich heim, wo man doch wieder ordentlich die Arme rühren kann.“

„Wo sind Sie denn zu Haus, Herr Wilhelm? Sie sagen, daß da kein Wasser wäre – das kann ich mir schon gar nicht vorstellen, wie die Welt ohne Wasser ausschauen mag. So schön wie bei uns kann’s da gewiß nicht sein.“

Sie ließ ihr Auge über den See hinschweifen, und der durch täglichen Ausdruck fremder Bewunderung genährte Heimathstolz leuchtete darin auf. Mit ihr zugleich sah Wilhelm auf das Wasser, und Beide machten, ehe er noch ihre Frage beantwortet, eine Bewegung des Erschreckens. Mitten im See schwamm ein mit Heu beladenes Boot, welches von einem etwa vierzehnjährigen Mädchen regiert wurde. Auf dem Heuhaufen saßen ein paar Kinder, im Alter von ungefähr vier bis sechs Jahren, die sich balgten. Das kleinste Mädchen kam in diesem Moment aus dem Gleichgewichte und kugelte kopfüber hinab in das Wasser. Bei diesem Anblicke verlor die Schifferin offenbar den Kopf; das Ruder glitt ihr aus der Hand; hülfloses Geschrei der Kinder schallte kläglich über den See hin.

Monika machte mit rascher Geistesgegenwart ihren noch festgeschlossenen Kahn von der Kette los, ehe sie aber damit zu Stande war, hatte Wilhelm bereits den Rock abgestreift, schritt in dem seichten Wasser auf dem Kiesgrunde weit aus und schwamm, sobald er die nöthige Tiefe erreicht, rüstig in der Richtung des Unfalls vorwärts. Das durch den Ostwind nach dem jenseitigen Ufer zugetriebene Heuschiffchen entfernte sich immer weiter von dem Kinde, welches bis jetzt durch seine Röcke auf der Oberfläche erhalten ward. Trotz Monika’s Anstrengung, die mit eifrigem Ruderschlage vorwärts strebte, machte ihr der ungünstige Wind viel zu schaffen und sie kam ihrem Ziele nur langsam näher. Schon war es aber dem jungen Manne geglückt, das Kind zu fassen und über Wasser zu halten. Nun aber schienen seine Bewegungen unsicher zu werden. Monika besann sich, daß er sich erst vor wenig Minuten als ungeübter Schwimmer bekannt hatte, und ward von Angst erfaßt. Das Kind im Arme, in unbekanntem Gewässer, das gerade an jener Stelle nicht nur besonders tief, sondern auch von Strömungen durchkreuzt wurde; wie leicht konnte der brave Mensch seinen guten Willen mit dem Leben bezahlen!

Sie rief ihm ermuthigende Worte zu und setzte all ihre junge Kraft ein. Mit äußerster Anstrengung strebte sie ihm entgegen. Jetzt glückte es. Sie gelangte in seine Nähe, konnte ihm das Kind aus den Armen nehmen, ihm in ihr Schiff helfen. Als sie Beide geborgen sah, strömten ihr die Augen über. Das kleine Mädchen lebte und bewies dies durch mächtiges Schreien, nachdem Monika es mit einem der warmen Plaids umwickelt hatte, die auf der Schiffsbank lagen. Als sie Wilhelm den zweiten hinreichte, schüttelte er den Kopf und erfaßte statt dessen ihre Hand mit starkem Drucke.

„Ein Glück, daß Sie besser rudern, als ich schwimme,“ sagte er mit tiefem Athemzug.

„Mehr Glück noch für das böse Mädel da, daß Sie sich darauf erst jetzt besinnen,“ rief Monika lebhaft. „Bis ich mit dem Schiffe hingekommen wär’, hätte sie drunten bei den Fischen gelegen. Und jetzt hör’ auf zu heulen, Mädi, und ein andermal sitz’ still, wenn Du auf dem See bist! Sobald wir am Lande sind, Herr Wilhelm, muß ich den Nichtsnutz heim tragen; es ist ein Nachbarskind, und seine Mutter wird einen schönen Schrecken haben. Geschieht ihr aber schon recht; warum giebt sie die wilden Dinger mit, wenn die Zenz Heu fahren soll; die ist ja selber noch nicht lang gefirmelt. Und Sie, Herr Wilhelm, müssen halt geschwind in’s Haus und sich aus dem nassen Zeuge schälen – sagen Sie nur den Herrschaften, ich wär’ gleich wieder da.“

Das Boot landete.

„Der Herr General wird schön wettern, daß ich nicht am Platze bin,“ sagte Wilhelm. „Könnte er allein fortkommen, dann wär’ er längst unten. Grüß Gott, bis nachher, und – vergelt’s Gott!“ Noch einmal umschloß er fest des Mädchens Hand und sah sie an. Beide wurden in demselben Moment dunkelroth bis unter die Haare.

Monika antwortete nichts auf sein Dankeswort. Sie nickte nur flüchtig mit dem Kopfe und eilte, das Kind im Arme, aufwärts. Ohne an seinen triefenden Zustand zu denken, sah ihr der junge Mann nach, so lange eine Spur von ihr zu unterscheiden war, dann athmete er tief auf. Ueber seine einfachen Züge ging ein Glanz.

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 662. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_662.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)