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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Bogen um den Rasenplatz, von einer Fügsamkeit war aber noch lange nicht die Rede. Der Goldfuchs sträubte sich immer wieder von Neuem gegen die Hand, die ihn mit so eisernem Griffe regierte, und suchte mit seinen blitzschnellen, unberechenbaren Bewegungen den Reiter zum Sturze zu bringen, doch Nordeck’s Aussehen zeigte, daß das alte Ungestüm wieder in ihm wach geworden war. Flammendroth im ganzen Gesichte, mit sprühenden Augen und zusammengebissenen Zähnen gebrauchte er Peitsche und Sporn in einer so erbarmungslosen Weise, daß Leo außer sich gerieth. Der Gefahr seines Bruders hatte er ruhig zugesehen, diese Mißhandlung seines Lieblings ertrug er nicht.

„Waldemar, hör’ auf!“ rief er zornig hinüber. „Du ruinirst mir ja das Pferd. Wir haben es jetzt Alle gesehen, daß Vaillant Dich trägt. Laß’ ihn endlich in Ruhe!“

„Erst werde ich ihm Gehorsam beibringen.“ In Waldemar’s Stimme klang die wildeste Gereiztheit; er kannte jetzt keine Rücksicht mehr, und Leo’s Einspruch hatte keine andere Wirkung, als daß das Pferd bei der zweiten Tour um den Rasenplatz noch schonungsloser behandelt wurde, als vorhin. Als es zum dritten Mal mit seinem Reiter die Runde machte, hatte es sich ihm endlich gefügt. Es widerstrebte nicht mehr, hielt die vorgeschriebene Gangart inne und stand auf einen einzigen Druck des Zügels am Schlosse still, freilich in einem Zustande, als müsse es jeden Augenblick zusammenbrechen.

Nordeck stieg ab. Die Herren umringten ihn, und es fehlte nicht an Complimenten für seine Reitkunst, wenn auch unleugbar eine Verstimmung auf der ganzen Gesellschaft lag. Leo allein sprach kein Wort; er streichelte stumm das zitternde schweißtriefende Roß, an dessen glänzend braunem Fell sich Blutspuren zeigten. So furchtbar hatten ihm die Sporen Waldemar’s zugesetzt.

„Das war ja eine Kraftprobe ohne Gleichen,“ sagte Graf Morynski; man hörte den Worten das Gezwungene an. „Vaillant wird den Ritt sobald nicht wieder vergessen.“

Waldemar war seiner Erregung bereits wieder Herr geworden, nur die Röthe auf seiner Stirn und die hoch-angeschwollene blaue Ader an den Schläfen gaben noch Zeugniß von seiner inneren Erhitzung, als er erwiderte:

„Ich mußte das Lob der Gräfin Morynska, daß ich beinahe so gut reite als mein Bruder, doch einigermaßen zu verdienen suchen.“

Wanda stand neben Leo mit einem Ausdruck, als habe sie selbst eine Niederlage erlitten, die sie nun auf Tod und Leben rächen müsse; so drohend flammte es aus ihren dunklen Augen.

„Ich bedauere, daß mein unvorsichtiges Wort dem armen Vaillant diese Mißhandlungen zugezogen hat,“ entgegnete sie mit fliegendem Athem. „An eine solche Behandlung ist das edle Thier allerdings nicht gewöhnt.“

„Und ich nicht an einen solchen Widerstand,“ versetzte Waldemar scharf. „Es ist nicht meine Schuld, daß Vaillant sich nur den Sporen und der Peitsche fügen wollte – fügen mußte er sich nun einmal.“

Leo machte dem Gespräch ein Ende, indem er sehr laut und demonstrativ seinem Reitknecht befahl, den Goldfuchs, der „dem Zusammenbrechen nahe sei“, in den Stall zu führen und alle mögliche Sorgfalt für ihn zu tragen, dann aber rasch ein anderes Pferd zu satteln und zur Stelle zu bringen. Graf Morynski, der einen Ausbruch fürchtete, trat zu seinem Neffen und zog ihn bei Seite.

„Beherrsche Dich, Leo!“ sagte er leise und eindringlich. „Zeige den Gästen nicht diese finstere Stirn! Willst Du etwa Streit mit Deinem Bruder suchen?“

„Und wenn ich es thäte!“ stieß der junge Fürst halblaut hervor. „Hat er mich nicht vor der ganzen Jagdgesellschaft preisgegeben mit seiner tactlosen Erzählung von dem Normann? Hat er mir meinen Vaillant nicht fast zu Tode geritten? Und das Alles um einer elenden Prahlerei willen!“

„Prahlerei? Besinne Dich! Du warst es, der ihm die Probe antrug. Er weigerte sich ja anfangs, darauf einzugehen.“

„Er hat mir und uns Allen zeigen wollen, daß er Meister ist, wo es sich am die bloße rohe Kraftäußerung handelt. Als ob ihm Jemand das schon bestritten hätte! Das ist ja überhaupt das Einzige, was er kann. Aber ich sage es Dir, Onkel, wenn er mich noch einmal in dieser Weise herausfordert, so ist es zu Ende mit meiner Geduld, und wäre er zehnmal der Herr von Wilicza.“

„Keine Unvorsichtigkeit!“ warnte der Graf. „Du und Wanda, Ihr seid es leider gewohnt, Eurem persönlichen Empfinden alles Andere unterzuordnen. Ich kann von ihr nie die mindeste Rücksicht erlangen, sobald es sich um diesen Waldemar handelt.“

„Wanda darf doch wenigstens ihre Abneigung offen zeigen,“ grollte Leo. „Ich dagegen – da steht er bei seinem Normann, als wären sie beide die Ruhe und Gelassenheit selber, aber man soll es nur einmal versuchen, ihnen nahe zu kommen!“

Das verlangte Pferd wurde nun gebracht, und in dem nun erfolgenden allgemeinen Aufbruch verlor sich der Mißton einigermaßen. Es war aber doch ein Glück, daß der heutige Jagdtag die Brüder von einander fern hielt und ihnen jedes längere Beisammensein unmöglich machte, sonst wäre es bei der fortdauernden Gereiztheit Leo’s doch wohl noch zu einem Ausbruch gekommen. Als man erst einmal das Jagdrevier erreicht hatte, trat, für einige Stunden wenigstens, alles Andere vor der Lust des Jagens in den Hintergrund.

Waldemar hatte Unrecht, wenn er die „großen Staats- und Convenienzjagden“ so entschieden verabscheute; sie boten doch immerhin ein prächtiges, glänzendes Bild, zumal hier in Wilicza, wo man dergleichen sehr großartig und echt fürstlich in Scene zu setzen verstand. Die sämmtlichen Förstereien waren aufgeboten, um mit ihrem Personal in vollster Gala Staat zu machen. Die ganzen Waldungen waren lebendig geworden; es schwärmte förmlich darin von Forstleuten und Treibern, das Imposanteste aber war unstreitig der heransprengende Jagdzug selbst. Die Herren, meist prachtvolle Gestalten im eleganten Jagdcostüm, auf ihren schlanken feurigen Pferden, die Damen in Amazonentracht an der Seite ihrer Cavaliere, die Dienerschaft hinter ihnen, und dazu das Schmettern der Hörner, das Gekläff der Hunde – es war eine Scene von Feuer und Leben, und bald verkündeten auch das vorüberfliehende Wild und die Schüsse, die ringsum das Echo des Waldes weckten, daß die Jagd ihren Anfang genommen habe.

Das Wetter ließ jetzt, wo der Nebel gefallen war, nichts mehr zu wünschen übrig; es war ein kühler, etwas verschleierter, aber im Ganzen doch schöner Novembertag. Der Wildstand des Forstreviers von Wilicza galt für unvergleichlich; die Anordnungen waren vorzüglich getroffen, die Jagdbeute äußerst ergiebig. Da verstand es sich wohl von selbst, daß man sich bemühte, die unfreiwillige Verspätung von heute Morgen wieder einzubringen. Der kurze Nachmittag des Spätherbstes neigte sich schon seinem Ende zu, aber man dachte nicht daran, die Jagd vor der beginnenden Dämmerung abzubrechen.

Einige tausend Schritte von der Försterei entfernt, die für heute als Rendez-vous diente, lag eine Waldwiese, einsam und wie verloren mitten im Dickicht. Das dichte Unterholz und die mächtigen Bäume machten den Platz unsichtbar für Jeden, der ihn nicht bereits kannte oder ihn durch Zufall entdeckte; jetzt freilich, wo die Umgebung sich schon herbstlich zu lichten begann, konnte man den Zugang eher finden. Inmitten des Wiesengrundes ruhte eines jener stillen, kleinen Gewässer, wie sie der Wald oft in seinem Schooße birgt, ein See oder Teich. Im Sommer mochte er mit seinem wehenden Schilfgrase, seinen träumerischen Wasserlilien dem Orte wohl einen eigenen poetischen Reiz leihen, jetzt aber lag er dunkel und schmucklos da, bedeckt von welken Blättern und umgeben von braunem Rasen, herbstlich öde, wie die ganze Umgebung ringsum.

Unter einem der Bäume, die ihre Aeste weithin über die Wiese streckten, stand Gräfin Morynska, ganz allein und ohne jede Begleitung. Ihre Zurückgezogenheit mußte wohl eine freiwillige sein. Verloren konnte sie die Jagd nicht haben, denn man hörte den Lärm derselben, wenn auch in einiger Entfernung, doch deutlich genug, auch lag ja die Försterei nahe, wo die junge Dame jedenfalls ihr Pferd zurückgelassen hatte, denn sie war zu Fuß. Sie schien absichtlich die Einsamkeit gesucht zu haben und auch festhalten zu wollen; an den Stamm des Baumes gelehnt, blickte sie unverwandt in das Gewässer und sah doch offenbar nichts von ihm oder von der Umgebung. Ihre Gedanken waren ganz wo anders. Die schönen Augen Wanda’s konnten sehr finster blicken – das sah man jetzt, wo sie augenscheinlich mit irgend

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 613. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_613.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)