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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

No. 31.   1876.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Vineta.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Das Boot, in welchem sich Waldemar und die junge Gräfin Morynska befanden, flog mit vollem Segel dahin. Die See war heute ziemlich bewegt; die Wellen, die das Schiffchen durchfurchte, brachen sich schäumend am Kiele und spritzten auch wohl über Bord, was die beiden Insassen aber wenig kümmerte. Waldemar saß am Steuer, mit einer Ruhe, die bewies, daß er der Führung unter allen Umständen Herr war, und Wanda, die ihm gegenüber im Schatten des Segels Platz genommen hatte, schien an der schwebend schnellen Fahrt große Freude zu haben.

„Leo wird uns bei der Tante verklagen,“ sagte sie, nach dem Lande zurückblickend, von dem sie schon eine Strecke entfernt waren. „Er ging in vollem Zorne fort. Sie waren aber auch sehr unfreundlich gegen ihn, Waldemar.“

„Ich liebe nicht, daß ein Anderer das Steuer in Händen hat, wenn ich im Boote bin,“ antwortete er kurz und herrisch.

„Und wenn ich es nun haben wollte?“ fragte Wanda neckend.

Er gab keine Antwort, aber er stand sofort auf und bot ihr schweigend das Steuer. Die junge Gräfin lachte.

„O, nicht doch. Es war nur eine Frage. Ich habe kein Vergnügen an der Fahrt, wenn ich fortwährend auf das Lenken achten muß.“

Ohne ein Wort zu sagen, nahm Waldemar das Steuer wieder zur Hand, das allerdings den ersten Anlaß zum Streite zwischen ihm und Leo gegeben hatte, wenn der eigentliche Grund auch anderswo lag.

„Wohin segeln wir denn eigentlich?“ nahm Wanda nach einem kurzen Schweigen wieder das Wort.

„Ich denke, nach dem Buchenholm. Es war ja verabredet.“

„Wird das für heute nicht zu weit sein?“ fragte die junge Dame ein wenig bedenklich.

„Bei dem günstigen Winde sind wir in einer halben Stunde dort,“ sagte Waldemar, „und wenn ich später die Ruder tüchtig einlege, brauchen wir kaum mehr Zeit zur Rückkehr. Sie wollten ja den Sonnenuntergang einmal vom Buchenholm aus sehen.“

Wanda widersprach nicht länger, obgleich sie ein unbestimmtes Gefühl von Bangigkeit überkam. Sonst war Leo der stete Begleiter der Beiden auf allen Spaziergängen und Ausflügen; zum ersten Male befanden sie sich heute allein mit einander. So jung Wanda auch noch war, sie hätte keine Frau sein müssen, um nicht schon bei dem zweiten Besuche Waldemar’s zu entdecken, was ihn bei dem ersten so seltsam scheu und verlegen gemacht hatte. Er war nicht fähig, sich zu verstellen, und seine Augen redeten eine nur allzu deutliche Sprache, obgleich er sich noch mit keinem Worte verrathen hatte. Er war gegen Wanda noch einsilbiger und zurückhaltender als gegen Andere, aber trotzdem kannte sie ihre Macht über ihn hinreichend und wußte sie zu brauchen, mißbrauchte sie wohl auch gelegentlich einmal, denn ihr war die ganze Sache in der That nur ein Spiel, nichts weiter. Es machte ihr Vergnügen, daß sie diese starre, unbändige Natur mit einem Worte, ja mit einem einzigen Blicke lenken konnte; es schmeichelte ihr, Gegenstand einer zwar meist stummen und seltsamen aber doch leidenschaftlichen Huldigung zu sein, und vor allem machte es ihr Spaß, daß sich Leo so sehr darüber ärgerte. Seinem älteren Bruder den Vorzug zu geben, fiel ihr in Wirklichkeit gar nicht ein, denn Waldemar’s ganzes Wesen war ihr im höchsten Grade antipathisch. Sie fand sein Aeußeres abstoßend, seine Formlosigkeit entsetzlich und seine Unterhaltung langweilig. Auch hatte die Liebe den jungen Nordeck nicht liebenswürdiger gemacht. Er zeigte nie jene ritterliche Artigkeit, in der Leo, trotz seiner Jugend, schon Meister war; er schien sich im Gegentheil nur widerwillig dem Zauber zu beugen, dem er doch nicht mehr entfliehen konnte, und gleichwohl gab sein ganzes Wesen Zeugniß davon, mit welcher unwiderstehlichen Gewalt ihn die erste Leidenschaft gefangen genommen hatte.

Der Buchenholm mochte früher wirklich eine kleine Insel gewesen sein; der Name deutete noch darauf hin, jetzt war er nur noch eine dichtbewaldete Anhöhe, die durch einen schmalen Landstreifen, eine Art Dünenzug, mit dem Ufer zusammenhing, von wo aus man ihn zu Fuß erreichen konnte. Der Ort wurde trotz seiner Schönheit nur wenig besucht; er war zu einsam und abgelegen für die glänzende und zerstreuungssüchtige Badegesellschaft von C., die ihre Ausflüge meist nach den benachbarten Stranddörfern richtete. Auch heute befand sich Niemand auf dem Holm, als das Boot landete. Waldemar stieg aus, während seine junge Begleiterin, ohne seine Hülfe abzuwarten, leichtfüßig auf den weißen Sand des Ufers sprang und dann die Anhöhe hinaufeilte.

Der Buchenholm führte seinen Namen mit Recht. Der ganze Wald, der sich fast eine Meile lang am Strande hinzog, zeigte nicht so viele und so prachtvolle Bäume dieser Art, wie sie hier auf diesem Fleckchen Erde vereint standen. Es waren mächtige,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 513. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_513.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2019)