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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


billigen californischen Weinen eine gefährliche Concurrenz entstanden. Der californische Wein hat in den letzten Jahren viel von seiner Herbheit eingebüßt, ist sehr feurig, leidet nicht durch den Transport und ist im Vergleich mit den durch eine hohe Eingangssteuer belasteten ausländischen Weinen spottbillig. So geschmackvoll sich darum auch die Marken unserer besten deutschen Weine in einem geschnitzten Eichenrahmen mit kunstvoller Bekrönung präsentiren, so fürchte ich doch, das amerikanische Absatzgebiet wird von Jahr zu Jahr dürftiger werden, falls die Gesetzgeber in Washington das Schutzzollsystem nicht fallen lassen.

In überraschender Reichhaltigkeit entfaltet sich neben den Vereinigten Staaten die Ausstellung Canadas. Was nur immer in der Neuzeit an Maschinen zur Arbeitsersparniß herausgeklügelt und ausgeführt wurde, das führen uns canadische Fabrikanten vor’s Auge – nur eine imposante Erscheinung fehlt, und das ist der Fowler’sche Dampfpflug in jener soliden und glänzenden Ausführung, wie ihn die Abtheilung der Engländer zu Wien in so vielen Exemplaren zur Schau stellte. Der gewöhnliche canadische Pflug hat erstaunlich lange Barren, ein Zeichen, daß die Pflugschar eines starken Druckes bedarf, um in den harten Boden einzudringen.

Unter den Landesproducten machen sich auch die Tauschartikel aus den Indianerterritorien bemerkbar, Büffel- und Wolfshäute, Biberfelle, Fischöl und gar einige Teppiche, welche ein geometrisches Muster und ganz hübsche Farben zeigen. Die canadische Abtheilung erhält dadurch ein charakteristisches Gepräge, daß über jeder Gruppe ausgestopfte Thiere oder wenigstens Thierköpfe angebracht sind. Es ist leicht zu ersehen, daß das rauhe Canada noch immer reiche Jagdgründe hat.

Den weitaus größten Raum in der Ackerbauhalle nimmt selbstverständlich die einheimische Ausstellung ein, und diese hat manchen originellen Zug. So finden wir im Centrum des Querschiffes eine alte Windmühle, in deren Innerem feine Mehlsorten aufgestellt sind. Eine Ausstellung von Senf veranstaltete eine amerikanische Firma gleichsam in ihrem eigenen Laden; sie hat nämlich ein Miniaturhaus erbauen lassen, das eine getreue Copie ihres Geschäftslocals ist.

Eine Zuckerbäckerei New-Yorks erbaute aus Zucker einen im Rococostil gehaltenen Ruhmestempel, in dessen Hallen und auf dessen Sockel beinahe die ganze Geschichte der Vereinigten Staaten plastisch dargestellt wird. Hier sieht der Beschauer, wie die Mitglieder des Congresses von anno 1776 in der Independence-Halle die Unabhängigkeitserklärung unterzeichnen, wie Washington im Winter über den Delaware setzt, wie Ulysses Grant den Robert Lee besiegt, und was dergleichen schöne Dinge mehr sind. Ein Künstler, der statt in Marmor in Zucker arbeitet – das ist doch ganz was Neues. Es muß auch solche Käuze geben, und zuweilen darf man dem Schicksal auch für eine naive Kunstanschauung dankbar sein. Einen Beweis dafür bildet die Geschichte des Bildhauers H. in New-York. Dieser deutsche Künstler hatte im Anfang seiner amerikanischen Laufbahn so üble Erfahrungen gemacht, daß er eines Abends den Hut fest in die Stirn drückte und nach den Docks lief, um sich in’s Wasser zu stürzen. Sein Project wurde von einem abgehenden Dampfer gekreuzt, der ihn auffischte und später an einem kleinen Küstenort an’s Land setzte. H. verdingte sich hier bei einem Farmer als Knecht, erwies sich zwar in seinem neuen Beruf als sehr ungeschickt, allein sein Brodherr hatte Geduld mit ihm und hieß ihn während der Ernte in den Ställen und der Küche der Frau ein wenig an die Hand gehen. Eines Tages schälte H. Kartoffeln und weil die sonderbare Bildung eines der Knollengewächse seinen künstlerischen Schaffensdrang arg in die Schranken forderte, schnitzte er aus der Kartoffel die Portraitbüste seines Brodherrn und stellte diese auf den Tisch. Als die Familie vom Felde zum Essen kam, gerieth jedes Mitglied derselben beim Anblick der Kartoffelbüste in das maßloseste Erstaunen, und der gutgelaunte Farmer meinte, H. sei ein Teufelskerl, denn darin offenbare sich das Genie, daß so ein Artist auch aus der armseligen Kartoffel ein Bildniß herauszuarbeiten verstehe.

Und jenes Kartoffelschnitzwerk wurde zum Wendepunkte in H.’s Leben. Von dem Farmer unterstützt, klimmte der Bildhauer von Stufe zu Stufe aufwärts, bis er in New-York, mit günstigem Strome und Wind segelnd, zu Vermögen und Anerkennung gelangte.

Ein Aquarium mit einer stattlichen Reihe von Wasserbehältern läßt uns die Bekanntschaft amerikanischer Süßwasserfische machen. Zu diesen gesellen sich Aale von erstaunlicher Dicke und Schildkröten. Die letzteren sind besonders zahlreich vertreten, und es befinden sich einige Riesenexemplare in der Gesellschaft. Die Amerikaner schwärmen für Schildkrötensuppe, und auf großen Farmen im Süden findet man in der Regel einen Teich, der zur Schildkrötenzüchtung angelegt ist.

In einem besonderen Behälter liegt der Alleghany-Hell-Bender (Menopoma Alleghaniensis), eines der scheußlichsten Thiere, das die Erde geboren. Es hat die Form eines winzigen Alligators, allein der ganze Leib sieht aus wie ein in Fäulniß gerathener Schlauch, an dem weder Augen, noch ein Maul zu entdecken sind, nur zwei Füße lassen errathen, daß etwas Leben in dem vom Wasser bewegten Körper wohnt. Das Thier lag gerade, als ich seiner ansichtig wurde, mit der Hälfte des Körpers auf einem schwimmenden Brette und hatte augenscheinlich das Bestreben, in’s Wasser zurückzukehren, allein es dauerte etwa eine halbe Stunde, ehe es in seinen Bemühungen erfolgreich war, so wenig Kraft wohnt in jener Masse, die aus Schlamm zu bestehen scheint.

In der Nähe des Aquariums haben die Fischhändler von Massachusetts ein Bassin angelegt, auf dessen Wasserfläche eine ganze Flotille kleiner Fischerboote mit aufgehißten Segeln schwimmt. Diese scheint eben vor Anker gegangen zu sein, und durch plastische Darstellungen wird dem Beschauer klar gemacht, wie die Fische am Strande getrocknet, gesalzen, in Fässer verpackt und nach dem Lagerhause geschafft werden.

Californien hat eine Colonie kleiner Thiere mit Dampf über die Ebene rollen lassen, denen man sonst nur sehr kleine Reisen zumuthet; es sind das californische Seidenwürmer, welche wohlbehalten hier anlangten und sich jetzt der nutzenbringenden Beschäftigung des Seidespinnens mit Eifer hingeben.

Bewundernswerth sind in dieser Gruppe einige Cacteen in der Form unserer Bienenkörbe, aber doppelt so groß, und ferner die Photographien der berühmten californischen Waldriesen. Da ist der Grizzlybaum abgebildet, dessen Stamm einen Durchmesser von dreiunddreißig Fuß hat, dann der californische Lorbeer mit einer luftigen Kuppel, die jener unserer Buchen gleicht, und endlich die Lebenseiche, welche ihr Laubdach von der Erde an zu einem grünen Dome wölbt und ein gewaltiges Terrain in undurchdringlichen Schatten hüllt. Californische Weine sind in großer Menge ausgestellt, und ich will nur gleich bemerken, daß der Anbau der Rebe über ganz Amerika hin rasche Fortschritte macht.

Eine Fülle von Obst, Gemüse, Welschkorn und anderem Getreide zeigen uns in den verschiedenen Gruppen, wie reich der Boden dieses jungfräulichen Landes ist. In der Abtheilung für landwirthschaftliche Maschinen jedoch bemerken wir eine Anzahl von Apparaten, welche auf außergewöhnliche Feinde der Bodencultur schließen lassen; so sind mehrere Patentmaschinen ausgestellt zur Zerstörung des Coloradokäfers, welcher bekanntlich die Kartoffelpflanzungen so arg verwüstete.

Was die Erfindung von Arbeitsersparnißmaschinen betrifft, so ist Amerika auf diesem Gebiete fast allen Völkern voraus, allein ich finde in der ganzen Abtheilung praktischer Maschinen zum Säen, Mähen, Dreschen, Pflügen, Buttern etc. kaum etwas, das heute nicht schon in Deutschland bekannt wäre. Durch den Mangel an Arbeitskräften angespornt, gehen unsere Großgrundbesitzer jetzt mit aller Energie daran, das zu erwerben, was Nutzenbringendes im In- und Auslande auf diesem Gebiete geschaffen wird.

Ein amerikanischer Fabrikant hatte den guten Gedanken, einige Ackergeräthe aus der Zeit des vorigen Jahrhunderts auszustellen. Lassen wir nun von dem ärmlichen Holzpfluge, dessen Pflugschar nur mit einem Stück Eisen beschlagen ist, unsere Blicke zu dem stolzen Dampfpfluge unserer Zeit hinübergleiten und zu den genial erfundenen Mähe- und Säemaschinen, so dürfen wir mit Recht fragen: was wird nach weiteren hundert Jahren kommen?

Das Sonst und Jetzt der Vereinigten Staaten veranschaulicht uns keine Ausstellung in so klarer Weise wie die der nordamerikanischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_510.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)