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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

weiten Schloßmühlenstube, in der man so recht aufathmen könne“; sie ließ sich, ermüdet von dem zurückgelegten Weg und behaglich in das altmodische, federngepolsterte Kanapee des seligen Schloßmüllers gedrückt, den delicaten Kaffee vortrefflich schmecken, den Käthe stets sofort auf der Maschine bereitete, und protestirte durchaus nicht, wenn Suse, auf den Wink ihrer jungen Herrin hin, einen schweren Korb voll frischer Butter, Eier und Schinken an den Arm der Jungfer hing.

Auf Flora war sie nicht gut zu sprechen. Die Enkelin, die im vollen Besitze ihres Vermögens geblieben, bezahlte zwar die Miethwohnung für ihre Großmama und trug auch die Kosten für die Bedienung; alles Uebrige verbrauchte sie aber für sich selbst und konnte kaum auskommen, wie sie wiederholt brieflich versicherte. Zürich hatte sie sehr bald wieder verlassen – das „grause“ ärztliche Studium irritirte ihr die Nerven „bis zum Wahnsinnigwerden“. Sie war ihm eine jener geistigen Koketten, die um jeden Preis eine Rolle spielen und Aufsehen machen wollen, die sich gern den Anschein grübelnden Denkens und tiefgehender Kenntnisse geben, vor Nichts aber mehr zurückschrecken, als vor der ernsten, harten Geistesarbeit.

Nun war die Osterzeit herangekommen. Schon seit mehreren Wochen wurde im Garten des Doctorhauses unermüdlich gearbeitet. Der Doctor hatte einen Gärtner aus L…g geschickt; der steckte neue Wege ab oder suchte vielmehr die Spuren des alten, sehr hübschen Gartenplanes wieder aus und gab den Anlagen die frühere Gestalt zurück. Viele Hände waren beschäftigt, zu graben und zu pflanzen, und Plätze wurden vorgerichtet, wo einige Statuen aufgestellt werden sollten, die aus L…g gekommen waren, und noch verpackt im Hausflur standen. Am Hause waren schon seit vierzehn Tagen alle Läden geöffnet; die Zimmer wurden tapezirt und mit neuem Firnißanstriche versehen, und auf den First war sogar eine Fahnenstange gekommen. Dann zog die Freundin der Tante wieder ein und brachte eine Schaar Tagelöhnerinnen mit, die das Haus vom Dachboden bis zum Keller hinab spiegelblank machten.

Käthe hatte ihre Spaziergänge nicht unterbrochen. Auch heute, am heiligen Abend vor dem Osterfeste, war sie in der Mittagsstunde noch einmal drüben gewesen. Im Garten wurde noch immer gepflanzt und angesä’t, aber die alten Taxusgruppen, die früher als undurchdringliche, buschige und struppige Wildniß das Terrain verunstaltet und verdüstert hatten, standen gesäubert und in die ehemaligen Schranken zurückgewiesen, und aus ihrem dunklen Grün traten leuchtend und anmuthig die neuen Sandsteinfiguren. Auf den Wegwindungen, welche die Hecken durchschnitten, lag in tadelloser Glätte heller Sand; an die Stelle der knarrenden Holzthür im Zaune war ein feines schwarzes Eisengitter getreten, die Laube der Tante Diakonus stand weiß angestrichen und hinter dem Hause umschloß ein Plankenzaun den neuen Hühnerhof.

Und auf dem wohlbekannten Steinpostamente vor dem Hause hob sich eine Terpsichore, die Arme in graciösem Schwünge emporgestreckt, auf der äußersten Spitze ihres zarten Füßchens, genau so, wie sich Käthe die längst zertrümmerte Gestalt auf dem schmalen Fußreste wieder aufgebaut hatte.

„Die Statue ist sehr hübsch!“ sagte der fremde Gärtner achselzuckend; „sie müßte nur auf einem eleganteren Grunde stehen. Der Rasen“ – er zeigte über den Grasplatz hin – „ist verwildert und nichts nutz, aber der Herr Professor hat mir streng verboten, den Spaten da anzusetzen.“ – Käthe bückte sich, helle Gluth auf den Wangen, und pflückte die ersten Veilchen, die sich im Schutze des Postamentes bereits voll und köstlich duftend entfaltet hatten. „Ja, der Rasen starrt von Unkraut,“ setzte der Gärtner über die Schulter hinzu und ging weiter.

Und das Haus – jetzt in der That ein Schlößchen – stand heute da, glänzend in Frische und Neuheit und so festlich und feierlich geschmückt, „als ob eine Braut einziehen sollte,“ sagte die alte Freundin ahnungslos lächelnd zu Käthe. Das schneeweiße Kätzchen kam über den neuen Mosaikfußboden des Flures leise gegangen; im Zimmer der Tante Diakonus, hinter den Filetgardinen und umringt von den in der Stadt überwinterten Lorbeer- und Gummibäumen, schmetterte der Canarienvogel aus voller, trillernder Kehle, und die Goldfischchen schwammen munter in der Glasschale – da war ja auch schon das gewohnte Leben und Treiben wieder eingekehrt, und die Tante Diakonus selbst sollte mit dem Nachmittagszuge eintreffen. Sie bringe auch einen Gast mit, hatte die alte Freundin, geheimnißvoll mit den Augen blinzelnd, gemeint; wen das wisse sie nicht; sie habe nur den Auftrag erhalten, das Fremdenzimmer mit hübschen, neuen Möbeln zu versehen. Und dabei hatte sie stolz die breite, weißglänzende Flügelthür zurückgeschlagen, und Käthe war in einen Thränenstrom ausgebrochen – sie mußte an ihre Henriette denken, die hier gelitten hatte, und doch noch einmal in ihrem armen Leben so glücklich, so stillselig gewesen war. Neben dieser schmerzvollen Erinnerung rang sich aber auch noch eine nie gekannte, heißaufquellende Eifersucht empor. Wer war sie, die sich an das Herz der Tante gedrängt und die alte Frau so sehr für sich eingenommen hatte, daß sie als Besuch mitkommen durfte?

Die rosenbestreuten Gardinen und die schaukelnden Blumenampeln waren an den Fenstern verblieben; die altmodische, mühsam zusammengesuchte Zimmereinrichtung dagegen hatte modernen, hübschen, wenn auch sehr einfachen Kirschbaummöbeln weichen müssen, und statt der verblichenen Bilder aus Voß’ „Luise“ hingen einige schöne Landschaften an den helltapezirten Wänden. Der, ach, so wohlbekannte Raum war in ein trauliches Wohnzimmer umgewandelt und ein anstoßendes, früher vollkommen leerstehendes Cabinet als Schlafgemach eingerichtet worden.

(Schluß folgt.)


Geschichten aus der Geschichte.

2. Im Hungerthurme.

Als mit Konradin von Schwaben der Stamm der Hohenstaufen in seiner schönsten Blüthe unterging, starben mit ihm auch zwei Grafen Gherardesca auf dem Blutgerüste in Neapel. Wie diese stand ihr ganzes Geschlecht treu im Lager der Ghibellinen, der Kaiserpartei. Reich begütert, im Besitze der Grafschaften Gherardesca, Donoratico und Montescudaio in den Maremmen zwischen Pisa und Piombino, schloß es sich in dem verheerenden italienischen Bürgerkriege der Ghibellinen und Guelphen der Republik Pisa an, wo es, an der Spitze der Conti (Grafen) die Visconti (Vicegrafen) sich gegenüber sah.

Die Visconti von Pisa dürfen nicht mit dem gleichnamigen Geschlechts von Mailand zusammengestellt werden, das die Herzogswürde erlangte und bis in die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts blühte. Die Visconti von Pisa sahen sich genöthigt, sich dem Papste in die Arme zu werfen, um dessen Schutz gegen die übermächtigen Geschlechter Pisa’s zu genießen. Nur zu diesem Behufe gab Ubaldo Visconti den Kampf gegen die päpstlichen Ansprüche auf die Oberherrschaft über die von den Pisanern damals eroberte Insel Sardinien auf, heirathete eine Verwandte des Papstes Gregor des Neunten, Adelheid, Erbin von Gallura und Torre, und nahm diese Besitzungen vom Papste in Lehn. So wurden die Visconti Richter von Gallura und Häupter der guelphischen Partei, die jedoch in Pisa nur schwer Boden fand, da die Stadt eifrig und treu ghibellinisch war.

Um so auffälliger ist es, daß Ugolino della Gherardesca, der gegen das Ende des dreizehnten Jahrhunderts an der Spitze der Ghibellinen in Pisa stand, es seinen Zwecken entsprechend finden konnte, sich den Guelphen dadurch zu nähern, daß er dem damaligen Haupte derselben, Giovanni Visconti, seine Schwester zur Gemahlin gab. Diese plötzliche Eintracht der feindlichen Parteien erregte das Mißtrauen der Pisaner so, daß sie beide Häupter aus ihrer Stadt verbannten. Beide zögerten jetzt keinen Augenblick, gegen ihre Vaterstadt als Feinde aufzutreten. In Verbindung mit den guelphischen Städten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_412.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)