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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Das Sanssouci der spanischen Königsfamilie.

„Die schönen Tage von Aranjuez sind nun zu Ende“ – wer hätte nicht schon diese Worte des Paters Domingo in Schiller’s „Don Carlos“ bei passenden und unpassenden Gelegenheiten citirt! Heute läßt sich dieser Ausspruch sicher mit mehr Berechtigung auf das berühmte spanische Lustschloß anwenden, als zu den Zeiten Philipp’s des Zweiten, jenes fanatischen Despoten, dem die Geschichte das zweifelhafte Verdienst beimißt, das furchtbare Institut der Inquisition zur höchsten Entwickelung gebracht und dadurch den Grund zu der socialen und politischen Zerrüttung gelegt zu haben, die noch heute auf dem einst so blühenden Lande lastet. Dennoch verdankt Spanien diesem Fürsten, den seine Umgebung niemals scherzen, viel weniger lachen sah, manches Geschenk von bleibendem Werthen; viele der bedeutenden Kunstsammlungen der Hauptstadt wurden durch ihn in’s Leben gerufen, Bibliotheken und andere wissenschaftliche Institute begründet und unterstützt, vor Allem aber die architektonische Verschönerung seiner Residenzen mit Eifer und Erfolg betrieben – gewiß ein seltsamer Widerspruch in dem Charakter dieses finstern Zeloten, der dem starren, jede Volksaufklärung mit wahnwitziger Strenge bekämpfenden Katholicismus kaltblütig viele Tausende von Menschenleben zum Opfer brachte.

Die Tritonenfontaine im Parke von Aranjuez.
Nach einer Photographie.

Eine der großartigsten Schöpfungen Philipp’s des Zweiten ist das königliche Lustschloß Aranjuez, dessen ausgedehnte Baulichkeiten und wunderbare Garten- und Parkanlagen ein wahrhaft fürstliches Besitzthum bilden. Es liegt siebenunddreißig Kilometer südlich von Madrid und ist mit der Hauptstadt, außer durch eine vortreffliche Straße, seit dem Jahre 1853 auch durch die nach Alicante führende Eisenbahn verbunden. Das Hauptgebäude des Schlosses hat an der Vorderfront eine Breite von einundzwanzig Fenstern und ist an jeder Ecke mit einem kleinen Thurme geziert. Die äußere Architektur bietet nichts Bemerkenswerthes; sie ist einfach, aber edel gehalten, und die späteren Erweiterungen sind deutlich unterscheidbar, ohne daß dieselben jedoch mit dem ursprünglichen Stile contrastiren. Ein großes, ebenfalls später ausgeführtes Nebengebäude diente den Infanten mit ihrem Hofstaate zum Aufenthalte, während das eigentliche Schloß ausschließlich von dem königlichen Paare selbst benutzt wurde.

Die innere Einrichtung entspricht ganz der äußeren Ausstattung; sie trägt den Charakter prunkloser Eleganz, solider Gediegenheit. Die Treppenaufgänge und Corridors sind mit Büsten und Statuetten geziert, die Wände zum Theil mit Marmor verkleidet und die Plafonds von Künstlerhand mit Ornamenten, Arabesken und allegorischen Darstellungen geschmückt. Ein Flügel des Schlosses enthält das Theater; die Deckenmalereien sind von Mengs. Das Amphitheater für die Stiergefechte ist nach altrömischer Weise mit einer Doppelreihe von Sitzplätzen angelegt und faßt nicht weniger als sechstausend Zuschauer. Hier war einst der Sammelpunkt der hohen spanischen Aristokratie, die, soweit sie nicht zur unmittelbaren Umgebung des Hofes gehörte, zu diesen nationalen Kampfspielen besondere Einladungen erhielt.

Die Schloßcapelle war, bevor sie durch spätere Veränderungen unverständiger Baumeister verunstaltet wurde, ein architektonisches Meisterwerk. Ihr größter Schmuck besteht in einer Anzahl von Gemälden von großem Kunstwerthe, von denen Tizian’s Schöpfung, „Die Verkündigung der Maria“, das bedeutendste ist. Der Maler schenkte das Bild Kaiser Karl dem Fünften, nachdem das sonst so kunstsinnige Venedig, für welches die Arbeit ursprüglich bestimmt war, darüber abfällig geurtheilt hatte. Den Hochaltar ziert ein Gemälde von Mengs, die heilige Familie darstellend; ein anderes großes Bild, „Der heilige Antonius

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 397. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_397.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)