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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


wußten, daß sie für jede auf ihrem Gebiete verübte That verantwortlich gemacht werden würden.

Die Energie von Landana war erschöpft; man dachte dort gar nicht mehr an die Offensive und war ja außerdem frei von jeder Gefahr, so lange wir die Mission hielten. In der zweiten Nacht wiederholten sich die Vorgänge der ersten in noch stärkerm Maße; das Gewehrfeuer stieg mehrere Male zu außerordentlicher Heftigkeit und rollte wie ferner Donner über das Chiloangothal hin, blieb aber, wie gewöhnlich beim nächtlichen Buschkriege, nur ein abschreckender Lärm. Tags darauf rückten wir mit den Unseren aus, brannten jenseits der Hügel unbequeme Campinen nieder und bedrohten die Dörfer. Da wir die allerdings sehr großen Entfernungen ziemlich genau kannten, schossen wir mit unseren Rückladern hinüber und erfüllten die Bewohner mit neuem Entsetzen vor unseren weitfliegenden Kugeln. Um den Schrecken vor uns zu steigern, beabsichtigten wir auch ein Geschütz mit uns über die Hügel zu schleppen, mit Vollgeschossen und Kartätschen die Ortschaften zu bedrängen, Raketen hineinzuwerfen und den Feind Tag und Nacht in beständiger Angst zu erhalten. Wir brauchten jedoch diese Mittel gar nicht mehr anzuwenden. Um unsere Nachtruhe zu sichern, hatten wir verkünden lassen, sobald die Mission noch einmal belästigt würde, würden wir allein die Dörfer attaquiren und sie wie Levula behandeln. Das wirkte vortrefflich; wir schliefen wenigstens fortan ungestört.

Von Landana hatte man unterdessen an die großen Etablissements am Congo berichtet und Hülfsmannschaften erbeten, um den Krieg energischer weiter zu führen. Da wir aber die Sache schnell beendet sehen wollten und um ganz sicher zu gehen, erbot sich der Obere der Mission, mit dem Dampfer „Fanny“ hinzureisen, persönlich für uns zu wirken und namentlich ein Kriegsschiff zu rufen. Ein von allen Weißen unterzeichnetes Schreiben an die Befehlshaber englischer Kreuzer wurde abgefaßt und die „Fanny“ requirirt. Da der Ingenieur derselben am Fieber niederlag, führte unser Herr Lindner an seiner Stelle das Fahrzeug nach Banana. Unterdessen durchstreiften unsere Leute weithin die Umgegend; sie hatten großes Vergnügen daran, die Feinde zu ängstigen und hier und dort einige einzufangen; sie führten ihre Streiche mit großer Gewandtheit durch. Sehr zu statten kam ihnen dabei die wahrhaft lächerliche Furcht vor ihrem Cannibalismus, über welchen die haarsträubendsten Geschichten erzählt und geglaubt wurden. Einige der tollsten Burschen, namentlich unser bester Jäger, im Busche erfahren wie kein Anderer und ein Riese von Gestalt, wußte durch mancherlei im Feindesgebiete ausgeübte Streiche das Entsetzen zu erhöhen. In der letzten Zeit brachte er fast täglich Gefangene ein.

Die Feinde konnten natürlich am Strande von Landana nicht mehr fischen, die Weiber nichts mehr dorthin zu Markte bringen; der Rum war längst zu Ende, die Furcht vor uns im stetem Wachsen; kein Wunder, daß in Folge dessen große Unzufriedenheit über Mataenda unter den Seinen herrschte. Noch aber konnten diese drüben am Strande unterhalb Levula fischen. Unser Vorschlag, mit Booten das Vorland zu umfahren, alle Netze und Canoes zu nehmen und zu zerstören, um den Negern noch fühlbarer zu machen, ein wie böses Ding der Krieg sei, fand nur theilweise die lebhafteste Unterstützung. Verschiedene Stimmen waren dagegen; das Friedenspalaner würde nur um so länger verzögert, es müßte dann nur noch mehr bezahlt werden. Man dachte also schon gar nicht mehr an ein nachdrückliches Vorgehen.

Unsere Anwesenheit in Chinchoxo war sehr nöthig, da ein Theil unserer Felder abgeerntet und neu besäet werden mußte. Zum Schutze der Mission genügte auch die Hälfte unserer Leute. Gänzlich konnten wir sie nicht verlassen, da sie sonst sofort der Rache der Neger anheim gefallen wäre. So zog denn Herr Dr. Falkenstein nach der Station; ich blieb mit zwanzig Mann zurück.

Endlich kamen auch der Herr Obere und Herr Lindner vom Congo zurück. Das englische Kriegsschiff konnte erst nach einer Woche erscheinen, da es zunächst wieder zum Schutze der Factoreien von Ambriselle, wo auch Negerunruhen ausgebrochen waren, zurückzukehren hatte; von den großen Centralfactoreien, für deren Eigenthum wir so bereitwillig eingetreten waren, brachten sie uns nichts als einen höflichen Dank, ein hübsches zweipfündiges Feldgeschütz und glänzende Versprechungen. Augenblickliche Handelsinteressen behielten die Oberhand; Jeder gedachte seinen Concurrenten auszumanövriren. Die ganze Angelegenheit endete in der schon Eingangs geschilderten Weise.

Herr Dr. Falkenstein löste mich unterdessen von meinem Posten ab, da er seinen Aufenthalt durch Photographiren vieler und neuer Pflanzentypen und Landschaften vortrefflich ausnutzen konnte, und ich kehrte mit einem weiteren Theile der Krieger nach Chinchoxo zurück. Die Neger zeigten sich geneigt, zu unterhandeln, sie verlangten aber, die Weißen sollten zu diesem Zwecke in einem zu wählenden Dorfe erscheinen, sie selbst könnten nicht nach Landana kommen. Da sie späterhin als Grund hierfür die Furcht vor dem noch anwesenden Rest der „Cannibalen-Armee“ angaben, benutzte Herr Dr. Falkenstein diese willkommene Gelegenheit, um unter Zustimmung sämmtlicher Weißen am 1. Februar nach der Station zurückzukehren, nachdem durch Botschaft an Mataenda die Mission fernerhin für unverletzlich und unter unserem besonderen Schutze stehend erklärt worden war.

Die Mission ist vorläufig sicher, um so mehr, da jede Stunde ein französisches Kriegsschiff vom Gabun eintreffen muß, welches zu ihrem Schutze hier ankern wird. Wie es den Handelshäusern in Landana und am Fluß noch ergehen wird, ist nicht abzusehen. Die Neger sind wieder so drohend wie je vorher; vorläufig haben die Unterhandlungen noch nicht begonnen, um aber ihren Vortheil nach Kräften zu wahren, haben sie einstweilen wieder den Chiloango gesperrt.




Kurhessische Hofgeschichten aus dem vorigen Jahrhundert.


Die hessische Geschichte des vorigen Jahrhunderts bietet zur Charakteristik der deutschen Kleinstaaterei und des damaligen Hoflebens manche interessante Einzelheiten. Aber bei der Abneigung der letzten hessischen Kurfürsten, den Geschichtschreibern ihre Archive und Bibliotheken zu öffnen, sind die Quellen, welche hier in Frage kommen, bisher so spärlich geflossen, daß über den Casseler Hof in der letzten Hälfte des vorigen und den ersten Decennien dieses Jahrhunderts so gut wie gar nichts an die Oeffentlichkeit gelangt ist. – Um so freudiger begrüßen wir ein Werk[1], welches, von Karl Fulda und Jakob Hoffmeister herausgegeben, im Monate Juli d. J. die Presse verlassen wird. Dasselbe beruht auf den eigenhändigen treuen Aufzeichnungen des Vaters und des Großvaters des erstgenannten Herausgebers, d. h. auf Mittheilungen zweier Zeugen der hessischen Hofgeschichte, deren Wirkungskreis sie in die nächste Nähe der damaligen Landesherren brachte.

Bei der Authenticität und Neuheit der Berichte glaubten wir die uns durch das gütige Entgegenkommen der Herausgeber gebotene Gelegenheit ergreifen zu sollen, indem wir im Nachstehenden aus den ersten uns zur Verfügung gestellten Druckbogen des Werkes einige Episoden herausgreifen und mit unwesentlichen Weglassungen wiedergeben.

Von allgemeinem Interesse dürfte zunächst die Erwähnung eines noch heute in der Literatur hochangesehenen Namens sein.

„Freiherr Adolf von Knigge, der Verfasser der noch nicht vergessenen Schrift: ‚Ueber den Umgang mit Menschen‘,“ heißt es im dem Buche, „war in den 1770er Jahren Kammerassessor und Hofjunker an dem glänzenden Hofe in Kassel. Er war aus innerster Neigung Sarkast und liebte es besonders, die Hofdamen in den Cercles und Soiréen aufzuziehen und durch seine Unterhaltung in Verlegenheit zu setzen, was ihn verhaßt machte. Unendlich sind die Verwirrungen und Entzweiungen, welche Knigge bei den verschiedenen Persönlichkeiten des brillanten Hofstaates in Kassel damals hervorbrachte, aber Niemand vermochte dies zu hindern und den Urheber zur Strafe zu bringen oder zu entfernen. Der Landgraf liebte den geistreichen jungen Mann zu sehr und mochte den Witz und die Unterhaltung desselben nicht entbehren.

  1. „Hessische Zustände und Persönlichkeiten aus den Jahren 1751–1830, aus den nachgelassenen Aufzeichnungen hessischer Beamten herausgegeben von Karl Fulda und Jakob Hoffmeister.“
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_367.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)