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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Delphin-, Weißwal- und Seehundsfang im Obimeerbusen ist zur Zeit noch wenig ausgebeutet und könnte, wenn eine Seeschifffahrt im Sommer nach Europa möglich, sehr bedeutend ausgedehnt werden. Die nördlichste Ansiedelung, welche unsere Reisenden auf der Obifahrt erreichen werden, ist der zweiundvierzig Häuser und hundertfünfzig Einwohner zählende, reichlich eine deutsche Meile von der Mündung des Obi in den Obimeerbusen gelegene Marktplatz Obdorsk. Im Sommer ist derselbe völlig verlassen, da um diese Zeit die Einwohner dem Fischfange im Flusse und Meerbusen obliegen, im Winter großer Markt.

Die Schifffahrt auf dem Obi und seinen Zuflüssen hat sich in der letzten Zeit sehr entwickelt. Ihr Centrum ist die Stadt Tomsk. Man zählt an zweiunddreißig Dampfer, darunter vier Passagierdampfböte, welche regelmäßige Fahrten zwischen Tjumen und Tomsk unterhalten. Was die Frage der Seeverbindung zwischen der Obimündung und den europäischen Küsten betrifft, so würde die weit nach Norden sich erstreckende Halbinsel des Samojedenlandes, wenn das Karische Meer glücklich passirt ist, das Einlaufen in den Obibusen immer nur mit Verlust vieler kostbaren Zeit gestatten. Möglicher Weise könnte aber dieser Umweg vermieden werden, wenn die Seefahrt ihren End- und Ausgangspunkt in einer Ausbuchtung der Karabai, der Baidaratzkybucht, finden und die Waaren von Obdorsk dahin und von da zurück theils über Land, theils auf einem Flusse sich bewegen könnten. Jene Bucht liegt von Obdorsk in dieser Richtung nur circa sechsundzwanzig deutsche Meilen entfernt.

Diesem Projecte tritt man russischerseits ernsthaft näher, und es werden in diesem Sommer Untersuchungen in jener Gegend stattfinden. Die neueste Nachricht über die Eröffnung einer Frachtschifffahrt von Schweden nach dem Jenissei lautet dahin: „Mitte Juli läuft der Dampfer ‚Ymer‘ von fünfundvierzig Pferdekraft und vierhundert Tonnen Tragfähigkeit von Gothenburg zur Fahrt um das Nordkap durch’s Karische Meer nach dem Endpunkte der Jenisseidampfer, dem Flecken Dudino, aus. Er wird von Schweden und Norwegen Fracht mitnehmen, unter Anderm Muster schwedischer Industrieproducte und soll auch aus Sibirien Güter mitbringen. Drei schwedische Botaniker begeben sich zu Lande nach dem Jenissei, um dort naturwissenschaftliche Forschungen anzustellen, und beabsichtigen mit jenem Dampfer im Herbste nach ihrer Heimath zurückzukehren.“ Ob und welchen praktischen Erfolg alle diese Unternehmungen haben werden, steht dahin. Für die Naturwissenschaft dürfte aber in allen Fällen Gewinn zu erwarten sein.

Der Initiative des Bremer Polarvereins ist es zu verdanken, daß auch Deutschland seinen Antheil an diesem Gewinne haben wird. Mit Recht darf daher der Verein auf thatkräftige Sympathie in weiten Kreisen Anspruch erheben. Gegründet zunächst zur Förderung der deutschen Polarforschung, hat er, wie die von ihm herausgegebenen Werke beweisen, sich diese Aufgabe ernst und mit Erfolg angelegen sein lassen.[1] Neuerdings hat er, den Charakter einer geographischen Gesellschaft annehmend, seine Ziele erweitert und auf die Veranstaltung von Entdeckungs- und Forschungsreisen überhaupt ausgedehnt. Die jetzt unternommene Reise nach Westsibirien ist die erste That auf diesem größeren Gebiete des Schaffens. Um seine Bestrebungen auch ferner mit Energie zu bethätigen, bedarf er Mittel und Kräfte. Wenn zu der sibirischen Reise ein reicher Russe dem Vereine unaufgefordert eine bedeutende Summe zur Verfügung stellte, so darf sicher erwartet werden, daß deutsche Landsleute daheim und in transatlantischen Ländern in größerer Zahl bereit sein werden, dem Vereine durch Darbietung von Mitteln oder durch sonstige Mitwirkung bei der Lösung seiner Aufgabe hülfreich zur Seite zu stehen. Zur Erforschung des Erdballes durch Reisen hat Deutschland schon Großes beigetragen. Gerade jetzt, bei errungener und gefestigter Machtstellung, ist es berufen, dieses Werk des Friedens in großem Maßstabe fortzusetzen, und für das Volk, welches mit gerechtem Stolze Alexander von Humboldt und Karl Ritter zu den Seinen zählt, gilt auch auf diesem Gebiete erst recht das „Noch lange nicht genug! sagt Bismarck.“

  1. In dieser Beziehung mag beispielsweise erwähnt werden, daß von der letzten deutschen Polarexpedition her achtzehn Universitäts- und sonstige öffentliche naturwissenschaftliche Sammlungen mit zoologischen und siebenzehn Sammlungen mit botanischen Collectionen bedacht wurden; von ersteren gehörten vier dem Auslande an und eine war Privatinstitut.




Blätter und Blüthen.


Der kalte Trunk. Die mütterliche Autorität wird in einer ihrer Grundansichten bedroht. Die erste Regel, welche eine Mutter ihrer tanzenden Tochter auf das Dringendste an das Herz zu legen pflegt, ja nicht im erhitzten Zustande einen kalten Trunk zu nehmen, ist für null und nichtig erklärt. „Der kalte Trank schadet nichts, nein, er nützt –“ gegen diese immer mehr Freunde gewinnende Ansicht erheben sich vom medicinischen Standpunkte einige Bedenken, welche es jedenfalls, wie leicht zu beweisen, für gerathen erscheinen lassen, den goldenen Mittelweg einzuschlagen und eine vernünftige Anwendung der durch die Praxis geheiligten Sitte beizubehalten.

Der Magen, welcher zunächst das kalte Wasser empfängt, liegt bekanntlich in einer äußerst blutreichen Gegend. Er selbst besitzt ein sehr starkes Blutgefäßnetz; links grenzt er in directer Berührung an die Milz, nach vorn und rechts liegt die Leber, hinter ihm die große Schlagader mit ihren Abzweigungen zur Ernährung der erwähnten Organe. In diesem Blutreichthum haben wir die schlimmen Folgen des kalten Trunkes zu suchen. Heftige und vorzüglich unregelmäßige Körperbewegungen, wie wir sie beim Tanzen ausüben, bedingen eine bedeutend raschere Circulation des Blutes durch die Adern als gewöhnlich. Die Blutgefäße dehnen sich vermöge ihrer Elasticität mehr aus, und kleine Röhren, welche sonst ganz eng sind, zeigen in einem so erhitzten Zustande eine beträchtliche Erweiterung. Die Wirkung des kalten Trunkes ist nun leicht zu begreifen. Die Kälte hat die Eigenschaft, die Blutgefäße zu verengern; es kann dann selbstverständlich nicht mehr eine so große Menge Blut wie vorher in sie hineinfließen. Wird nun die Vorsicht außer Acht gelassen und eine erhebliche Menge kaltes Wasser mit diesen erweiterten Blutgefäßen in Berührung gebracht, so muß sich die plötzliche Kältewirkung nicht allein in dem Magen, sondern auch in den angrenzenden Partien geltend machen und eine Verengerung der hier befindlichen Adern bewirken. Das Resultat ergiebt sich von selbst. Der Blutstrom nach unten zu wird plötzlich bedeutend gehemmt, und es müssen deshalb für einen Moment die oberen schon erweiterten Adern noch mehr Blut aufnehmen. Die Thatsächlichkeit dieses Umstandes hat schon Jeder an sich selbst erlebt.

Trinkt man sehr erhitzt kaltes Wasser, so wird man für einen Augenblick, vorzüglich am Kopfe, noch wärmer, weil die Schweißdrüsen und die ganze Haut dieser Theile mehr Blut von der verengten Magenumgebung zugeführt erhalten. Vor Allem betrifft dieser vermehrte Blutzufluß die nach oben in senkrechter Richtung sich an die große Schlagader ansetzende Gehirn-Arterie, und zweitens, in Folge der für das Herz eintretenden Stauung, die Lungengefäßchen. Halten diese Adern den plötzlichen Anprall aus, wie es bei einem gesunden Menschen zu erwarten ist, so entsteht kein Schaden, sind aber die kleinsten Endungen der Adern, die Capillaren, geschwächt und leicht zerreißbar, so bersten dieselben, und es kommt zu einem Bluterguß in das Gehirn oder die Lungen, eine bei Bällen leider nicht selten beobachtete Thatsache. Ein weiterer Nachtheil kann noch, vorzüglich an den Lungen, dadurch entstehen, daß die so übermäßig ausgedehnten Blutgefäßchen eine fortdauernde Reizbarkeit behalten, bei jeder Gelegenheit erkranken und als gelindeste Folge öfters Luftröhrenkatarrhe veranlassen.

Andere Verhältnisse als die geschilderten bietet dagegen das Militär, bei dessen Marschübung die Wasserentziehung bis vor Kurzem auf die Spitze getrieben wurde. Hier haben sich durch die lang andauernde rhythmische Bewegung die Blutgefäße an einen anderen Gleichgewichtszustand gewöhnt; sie sind durch den starken Wasserverlust des Schweißes nicht mehr so stark erfüllt, und endlich befinden sich die Leute in ihren gesündesten Jahren. Also ein Wasserverbot für längere Zeit müßte sich der starken Verdunstung wegen als absolut schädlich erweisen, doch ist auch hier dem Einzelnen die geringe Vorsichtsmaßregel anzurathen, einige Secunden zwischen der starken Bewegung und dem Trunke zu pausiren und die ersten Schlucke etwas im Munde zu erwärmen, bis sich der übermäßige Blutdruck ausgeglichen hat. Wer also im unserem scrophulösen Zeitalter sicher überzeugt ist, daß seine Blutgefäße den Ueberdruck aushalten, mag unsere Ermahnung allenfalls unbeachtet lassen. Vorsicht aber ist nicht Aengstlichkeit, und der Besonnene hält es daher lieber noch mit dem zwar alten, aber dennoch wahren Fibelvers:

„Auf Hitze trinke nie,
Noch kühle schnell Dich ab!
Leicht könnt’ es schaden Dir,
Und früh sinkst Du in’s Grab.“

Dr. –a–.




Eine Gefahr für das tägliche Brod. Vor einigen Monaten sandte die Firma Heeremans und Comp. in Rotterdam an verschiedene Mühlenbesitzer in der Provinz Hannover Proben von Kunstmehl. Die Begleitschreiben, die mit den Proben zur Versendung kamen, waren in holländischer Sprache verfaßt, und bei jeder Offerte befanden sich zwei Muster in folgender Weise bezeichnet: „Kunstmehl Nr. 1“ und „Kunstmehl Nr. 2“. Die Verwendbarkeit der eingesandten Waare fand in dem Empfehlungsschreiben wohlweislich keine Erwähnung; man hatte der Einsicht der Mühlenbesitzer das Vertrauen geschenkt, die richtige Verwendung sofort zu errathen, und so glaube ich den Lesern dieses Artikels dasselbe Vertrauen schenken zu dürfen.

Da jedoch die fraglichen Proben von Kunstmehl in ihrer äußeren Beschaffenheit eine täuschende Aehnlichkeit mit Kornmehl zeigten, womit

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