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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

wie eine leere Redensart, die durch ihre Handlungen Lügen gestraft wird.“

„Hört, hört!“ rief Franz.

„Ja,“ fuhr sie erregter fort, „oder ist es nicht ein entsetzlicher Contrast, wenn man fortwährend die Frauen mit Schiller’schen Citaten öffentlich anschmeichelt, um sie dann, als wären sie hiermit abgefunden, auf Schritt und Tritt als Unmündige zu behandeln?“

„Ach,“ seufzte Doctor Pfefferkorn, „will’s da hinaus?“

„Nein, lieber Freund,“ antwortete sie mit einem vollen Blicke ihrer schönen Augen, „wir wollen uns heute nicht über die Emancipirten streiten, sondern annehmen, die Frauen seien die untergeordneten Geschöpfe, als welche sie hier im Lande der Idealität behandelt werden. Wie unfein ist es dann von den Männern, ihnen die hoffnungslosen Gebrechen ihrer Natur fortwährend vorzurücken! Man hält es für unerlaubt, einen Fremden wegen der Schattenseiten seiner Race aufzuziehen, aber Sie Alle werden mir zugeben, daß man hier zu Lande in den besten Kreisen die Beschränktheit der Frauen mit Vorliebe zur Unterhaltung wählt, und ich weiß nie, über was ich mehr staunen soll, ob über die totale Rücksichtslosigkeit, womit die Männer sprechen, oder über die lächelnde Zustimmung in den Mienen ihrer Zuhörerinnen. Das kommt bei uns nicht vor, und wenn Sie auch in Ihrem germanischen Bewußtsein auf die Slaven und Romanen hoch herabsehen, so haben diese wenigstens Eines vor den Deutschen voraus, die zartfühlende Rücksicht für ihre Frauen.“

„Ausgezeichnet!“ sagte der junge Ehemann spitzig. „Machen Sie schnell Reue und Leid, Doctor! Das Gewissen muß Ihnen nach der Rede des Fräuleins bedeutend schlagen.“

„Dieses Organ leidet bei mir an auffallender Unempfindlichkeit,“ erwiderte Aegidius Pfefferkorn sehr behaglich. „Ueberdies sind wir Freunde – nicht wahr, Fräulein Olga? – und haben als solche das Recht und die Pflicht, uns Unannehmlichkeiten zu sagen. Darin wenigstens halten es, wie ich glaube, alle Nationen gleich.“

Sie gab ihm lachend einen Schlag auf die Hand, welche sich ausstreckte, um die ihrige zum Friedensschlusse an seine Lippen zu führen.

„Und keiner der Herren nimmt den Handschuh auf?“ rief Richard im komischer Verzweiflung. „Ich darf nichts mehr sagen; ich habe heute schon zu viel Ungnade auf mein Haupt geladen. Aber so wehren Sie sich doch, Sie Vertreter der germanischen Cultur und Sitte!“

Der Professor legte sich schnell eine kleine Abhandlung über die geringere Differenz zwischen slavischen Männer- und Frauenköpfen zurecht und wollte eben beginnen, als Arnold mit seiner schönen, tiefen Stimme ruhig sagte: „Ich bin allezeit dafür, der Wahrheit die Ehre zu geben. In diesem Punkte hat sie Recht.

„Was!“ riefen sein Schwager mit dem Doctor zugleich.


(Schluß folgt.)




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Das rothe Quartal.


(März–Mai 1871.)


Von Johannes Scherr.


9. „Oh, welcher Mordkampf hat sich da entsponnen!“


Derweil nahm der Bürgerkrieg seinen Fortgang und steigerte von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde seinen Grimm und sein Grausen.

Aber fanden sich denn nicht hüben und drüben Männer, welche gesund genug fühlten und dachten, das Vaterland über die Partei zu stellen und um jeden Preis, d. h. um jeden Preis gegenseitiger Nachgiebigkeit diesem schrecklichen, ärgernißvollen Kampfe ein Ende zu machen? Nein. Oder wenigstens hatten solche Männer keine Macht. Diese war hüben und drüben bei den Fanatikern, welche von nichts wissen wollten als von der Vernichtung des Gegners.

Es war rein vergeblich gewesen, daß am 9. April die „Union républicaine“, ein Verein von besonnenen Republikanern, mit gemäßigten Mitgliedern der Kommune eine Vereinbarung erzielte, welche das Programm aufstellte: „Staatliche Einheit Frankreichs und municipale Selbstständigkeit der Gemeinden“ – und dieses Programm zur Basis einer Waffenstillstands- und Friedensverhandlung mit der Nationalversammlung gemacht wissen wollte. Die royalistischen und pfäffischen Ultras, welche die Mehrheit der Versammlung ausmachten, wollten von diesem Programme nichts hören. Diese Rückwärtser schrieen auch jetzt wieder, wie sie oder ihre Gesinnungsgenossen im Juni von 1848 geschrieen hatten: „Man muß ein Ende machen mit der Revolution,“ und das Haupt der Executivgewalt, Herr Thiers, war ganz entschieden derselben Meinung. Das äußerste Zugeständniß, zu welchem er sich herbeiließ, war das Versprechen einer allgemeinen Amnestie im Falle der Unterwerfung von Paris. Nur die Mörder von Thomas und Lecomte sollten, wie billig, von dieser Amnestie ausgenommen sein.

Auch das Auftreten der Pariser Freimaurer zu Gunsten einer Ausgleichung und Versöhnung schlug gänzlich fehl und vermehrte nur die ohnehin reiche Spektakelsammlung des rothen Quartals um ein weiteres. Als am 29. April die Brüder Freimaurer, 8000 oder gar 10,000 Köpfe stark, beim Stadthause sich versammelten, um durch ihren Bruder Redner Thirifocq mit den Kommunarden Beslay, Meillet und Pyat höchst wohlgemeinte und sonor deklamirte Standreden über die Schönheit und Wünschbarkeit des Weltfriedens und der Menschenbruderschaft auszutauschen, und als sie sodann in feierlicher Procession mit ihren Fahnen, Schurzfellen, Winkelmaßen und Kellen durch die Stadt zur Umwallung hinauszogen, um auf derselben ihr großes weißes Friedensbanner mit der Inschrift „Aimons-nous!“ aufzupflanzen, da konnte man wieder einmal recht deutlich sehen, daß vom Erhabenen zum Lächerlichen nur ein Schritt ist. Die Freimaurer thaten diesen Schritt mit allem Anstande, das muß man sagen, mit echt französisch-theatralischer Grazie. Allein das ganze Schauspiel endete damit, daß eine aus einem Geschützrohre der Blauen kommende Kugel das Friedensbanner mitsammt seiner liebseligen Devise in Fetzen riß.

Ein letzter Vermittlungsversuch ward noch in der letzten Stunde gemacht, d. h. als der Todeskampf der Kommune bereits begonnen hatte. Gegen den 20. Mai hin mußten nämlich selbst die röthesten Rothen in der Kommune erkennen, daß keine Hoffnung auf Sieg mehr sei. Am genannten Tage ließ demnach der Wohlfahrtsausschuß sich herbei, Delegirte der „Union républicaine“ zu ermächtigen, auf Grund des vorhin erwähnten Programms derselben in Versailles einen Waffenstillstand zu beantragen. Allein die Delegirten vermochten erst am 22. Mai eine Audienz bei Thiers zu erlangen, und dannzumal waren die Blauen schon in die Stadt eingedrungen und raste der Kampf innerhalb derselben so wüthend, daß selbst beim besten Willen kaum daran zu denken war, demselben Einhalt zu thun. Uebrigens war dieser beste Wille auch nicht vorhanden, in der Präfektur zu Versailles so wenig wie im Stadthause von Paris. Dort nicht, weil man des Sieges gewiß war; hier nicht, weil man sich so oder so verloren sah, obzwar man sich und anderen noch immer vorlog, daß Rettung und sogar Triumph möglich wäre.

Die letzte Maiwoche brachte die Katastrophe, brachte hochrothe Pfingsten, wie Paris noch keine gesehen.

Wenn man vom Boulogner Walde her durch die Porte La Muette die große Umwallung passirt und den Schienendamm der Gürteleisenbahn hinter sich hat, so erblickt man in der Richtung auf Passy zu zur Rechten Park und Schloß La Muette. Hierher hatte der Obergeneral der Kommune, Dombrowski, sein Hauptquartier verlegt, als es der Entscheidung zuging. Er stellte den mehr und mehr an den Wall herangekommenen Belagerern einen zähen und geschickten Widerstand entgegen, vermochte aber mit seinen Mitteln die Ueberlegenheit der blauen Artillerie in die Länge nicht zu bestreiten. Diese Ueberlegenheit machte es dem Polen am 20. Mai klar, daß die Walllinie, obzwar

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_306.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)