Seite:Die Gartenlaube (1876) 296.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

schlang ihren Arm um die Hüften der großen, schlanken Schwester, um sie nach der Thür zu ziehen. „Ich leide ein solch indiscretes Verhör nicht,“ setzte sie, zornig mit dem Fuße stampfend, hinzu.

„Bah, echauffire Dich nicht, Henriette!“ lachte Flora. Sie reichte Käthe das Etui mit dem Geschmeide hin. „Hier, Kleine, Du wirst doch die Steine nicht in dem offenen Salon liegen lassen, wo die Dienerschaft aus- und eingeht?“

Käthe legte unwillkürlich und naiv wie ein Kind die Rechte, in welche der Schmuck gedrückt werden sollte, auf den Rücken. „Mag doch Moritz sie wieder an sich nehmen,“ sagte sie kurz und bestimmt. „Deine Großmama hat darin ganz Recht – es ist ein unpassendes Geschenk; an meinen Hals gehört ein solcher Schmuck nicht.“

„Und an diese gutgespielte Unbefangenheit soll ich glauben?“ rief Flora ärgerlich und wie gelangweilt. „Geh’! Einem so großen, vierschrötigen Mädchen steht die kindische Ziererei nun einmal nicht an. Da liegt er noch, der Spitzenshawl, den Moritz der Großmama mitgebracht hat – sie verschmäht ihn; sie ist empfindlicher als Deine Schwestern, die es selbstverständlich finden, daß Dein Geschenk Alles, was er hier für uns ausgebreitet hat, an innerem Werthe mindestens vierfach aufwiegt – und über das Warum dieser Auszeichnung wolltest Du allein im Unklaren sein? Mache Dich nicht lächerlich! Hörst Tag für Tag das Hantiren drüben im Pavillon – Alle im Hause, bis auf die aus- und eingehenden Handwerker hinab, wissen, daß die Wohnung für die Großmama hergerichtet wird, damit die junge Frau Commerzienräthin in diese brillanten Räume einziehen kann – nun, kleine Unschuld, soll ich noch deutlicher werden?“

Bis dahin hatte das junge Mädchen regungslos gestanden und mit zurückgehaltenem Athem und aufdämmerndem Verständniß die Redewendungen der Schwester so erschreckten Auges verfolgt, als sehe sie eine buntschillernde, gefährliche Schlange allmählich sich entringeln. Nun aber irrte ein stolzes Lächeln um ihre blaßgewordenen Lippen. „Bemühe Dich nicht – ich habe Dich endlich verstanden,“ sagte sie bitter – dem Metallklang ihrer Stimme hörte man den inneren Schrecken an – „Du hast es weit klüger angefangen, als Deine Großmama, mir den ferneren Aufenthalt in diesem Hause unmöglich zu machen.“

„Käthe!“ schrie Henriette auf. „Nein, darin irrst Du. Flora ist wie immer entsetzlich rücksichtslos gewesen, aber böse gemeint waren ihre Anspielungen sicher nicht.“ Sie schmiegte sich eng an die Schwester an und sah ihr zärtlich in das Gesicht. „Und wenn auch, weshalb sollten Dich denn derartige Neckereien aus dem Hause treiben, Käthe?“ fragte sie halb ängstlich und zögernd in schmeichelndem Flüstertone. „Bist Du wirklich so ahnungslos der Liebe gegenüber geblieben, die Dir so unzweideutig gezeigt wird? Sieh, ich habe jetzt oft den heißen Wunsch zu sterben, wenn es aber wahr würde, daß Du als Herrin hier, in unserem väterlichen Heim, einzögest, dann –“

Käthe wand sich ungestüm aus den zarten Armen, die sie umstrickten. „Niemals!“ rief sie, den Kopf heftig schüttelnd, zornig, erbittert, wie es nur ein stolzes, plötzlich in allen seinen Tiefen unsanft und schonungslos aufgerütteltes Mädchengemüth sein kann.

„So – also niemals?“ wiederholte Flora sarkastisch. „Vielleicht ist Dir die Partie nicht vornehm genug – wie? Wartest wohl auf irgend einen verschuldeten Grafen oder Prinzen, der moderner Weise nicht das Dornröschen selbst, sondern ihre Geldsäcke aus dem Zauberbanne erlöst? Ei nun, die Jetztzeit ist ja nicht arm an solchen Ehen! Wie aber die unglückliche Mitgabe, die Frau, dabei fährt, weiß man auch. … Willst Du immer wieder hören, daß Dein Großvater hinter den Müllerpferden hergegangen und Deine Großmutter barfuß gelaufen ist, dann heirathe nur in eine solche adelsstolze Familie! Uebrigens möchte ich wirklich wissen, was Du an Moritz auszusetzen hast, oder vielmehr, was Dich berechtigt, seine Hand zurückzuweisen. Du bist allerdings sehr reich, aber was es für einen bedenklichen Haken dabei hat, wissen wir. Du hast viel Jugendfrische, allein schön bist Du nicht, meine Kleine, und was Dein Talent betrifft, mit welchem Du allerdings in günstigen Momenten zu brilliren verstehst, so ist das ein von ehrgeizigen Lehrern künstlich angefachtes Geistesfünkchen, das sehr schnell wieder erlöschen wird, sobald das fette Honorar aufhört.“

„Flora!“ unterbrach sie Henriette empört.

„Schweig’! Ich rede jetzt in Deinem Interesse,“ sagte Flora, mit einer kräftigen Handbewegung die schwache Gestalt der Kranken bei Seite schiebend. „Oder möchtest Du Moritz leidenschaftlicher verliebt in Dich sehen, als er sich giebt, Käthe? Liebes Kind, er ist ein gereifter Mann, der über das Heldenspielen in einem Backfischroman längst hinaus ist. Es fragt sich überhaupt, ob Du je um Deiner selbst willen gewählt wirst – bei solchen kleinen Millionärinnen kann man das nie wissen. … Ich begreife Dich nicht. Du hast Dich bis zu diesem Augenblicke auf die Krankenpflegerin capricirt, wie kaum eine aussichtslose alte Jungfer, weil – es eigentlich von keiner Seite gewünscht wurde, und nun, da Henriette ihre ganze fernere Existenz an Dein Bleiben im Hause knüpft, willst Du gehen? Ich für meine Person würde auch ruhiger in der Ferne sein, wenn ich unsere Schwester unter Deinen pflegenden Händen wüßte, und was Bruck anbelangt – nun, Du hast Dich allerdings eben wieder überzeugen müssen, wie wenig sympathisch Du ihm bist, armes Kind; er will lieber den ungezogenen Schreihals, den Job Brandau, in seinen vier Wänden dulden, als Dein häusliches Schalten und Walten, aber ich weiß trotz alledem gewiß, daß er seine Patientin, die er schließlich doch hier ihrem Schicksale überlassen muß, Dir am liebsten übergiebt, an der sie mit Liebe hängt.“

Henriette lehnte mit kreideweißen Wangen an der Wand – sie war keines Wortes fähig, so tief erbitterten sie die unbeschreibliche Nonchalance, der beispiellose Uebermuth, mit welchem Flora Alles, was die Schwesterherzen demüthigen mußte, an das Licht zerrte. Käthe jedoch hatte ihre äußere Fassung vollkommen wiedergewonnen.

„Darüber werden wir Zwei uns allein verständigen, Henriette,“ sagte sie ganz ruhig, aber die Lippen, welche die Stirn der Kranken küssend berührten, die Finger, die sich mit innigem Druck um ihre Hand legten, waren kalt wie Eis. „Du gehst doch wohl jetzt hinauf in Dein Zimmer;“ sie sah nach ihrer Uhr, „es ist Zeit, daß Du Deine Tropfen nimmst. Ich komme bald zurück.“

Sie ging hinaus, ohne noch einen Blick auf Flora zu werfen.

„Eingebildetes Ding! Ich glaube gar, sie nimmt es auch noch übel, daß man sie nicht für die erste Schönheit erklärt und daß nicht auch Männer wie Bruck an ihrem Siegeswagen ziehen,“ sagte die schöne Dame mit sarkastisch zuckenden Mundwinkeln, und während Henriette schweigend ihr Geschenk und die Kapsel mit dem Rubinschmucke forttrug, schritt sie, eine Melodie trällernd, nach dem Zimmer, in welches sich die beiden Herren zurückgezogen, und klopfte ungenirt mit dem Finger an, weil es, wie sie durch die Thürspalte hinüberrief, sehr ungalant sei, „das Geburtstagskind“ heute allein zu lassen.




20.


Käthe wanderte lange ziellos durch den Park, durch alle Laubgänge und Alleen in die entlegensten Partien hinein. So aufgeregt, wie sie war, mochte sie der Tante Diakonus nicht unter die Augen treten; sie wußte, die alte Frau würde theilnahmvoll fragen, und dann mußte sie beichten, und wahrscheinlicherweise gehörte die alte Freundin auch zu Denen, die ihre Verbindung mit dem Commerzienrath wünschten – sie machten ja in dem Punkte Alle Front gegen sie, Flora, Henriette, der Doctor. Egoisten waren sie Alle, das wußte sie nun. Aber sie ließ sich nicht in den glänzenden Käfig sperren; sie flog ihnen davon. Das dachte sie bitter, mit finsterem Trotze und blieb einen Augenblick mit müden Füßen vor der Ruine stehen, bis wohin sie sich verirrt hatte. Die Sonne stand schon tief – es war Abendsonnenlicht, das die Lüfte, den dunklen Tannenwald im Hintergrunde und den fluthenden Wasserring um die Ruine von zwei Seiten her mit Purpur- und Goldtinten glühend tränkte und färbte. Wie ein Gebild aus schwarzem Marmor hob sich die Hügelform mit dem Thurme von dem glitzernden Grunde, und die vollblätterige Nußbaumgruppe stand vor ihr wie eine vielzackige dunkle Silhouette, durch deren Geäst nur da und dort die Farbengluthen tropften.

Mit einem feindseligen Blick starrte das junge Mädchen über das Wasser hinüber. Dort oben, wo die schwere, dunkelrothe Seidengardine hinter der mächtigen Spiegelscheibe wie ein unheimlicher Blutstrom niederrollte, stand der vielberufene Geldschrank.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_296.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)