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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

dem Terrain, das Du ihr allzu bereitwillig und unumschränkt eingeräumt hast, an eine Andere abtreten wollen. Ich habe Dich oft genug gewarnt, sieh Du nun auch zu, wie Du mit ihr fertig wirst!“ Sie unterbrach sich plötzlich und erfaßte besorgt Bruck’s Hand. „Sage mir nur um des Himmels willen, was mit Dir ist, Leo?“ rief sie leidenschaftlich erregt. „Du kämpfst mit einem inneren Schmerze, den Du mir verbergen möchtest. Magst Du auch Andere täuschen, das Auge der Liebe täuschest Du nicht. Hier und hier“ – sie fuhr mit ihren weißen Fingern über seine Stirn, die bis an die Haarwurzeln erröthete – „sehe ich Linien, die mich ängstigen. Du strengst Dich offenbar zu sehr an. Weißt Du, daß ich mir die Freiheit nehmen und von heute an einen unserer Diener in Deine Stadtwohnung beordern werde, um diese lästigen Spießbürger unerbittlich zurückzuweisen, die Dein ärztliches Wirken kaum noch mit Steinen beworfen haben und nun Dich zu Grunde richten mit ihrer Zudringlichkeit?“

Henriette starrte die zuversichtliche Sprecherin wie fassungslos an, und der Commerzienrath räusperte sich und strich wiederholt mit der Hand über sein feines Bärtchen, um einen moquanten Ausdruck zu verbergen, über das Gesicht des Doctors aber, das vorhin allerdings eine unerklärliche, erschreckende Starrheit angenommen hatte, ging jetzt schattenhaft ein schneidendes, bitterverächtliches Lächeln hin. „Das wirst Du nicht thun, Flora,“ sagte er rauh und sehr gebieterisch. „Jede unbefugte Einmischung in meine Praxis muß ich mir entschieden verbitten – heute und immer. Ich habe übrigens im Interesse eines Schwerkranken, den heftige Gemüthsbewegungen geistig und körperlich gebrochen, ein Wort mit Dir zu reden,“ wandte er sich an den Commerzienrath. „Möchtest Du mir wohl eine Besprechung unter vier Augen gestatten?“

„Eines Schwerkranken?“ wiederholte der Commerzienrath nachsinnend. Er runzelte gleich darauf finster die Brauen, und ein harter, widerwilliger Zug entstellte seinen Mund. „Ach ja, ich weiß schon,“ sagte er mit einer wegwerfenden Handbewegung; „es ist der wagehalsige Mosje, der Kaufmann Lenz. Der Mensch hat auf die unvernünftigste Weise in’s Blaue hinein speculirt und möchte sich nun mit einem tiefen Griffe in meinen Seckel retten; ich bedanke mich.“

„Willst Du mir dergleichen nicht lieber drüben aussprechen?“ fragte der Doctor mit starkem Nachdrucke. „Wir Beide sind heute noch die Einzigen, die der Mann in seine furchtbare Lage eingeweiht hat; nicht einmal seine Frau weiß darum –“

„Nun meinetwegen; ich werde ja hören, inwiefern er Dich zum Vermittler gemacht hat, glaube aber schwerlich, daß ich ihm auch nur eine Fingerspitze reichen werde. Es ist eine total verlorene Sache, sag’ ich Dir.“ Er zuckte kalt die Achseln; den einst wirklich gutherzigen Mann hatten Glück und Geld unempfindlich gemacht – er war völlig unfähig geworden, sich in eine von qualvollen Sorgen hin- und hergepeitschte Menschenseele hineinzudenken. „Im Uebrigen hast Du am allerwenigsten Ursache, Dich seiner anzunehmen, er hat[WS 1] auch einen Stein aufgehoben, um Dich zu bewerfen.“

„Soll das wirklich maßgebend für mich sein?“ fragte Bruck ernst über die Schulter, während er sich anschickte, dem Commerzienrathe in das anstoßende Zimmer voranzugehen. – Der Mann der Wissenschaft erschien in diesem Augenblicke hochherrlich und imponirend neben dem jäh erröthenden Geldmenschen.

Die drei Schwestern blieben allein. Flora schellte übelgelaunt nach ihrer Jungfer, damit sie die Geschenke des Commerzienrathes wegräume, und Käthe griff nach ihrem Sonnenschirme.

„Willst Du in’s Freie, Käthe?“ fragte Henriette, die sich wieder in ihren Schaukelstuhl gekauert hatte.

„Es ist heute Arbeitsstunde bei der Tante Diakonus; ich habe mich schon verspätet und muß eilen –“ das junge Mädchen verstummte unwillkürlich; Schwester Flora warf einen Carton mit Blumen so heftig in die Korbwanne, welche die Kammerjungfer herbeigeholt hatte, daß ein ganzer Regen zarter, weißer Blüthenglocken über die Stoffe hinflog.

„Wie mich dieses Thun und Treiben anekelt, kann ich gar nicht sagen,“ rief sie ergrimmt. „Diese Tante, dieses personificirte Pflichtgefühl, hat meinte heutige Einladung zum Kaffee abgelehnt, weil die kleinen Damen aus unserem verrufensten Stadtviertel beileibe nicht unverrichteter Dinge fortgeschickt werden dürfen, und Fräulein Käthe beeilt sich selbstverständlich aus demselben Grunde, zu der Farce eine ernsthafte Miene voll Pflicht und Tugend zu machen.“

Sie biß sich auf die Lippen und wartete, bis sich die Jungfer entfernt hatte, dann aber erfaßte sie Käthe, die eben schweigend das Zimmer verlassen wollte, am Arm und hielt sie zurück. „Nur einen Augenblick Geduld! Ich muß Dir sagen, daß Du mich durch Dein Gebahren in eine Rolle drängst, die ich auf die Dauer unmöglich durchführen kann – bis zum September ist eine lange Zeit. Was liegt näher, als daß die Tante von der Braut ihres Neffen dieselbe heroische Selbstüberwindung verlangt, wie sie das Muster von Schwester an den Tag legt? – Ich soll die ungewaschenen Kinderfinger zwischen die meinen nehmen und lammgeduldig Masche um Masche von den Nadeln heben, bis solch ein vernagelter Taglöhnerkopf die Manipulation des Strickens begriffen hat. Ich soll nöthigenfalls schmutzige Gesichter waschen, wirre Zöpfe strählen und stundenlang mit den unappetitlichen Menschenkindern Ringelreihe spielen – ich hab’s versucht – brr! Und wenn ich darauf hin mein Mitwirken unterlasse, da geschieht es, daß ich durch die Ohrenbläsereien der guten Tante in Bruck’s Augen zu einem wahren Ungeheuer gestempelt werde, das – unweiblich und herzlos – die süße Kinderwelt nicht liebt. Aus diesem Grunde verbiete ich Dir nochmals, ein- für allemal diese Art Verkehr im Hause meines Bräutigams, kraft meines guten Rechtes – hörst Du?“

„Ich höre, werde aber nichts destoweniger thun, was mir mein eigenes Gewissen nicht verbietet,“ versetzte Käthe fest und ruhig und schob mit einer energischen Geberde die Hand der Schwester von ihrem Arm. „Deinem guten Recht, das Du übrigens selbst mißachtet und in meiner Gegenwart als überlästig ausgeboten hast –“

„Ja wohl, ja wohl!“ rief Henriette dazwischen – sie stand plötzlich neben Käthe, und ihre Augen funkelten in unversöhnlichem Haß die übermüthige Schwester an.

„Also diesem Recht trete ich in keiner Weise nahe, dessen bin ich mir bewußt,“ fuhr Käthe fort. „Schlimm aber steht es um Dich, wenn Du in jeder menschenwürdigen Handlung Anderer ein feindliches Element siehst, das Deine Stellung gefährdet –“

„Gefährdet?“ wiederholte Flora unter spöttischem Gelächter die Hände zusammenschlagend. „Liebste, weiseste aller Moralpredigerinnen, das ist ein kleiner Irrthum. Eine Liebesleidenschaft, die sich das Alles bieten läßt, was ich mit gutem Vorbedacht als Feuerprobe über Bruck verhängt hatte, kann durch nichts mehr auf Erden gefährdet werden.“


(Fortsetzung folgt.)




Menschenaffen.


Von Brehm.


III.[WS 2] Gefangenleben.


Auf einer seiner Jagden von Dajaks herbeigerufen, sah der bekannte Forscher Wallace einen großen Orang-Utan auf einem Baume sitzen und erlegte ihn mit drei Schüssen. Während die Leute ihn zurüsteten, um ihn nach Hause zu tragen, bemerkte man noch ein Junges von höchstens Fußlänge, welches mit seinem Kopfe im Sumpfe lag und augenscheinlich am Halse seiner Mutter gehangen hatte, als sie vom Baume herabfiel. Glücklicher Weise schien es nicht verwundet, vielmehr sehr kräftig und lebhaft zu sein, begann auch, nachdem ihm der Mund vom Schlamme gesäubert worden war, laut zu schreien. Noch besaß es keinen einzigen Zahn, und erst einige Tage später kamen die beiden unteren Vorderzähne zum Vorscheine. Unglücklicher Weise vermochte Wallace nicht, Milch zu verschaffen, da weder Malaien, noch Chinesen, noch Dajaks dieses Nahrungsmittel verwenden,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: her at
  2. Vorlage: IV.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_282.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)