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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

verbunden waren und im Nothfalle zu Hülfe herbeigeholt werden konnten. Die erste Abtheilung bestand aus einem Commando der fürstlichen Leibgarde zu Pferde, zwei Officieren und 50 Husaren als Avantgarde, commandirt vom Major von Benckendorf, ferner aus der Schloß-Grenadier-Garde, zwei Officieren und 77 Grenadieren, commandirt vom Major von Voß, endlich aus einem Commando vom Erbprinz-Friedrich-Regiment, drei Officieren und 122 Mann, commandirt vom Capitain Richter und bei ihm der Lieutenant Rauch als Adjutant. Dazu ein Munitionskarren und ein Wagen, in welchem drei „Geschwindstücke“ (Regimentskanonen, welche eine dreipfündige Kugel oder Traubenhagel von 30 zweilöthigen Kartätschkugeln schossen) verdeckt lagen. Das Obercommando führte ein Oberstlieutenant, welchen der herrliche Name Goldacker schmückte, und ihm waren zur diplomatischen Vertretung des Executionszuges als „kaiserliche Subdelegirte“ der Geheimerath Flörke, der Hofrath Buddeus und der geheime Secretär Schneider beigegeben, die, vom Militär mit altberechtigtem Selbstgefühl als „Schreiber“ über die Achsel angesehen, in einer besonders bedeckten Kutsche mitfuhren.

Einen andern Anblick gewähren die Meininger Rüstungen. Die Fürsten dieses Landes waren nicht, wie die Gothaer, bis zum Soldatenhandel hinaufcultivirt. Ihr Reichscontingent bestand aus neunundzwanzig Kürassieren und einer Grenadier-Compagnie, die beide zum fränkischen Kreis-Contingent gehörten, und einer Musketier-Compagnie, die Meiningen, wohl wegen des Oberlandes, zum Obersächsischen Kreis-Contingent zu stellen hatte. Die Grenadier-Compagnie war im besten Stand und etwa achtzig bis hundert Mann stark; von der Musketier-Compagnie existirte nur der Hauptmann.

Außer dem Reichs-Contingent standen unter der „Kriegscommission“, der obersten Militärbehörde, noch das sogenannte Defensionswerk, das heißt die Landtruppen (Miliz), die in den engen und in den weiten oder alten Ausschuß zerfielen. Jener zählte zwei Landbataillone, das des Unter- und das des Oberlandes (jetzt Kreis Sonneberg), jedes zu vier Compagnien, zu fünfzig bis sechszig Mann; – dieser bestand nur im Unterland und zwar aus sogenannten „Amts-Compagnien“, die zu Polizeidiensten bestimmt waren und vom Volk als „Heppenfänger“ bezeichnet wurden. Dazu kamen noch zwei Bürger-Compagnien der Stadt Meiningen. Wenn diese gesammte Macht beisammen war, mochte sie dreizehn- bis vierzehnhundert Mann zählen.

Die neunundzwanzig Kürassiere waren nicht etwa ein hochfürstlicher Luxus, sondern sie bildeten einen Theil einer Schwadron des „Tresconischen Regiments“ des fränkischen Kreis-Contingents, die von acht Reichsständen in folgender Weise zusammengestellt wurde:

von Meiningen der Rittmeister und 18  Mann.
von Römhild (früher eigenes Herzogthum,
     dazumal schon zu Meiningen gehörig) der
     Unterlieutenant und
11 
von Schleusingen (Kursachsen) der
     Oberlieutenant und
16 
von Schmalkalden (Kurhessen)
von Themar und Mehlis (Gotha)
von Behrungen (Hildburghausen)
von Ilmenau und Kaltennordheim (Weimar)
von der Grafschaft Löwenstein
von der Grafschaft Castell
 Ganze Schwadron:  71  Mann.

Davon nahm Meiningen seine neunundzwanzig Mann nebst Rittmeister und Unterlieutenant, rief die Meininger Bürger-Compagnie und das Unterländer Landbataillon in die Waffen, befestigte die Hauptstadt, armirte sie mit Kanonen, verstärkte die Besatzung durch zwei Compagnien des Landbataillons und detachirte die beiden anderen nach dem Städtchen Wasungen und den Dörfern Schwallungen und Nieder-Schmalkalden, von wo der Weg über die hessische Grenze und nach Gotha führte.

So sind wir nun historisch und geographisch genugsam gesattelt, um vom hohen Rosse der Gegenwart auf den Kleinkrieg jener guten alten Zeit hinabschauen zu können.

Zu den besonderen Kennzeichen dieses Feldzugs gehört es, daß dem Obercommandirenden auf die Seele gebunden war, nicht zu schießen, es sei denn, daß die Meininger zuerst schössen. Er sollte, wo möglich, Meiningen mit List nehmen, die Thore besetzen und Herrn und Frau von Gleichen aus der Haft befreien. In zweifelhaften Fällen war er an den Beirath der kaiserlichen Subdelegirten gewiesen, deren Autorität in Meiningen zur Geltung zu bringen der Hauptzweck des Unternehmens war. Anders hatte es der Kriegsgott beschlossen. Der verhängnißvolle erste Schuß war bereits geladen.

Als die Truppen, die vom gothaischen Tambach über die Höhe des Rennstiegs, der Rosengarten genannt, durch die Nacht marschirt waren, im ersten hessischen Dorfe, Flohe, ankamen, begrüßte sie ausnehmend freundlich der heitere Tag; nur über den Zweck ihres Zuges beherrschte sie noch das alte schwermüthige Dunkel auch auf ihrem ferneren Zuge durch die Stadt Schmalkalden und bis zum Dorfe Mittel-Schmalkalden. Hier befahl der Oberstlieutenant scharfe Munition auszugeben und scharf zu laden, und nun ging plötzlich ein allgemeines Licht auf. Nach zweistündiger Rast setzte die Reichstruppe sich wieder in Bewegung, voraus Benckendorf mit den Husaren, hundert Schritt davon als zweites Corps die Grenadiere, sodann in gleicher Distanz die „Schreiber“-Kutsche und dahinter als drittes Corps die Mannschaft des Erbprinz-Regiments. So, in wohlgefügter Ordnung, rückte man auf die Meininger Grenze los, und kaum war sie überschritten, so stand der Feind schon da.

Vor dem ersten Meiningischen Dorfe, Nieder-Schmalkalden, stellte eine Miliz-Abtheilung von etwa 30 Mann unter einem alten Lieutenant, Namens Zimmermann, sich quer über die Landstraße den gothaischen Reitern in den Weg. Und nun erhebt uns die Seele ein Spiegelbild der streitbaren Helden vor Troja. Wie dort die erzumschienten Männer erst in herrlichen Reden der Wahrheit gegenseitig alle Ehre anthaten, ehe sie mit Speer und Schwert gegen einander rannten, ebenso wechseln auch hier auf althenneberger Boden die Männer in Wehr Rede und Gegenrede. Eingedenk der herzoglichen Friedensmissions-Ordre reitet Major von Benckendorf zum alten Lieutenant hinan und fragt ihn verständig: „Was soll das heißen, daß Ihr uns nicht passiren lassen wollt? Ist dieses hier nicht eine offene Landstraße?“ – Siehe, da antwortet der Alte: „Eine Landstraße ist’s, aber ich habe meines Herrn Befehl, Euch nicht passiren zu lassen.“ – Sagt darauf der Major: „Wenn Ihr mich mit meinem Volke nicht durchlasset, so werde ich durchsetzen,“ worauf der Lieutenant kurz erwidert: „Das könnet Ihr thun. Vor Gewalt kann ich nicht.“ Nun läßt der Major der Garde das Seitengewehr ziehen, rückt vor und fragt, den großen Augenblick wohl bedenkend, noch einmal: „Wollt Ihr Feld geben, oder nicht?“ Der Alte aber rief: „Nicht von der Stelle! Ich habe Befehl von meinem Herrn.“ Nun erfolgt das Commando: „Marsch!“ Rechts und links fliegt die Miliz auseinander, die Garde durch. So ging’s los, und nun begann der Krieg, denn nun reißt der alte Lieutenant sein Officiersgewehr von der Schulter und schießt dem letzten Reiter, einem Wachtmeister, eine solche Ladung von gehacktem Blei und Laufkugeln in das Sitzfleisch, daß die Curirung desselben in Schmalkalden, wohin man ihn schaffte, dem Staate 86 Thaler 15 Groschen gekostet hat. Der Alte wollte nach dem Schuß sich davon machen. Aber ein Reiter setzte ihm mit geschwungenem Säbel nach, und ein Grenadier schoß ihn hinter das rechte Ohr. Er war todt.

Als die Miliz ihren Führer hingestreckt sah auf das Bett, der Ehre und sogar einige Granaten unter sie flogen, eilte sie von dannen, und die Schreckenskunde, die sie auf der Flucht ausschrie, daß die „Gothischen“ nicht blos schössen, sondern gleich todtschössen, räumte allen Widerstand von Barrikaden und Defensionern in Nieder-Schmalkalden und in Schwallungen aus dem Wege bis gen Wasungen, der ersten feindlichen Stadt.

Vor dem untern Thore von Wasungen ist die denkmalwürdige Stätte, wo noch einmal die Heldenscenen von Troja aufgeführt wurden, denn hier wiederholte sich derselbe Friedensversuch, wie vor Nieder-Schmalkalden, und er endete ebenso feindlich, nur weniger tragisch. Die Thore waren verschlossen und verrammelt, aber eine Schildwache stand außen davor. Major von Benckendorf beehrte auch diesen Mann der Miliz mit der gütigen Frage: „Ist dies nicht eine offene Landstraße und der Weg nach Nürnberg?“ Die Schildwache bejahte das freundlich, aber auf sein Verlangen: „Nun, so öffnet die Thore und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_276.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)