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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

„Um ihn, wenn ein heimtückischer Schuß seine Flügel lähmt, für eine Krähe zu erklären und ihn feige zu verlassen,“ fiel Käthe ein – dieser Einwurf brandmarkte mit wenigen Worten den ganzen schamlosen Verrath der selbstsüchtigen Schwester, und die ihn ausgesprochen, sie stand da mit untergeschlagenen Armen, die verkörperte ernstzürnende, in ihren Gefühlen tiefverletzte Weiblichkeit. „Und wenn Du noch gegangen wärest, verstohlen und schweigend, wie es doch sonst die Art der Treulosigkeit ist, aber Du hast erst noch dem bittersten Hasse Luft gemacht, hast Dich an dieser Stelle für die Verrathene, Betrogene erklärt, und jetzt stehst Du wieder auf dem mißachteten Boden –“

„Als Bruck’s vergötterte Braut, die erst einem schweren Irrthume verfallen mußte, bis sie die ganze Größe des ihr bestimmten Glückes einzusehen vermochte,“ ergänzte Flora mit triumphirendem Hohne. Sie maß die Schwester von unten bis oben mit einem boshaft funkelnden Blicke. „Schau, Du kannst ja auch ganz allerliebst impertinent sein, Kleine! Ich bin förmlich frappirt von der hübschen Wendung, die Du vorhin meinem Gleichnisse gegeben hast. … Ei nun ja, eine ganz respectable Dosis bürgerlichen Hausverstandes ist Dir ja nicht abzusprechen, aber sie reicht gerade so weit, um die Ausbrüche einer genialen Natur, einer Feuerseele mißzuverstehen – was weißt Du von einem psychologischen Räthsel! Hätte ich gestern von abtrünniger Freundschaft gesprochen, dann hättest Du Recht, Dich über meine plötzliche innere Wandlung zu scandalisiren und sie für Komödie zu halten, denn aus Freundschaft wird niemals Liebesleidenschaft, wohl aber liegen Haß und Liebe in der Menschenseele eng zusammen; sie entzünden sich an einander, und dem glühend gezeigten Hasse liegt oft ein Uebermaß von Liebe zu Grunde. Ihr, mit Eurem stumpfen Gefühle, fasset das freilich nicht. Ihr kocht dem beleidigten Manne ein Lieblingsessen, um ihn zu versöhnen, während eine Natur wie die meine in eclatanter Sühne für ihn ein Verbrechen begehen, für ihn den Tod erleiden kann.“

Sie legte ihre geballte Rechte unter den Busen, als drücke sie sich bereits ein Stilet in das Herz. „Und nun lasse Dir sagen: Nie habe ich Bruck leidenschaftlicher, hingebender geliebt, als seit ich weiß, daß er wie ein Märtyrer gelitten, wie ein Held geschwiegen hat, seit ich mir sagen muß, daß ich ihn tödtlich gekränkt habe, aber auch noch nie“ – sie erfaßte plötzlich Käthe’s Hand und zog sie an sich, und die schmalen Finger, die sich um das warme, blühende Fleisch des jungen Mädchens klammerten, waren kühl wie der Zugwind, der jetzt vom Wasser herkam – „noch nie,“ flüsterte sie Käthe in’s Ohr, „war ich so glühend eifersüchtig. Merke Dir das, mein Kind! … Hier ist mein Revier. Und wenn mir auch nichts ferner liegt, als Dich für gefährlich zu halten – Du bist ihm durchaus nicht sympathisch, das habe ich längst gemerkt, auch hat er ja bis in alle Ewigkeit nur Aug’ und Ohr für mich – so bin ich doch nicht gewohnt, irgend ein Menschenkind neben mir zu dulden, das so absichtlich die Angenehme spielt. Dein ‚hausmütterliches‘ Schalten und Walten hier, Dein ungenirtes Kommen und Gehen in diesem Hause gefällt mir nicht. Du wirst das in Zukunft bleiben lassen – verstanden, Schatz?“

Das hieß deutlich und energisch gesprochen, und nun faltete sie ihre rauschende Schleppe zusammen und schritt so eilig dem Hause zu, als wolle sie jede Erwiderung abschneiden – ein ganz überflüssiges Manöver, denn das junge Mädchen hatte die blaßgewordenen Lippen fest geschlossen. Auf ein solch gerüttelt volles Maß des Uebermuthes, der Willkür und der beispiellosesten Doppelzüngigkeit hatte die ehrliche, unverdorbene Jugend keine Antwort.




18.


Es war im Mai. Die Bäume hatten bereits ihren Blüthenschnee wieder von sich geschüttelt, und der prachtvolle, krokusbesäumte Hyacinthenflor, der sich, Aufsehen erregend, über das weite Rasenparterre vor der Villa Baumgarten hingebreitet, war längst verblüht. Dafür färbten sich die Dolden der Syringenbüsche weiß und lila; das glänzende Kettengeschmeide des Goldregens schaukelte halbentfaltet an den Zweigen; aus den Blätterbüscheln der Rosenbäume streckten sich die spitzen, grünen Fühlfäden der ersten Knöspchen, und der Schatten auf den Zickzackwegen der Boscage und in der alte Lindenallee wurde intensiver. Der Fluß brauste wieder klarwellig durch die grünen Guirlanden seines Ufergebüsches, und über das alte, liebe Haus hinter ihm flocht sich ein maienduftiges Gewebe, das mit jedem neuen Morgen weniger von den weißen Mauern sehen ließ – die dicken, kräftigen Weinstöcke trieben ihre safttropfenden Ranken bis unter das vorspringende Dach hinauf.

Das Fremdenzimmer stand wieder leer. Henriette war längst in die Villa übergesiedelt; sie hatte sich scheinbar wieder erholt, ja, es schien sogar ein momentaner Stillstand in ihrer Krankheit eingetreten zu sein, und diese Wohlthat schrieb die Tante Diakonus einzig und allein Käthe’s Pflege zu. Die beiden Schwestern führten in der Beletage ein reiches, isolirtes Zusammenleben, das einen wunderbaren Reiz erhalten hatte, seit der neue Flügel in Käthe’s Zimmer stand. Aber nicht allein die Pflege der Schwester, auch der intime Verkehr mit der Tante hatte günstig auf Henriette eingewirkt; sie war in dem einfachen, gemüthlichen Fremdenzimmer anders geworden in ihren Lebensansichten und Lebensgewohnheiten – die Stille eines zurückgezogenen Lebens, die sie früher wie ein Gespenst geflohen, heimelte sie jetzt an, und sie blieb ruhig und wunschlos, mochte auch unter ihren Füßen der Gesellschaftstrubel noch so geräuschvoll werden.

Das Haus des Commerzienrathes aber war nie geselliger gewesen, als gerade jetzt, nachdem sein Besitzer geadelt worden. Es fanden sich manche neue, sehr willkommene Elemente ein, denen zu Ehren verschiedene Festivitäten arrangirt werden mußten, und darin waren die Erfindungsgabe der Präsidentin und die Börse des Commerzienrathes unerschöpflich. Der Mann hatte ein wunderbares Glück. Nie hörte man von einem Verluste, von einem Mißlingen; wo die Wünschelruthe seines Geschäftsgenies einschlug, da sprudelte die Goldquelle – man schätzte ihn nach Millionen. Und er verstand es, wie selten ein Glückskind, die neue Glorie der Auszeichnung vor so vielen anderen Erdgeborenen zu tragen, sie interessant und zum nie versiechenden Gesprächsthema für Hoch und Niedrig zu machen. Die Promenade vor der Villa Baumgarten war zur fashionablesten geworden; man zeigte die herrliche Besitzung, die sich Tag für Tag verschönerte, den Fremden; man sprach von den kostbaren Gemälden und Sculpturwerken, von den seltenen Sammlungen, die der Commerzienrath unablässig hinter den marmorverzierten Wänden aufspeicherte, von der Silberkammer, mit der sich die des fürstlichen Hofes kaum messen könne; man blieb gefesselt stehen, wenn eine seiner Equipagen vor dem Portale hielt, und wunderte sich, daß die leichten, aufstiebenden Wölkchen, die der trockene Frühlingswind von den Sandwegen über den Rasen hinstreute, nicht Goldstaub waren.

Es wurde fortwährend gebaut; ganze Strecken des Parkes waren deshalb kaum mehr zu passiren. Man schritt an aufgethürmten Quadern und schneeweißen Marmorblöcken hin, die beim Bau und der Einrichtung neuer Pferdeställe verwendet wurden – die alten, sehr geräumigen waren der Passion des Commerzienrathes für schöne Pferde längst zu eng geworden. Große Berge ausgegrabenen Erdreichs versperrten die Wege – für den sehr umfangreichen See, dem diese Massen Platz machen sollten, war das Terrain nicht günstig; er und das Palmenhaus, eine beabsichtigte Merkwürdigkeit für die Residenz, verschlangen Unsummen. Zu alledem erschien eines Tages auch noch eine Anzahl Bauhandwerker und machte sich an einem hübschen, großen Pavillon zu schaffen, der bis dahin unbenutzt und verschlossen gestanden hatte. Er lag eine ziemliche Strecke von der Villa entfernt, im Dickicht, aber von seinen oberen Fenstern aus hatte man doch den Blick auf die Promenade und die Stadt. Das zierliche Haus erhielt einen eleganten Anbau; es wurden neue Fenster mit ungebrochenen Scheiben eingesetzt, und dann und wann zog der Commerzienrath Tapetenproben oder Zeichnungen für das Parquet aus der Tasche und bat die Präsidentin, auszuwählen. Sie wurde zwar jedes Mal sehr spitz und ungnädig, und Flora kicherte in das Taschentuch, aber wählen mußte die alte Dame doch, und wenn sie auch dabei versicherte, daß die Ausbesserung der alten Baracke sie ganz und gar nicht interessire, daß sie zeitlebens übergenug für die Instandhaltung der Villa zu denken und zu sorgen habe, und sich nicht auch noch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_260.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)