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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

hat, sodaß auch in diesem Orte ein Aufgebot stattzufinden hätte, so wird dasselbe dadurch bewerkstelligt, daß die Bekanntmachung auf Kosten des Antragstellers einmal in ein an dem betreffenden Orte erscheinendes oder verbreitetes Blatt eingerückt wird. Kann indeß eine Bescheinigung der Obrigkeit des fraglichen Ortes beschafft werden, daß ihr von dem Bestehen eines Ehehindernisses im vorliegenden Falle nichts bekannt sei, so bedarf es auch dieser Einrückung nicht.

So viel über die Erfordernisse und über die Form der Eheschließung. Wenn wir uns nun noch das Wissenswertheste über die Beurkundung von Geburten und Sterbefällen mittheilen lassen, so werden wir in dem neuen Gesetze hinreichend orientirt sein. Geburten und Sterbefälle sind immer demjenigen Standesbeamten anzuzeigen, in dessen Bezirk das Ereigniß stattfindet, auch wenn der gewöhnliche Wohnort der Eltern, beziehentlich des Verstorbenen nicht in diesem Bezirke gelegen wäre. Geburten sind innerhalb einer Woche, Todtgeburten bis zum nächstfolgenden Tage, Sterbefälle bis zum nächstfolgenden Wochentage mündlich von den Verpflichteten selbst anzuzeigen, und nur für Geburts- und Todesfälle, welche sich in öffentlichen Anstalten ereignen, ist für den Vorsteher der Anstalt eine schriftliche Anzeige in amtlicher Form zugelassen. Zur Anzeige verpflichtet ist an erster Stelle das Familienhaupt, und es liegt auch ohnedies im wohlverstandenen eigenen Interesse desselben, die Anzeigepflicht nicht etwa aus Bequemlichkeitsgründen von sich abzuwälzen und anderen Personen zu überlassen, da etwaige Ungenauigkeiten bei der Beurkundung, Differenzen in der Schreibweise der Namen und dergleichen oft noch nach Jahren zu den größten Weiterungen führen können. Ist indeß das Familienhaupt in der vorgeschriebenen Zeit an Erstattung der Anzeige behindert, so kann dieselbe bei Geburten durch die Hebamme, den Arzt oder eine andere Person, welche bei der Niederkunft zugegen gewesen, sowie durch die Mutter, sobald sie dazu im Stande ist, in Sterbefällen auch von Demjenigen, in dessen Wohnung oder Behausung sich der Fall ereignet hat, sowie endlich durch jede aus eigener Wissenschaft davon unterrichtete Person gemacht werden.

Auch alle auf inländischen Seeschiffen stattgefundenen Geburten und Sterbefälle werden von dem Schiffer, beziehentlich dem Seemannsamte dem Standesbeamten des Wohnortes der betreffenden Person zur Beurkundung mitgetheilt. Reichsangehörige und Schutzgenossen, welche im Auslande wohnen, unterliegen dagegen nicht den Bestimmungen des in Rede stehenden Gesetzes: die Vornahme ihrer Eheschließungen, wie die Beurkundung der Geburten, Heirathen und Sterbefälle unter ihnen gehört vielmehr vor den vom Reichskanzler hierzu ermächtigten diplomatischen Vertreter oder Consul des deutschen Reiches. –

Warum ist denn nun aber dieses Gesetz eingeführt worden? Den nächsten Anstoß, wenn nicht zum Erlasse des Gesetzes selbst – denn Artikel 19 der preußischen Verfassung stellt diesen bereits in Aussicht, und in vielen der anderen deutschen Staaten bestand die obligatorische Civilehe schon früher – so doch zum beschleunigten Erlasse gab unstreitig der sogenannte „Culturkampf“, und es wird dies, auch wenn er selbst längst verklungen sein wird, stets eines seiner ersten und besten Vorrechte bleiben. Der Religion oder der Kirche soll dadurch nicht der geringste Schaden geschehen, sondern ihr nur eine durch nichts als durch die Gewohnheit sanctionirte Handhabe der Macht genommen werden. Der Staat als solcher, dessen Grundelement ein geordnetes Familienleben ist und der in seiner Gesammtheit nichts Anderes, als eine Vereinigung vieler Familien repräsentirt, hat eben darum das erste, natürlichste und unzweifelhaft größte Interesse an der Klarstellung und Beweisfähigkeit derjenigen Familienzustände, welche staatliche Rechte und Pflichten begründen, also an Geburt, Ehe und Tod. Daß sich an diese wichtigsten Ereignisse im Leben dann noch für die Angehörigen der verschiedenen Religionsgemeinschaften auch entsprechende religiöse Feierlichkeiten und Gebräuche anschließen, ist eine althergebrachte und in ihrer wahren Bedeutung schöne Sitte, letzteres selbstredend nur so lange, als sie nicht erzwungen werden muß.

Thatsächlich wurden in Deutschland bis in das Mittelalter hinein die Ehen ohne alle staatliche oder kirchliche Mitwirkung durch den bloßen Consens der Verlobten geschlossen, woraus aber verschiedene nachtheilige Folgen fühlbar wurden. Es kam häufig vor, daß man gesetzliche Ehehindernisse umging, ja daß die Eheleute ungestraft wieder auseinander gingen und wohl gar eine anderweite Ehe schlossen. Unter solchen Umständen hätte nun der Staat einzuschreiten gehabt, aber die bürgerliche Gewalt des Staates ordnete sich ja von selbst der Kirche, als der alleinigen Trägerin von Bildung und Civilisation, unter, und so überließ der Staat willig und gewissermaßen selbstverständlich der Kirche die Ordnung auch dieser Angelegenheit, und das ökumenische Concil von Trient (1545 bis 1563) bestimmte zur Abhülfe der hervorgetretenen Mißstände, daß in Zukunft die Verlobten öffentlich vor dem Pfarrer und zwei Zeugen ihre Erklärung, einander ehelichen zu wollen, abzugeben hätten, um durch diese größere Oeffentlichkeit der baldigen leichtsinnigen Auflösung eines Eheverhältnisses Einhalt zu thun. Damit war die Eheschließung auch Kirchensache geworden.

Holland führte im sechszehnten, England im siebenzehnten Jahrhundert die Civilehe ein. Luther und Brenz erkennen an, daß die Eheschließung ein Act bürgerlichen Charakters sei, und Letzterer sagt: „Der Eelich Contract, gleichwie sonst andere weltlich Contract möcht auch wohl auf den Rathsheussern oder anderen gemeinen, öffentlichen, ehrlichen und bürgerlichen orten verrichtet werden.“ Das Uebergewicht der Kirche verdrängte indeß mehr und mehr die Auffassung der Ehe nach ihrem rein bürgerlichen Rechtselemente, und Pius der Neunte erklärte in einem Schreiben an Victor Emanuel 1856: die Ehe sei dogmatisch ein Sacrament, dieses letztere begreife das Wesen der Ehe, und außerhalb derselben stehe nichts als das Concubinat.

So lange nun im Staate nur eine Kirche bestand, wäre man am Ende auch mit der rein kirchlichen Beurkundung des Personenstandes und der Eheschließung ausgekommen, allein man denke nur an die zahllosen Schwierigkeiten, die den Mischehen häufig entgegengestellt, an den Zwist, der dadurch so oft in die Familien hineingetragen worden; ferner an die Schwierigkeiten, in Vormundschafts-, Erb- oder Militärsachen und dergleichen Atteste zu beschaffen: man mußte da nicht nur den Geburts- und Aufenthaltsort, sondern auch noch ermitteln, welchen der zahlreichen Religionsgemeinschaften oder Secten die betreffende Person angehörte. Zudem knüpfte die Kirche ihre Beurkundungen nur an religiöse Acte; Taufscheine von Kindern, die vor Empfang der Taufe verstorben, vom Geistlichen zu fordern, war so wenig ausführbar, wie ihm Todtenscheine von Personen, denen die kirchliche Beerdigung verweigert worden, abzuverlangen. In Fällen, in welchen der Geistliche aus Gewissensbedenken die kirchliche Copulation verweigern mußte, hat ohnehin schon seit geraumer Zeit der Staat den die Eheschließung dennoch Begehrenden durch seine Organe unter weitläufigen und schwierigen Verhältnissen zu Hülfe kommen müssen, und dennoch entzog sich eine so zu Stande gekommene Ehe in den der Humanität weiter abstehenden Kreisen immer nicht ganz dem Vorwurfe einer gewissen Anrüchigkeit. Zweifelhafte Anzeigen über die Zeit der Geburt, die Abstammung eines Kindes, die genaueren Personalien eines Verstorbenen etc. entbehrten für den Geistlichen des kirchlichen Interesses, um ihre sofortige Aufklärung herbeizuführen, auch fehlten ihm dazu polizeiliche Mittel.

Vor Allem aber legt endlich die offene Auflehnung einzelner Religionsdiener gegen die Gesetze des Staates diesem die Verpflichtung nahe, die fragliche Materie voll und ganz von dem Gesichtspunkte aus, daß die Eheschließung nur auf der Autorität des Staates ruht, zu regeln. Es gab jetzt gesetzwidrig angestellte Geistliche, die zur Führung der Kirchenbücher als gleichzeitiger staatlicher Urkunden nicht berechtigt und deren Auszüge aus denselben den Behörden und den Bürgern des Staates gegenüber nicht glaubwürdig waren, – eine Thatsache, die zu den größten socialen und Rechtsverwirrungen führen mußte. So lange nun der Staat der Schöpfer und Träger der rechtlichen Ordnung ist, hat er so Recht, wie Pflicht, Klarheit und Wahrheit zu schaffen. Recht und Würde der Kirche soll aber nicht, wie in leidenschaftlicher Uebertreibung hier und da gehört wird, durch die Institution des Standesamtes gekränkt werden, wie auch eine Entfremdung von der Religion, deren Güter doch nur dann wirksam sein können, wenn sie aus wahrem Herzensgrunde ersehnt und nachgesucht werden, nie und nimmer durch dieses Gesetz herbeigeführt werden soll.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_249.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)