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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

in eine Strafe verfallen, wegen Störung einer Vorstellung. Diese Strafe besteht, da sie zum ersten Male bei Herrn Cornet in Anwendung kommt, in einer Geldbuße von achtzehn Gutegroschen.“

„Soll das in’s Protokoll hinein?“ fragte Münchhausen erstaunt.

„Allerdings,“ versetzte Marr. „Der Herzog verlangt von uns streng sachliches Urtheil. Wir haben das Benehmen des Herrn Cornet für strafbar befunden und es nur als begreiflich erklärt. Dieser mildernde Umstand für den Künstler und Regisseur schließt die Strafbarkeit nicht aus. Dem Gesetze muß sein Recht werden, und ich verlange als Regisseur, der für die Aufrechthaltung der Theatergesetze mit verantwortlich ist, daß Herr Cornet die Strafe zahlt und daß im Protokoll davon Erwähnung geschieht. Gerade weil Seine Durchlaucht unser Protokoll verlangt hat.“

„Summum jus summa injuria.“ Correct in der Sache, ja, nach formellen Rechtsbegriffen unumgänglich nothwendig, mußten jene achtzehn Gutegroschen noch zu einer ‚Maus‘ der Ironie des ‚geschwollenen Berges‘ der Ungnade des Hofes werden. Man wollte Cornet mit Eclat stürzen und ‚achtzehn Gutegroschen Strafe‘ war die Antwort, welche dem Hofe einstimmig ertheilt wurde.

Kopfschüttelnd bequemte sich der Intendant diese Procedur protokolliren zu lassen. Dann hob er die Sitzung auf.

„Sie, Herr Intendant!“ sagte Cornet, der mit Marr bis zuletzt geblieben war, „das müssen’s doch sagen: Der Marr und ich, mir sein die einzigen G’scheidten bei der ganzen Bande.“

Diese Aeußerung kam allerdings nicht „in’s Protokoll“. Die Stimmung, welche dasselbe ohnehin bei Hofe erregte, kann man sich denken.

Wenige Jahre darauf nahm Marr ein Engagement beim Hoftheater in Weimar an, und Cornet übernahm mit Mühling zusammen die Direction des Hamburgischen Stadttheaters.

In den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts sah man Cornet’s Bild als „Masaniello“ auf Bonbons-Umhüllungen, auf Seifen- und Parfümerie-Cartons, auf Taschentüchern etc. Er hatte in seinem Fache einen Ruhm, wie ihn Wenige besessen haben. Er war weder ein Virtuose noch Reclamemacher und mit den Herren Recensenten lebte er auf einem nichts weniger als freundschaftlichen Fuße. – Und heute? – Schier vergessen ist er. Nicht einmal in der Ausgabe des obenerwähnten Conversations-Lexikons hat sein Name einen Platz gefunden. Aber es giebt gewiß noch hier und da manchen „alten Komödianten“, der sich seiner erinnern wird, manchen braven invaliden Capellmeister, der desgleichen thut, und manche alte Herren und ditto Damen, welche über die gute neue Zeit das Gute aus der „alten Zeit“ noch nicht vergessen haben und bei dieser „alten Zeit“ auch noch an Julius Cornet denken. Ihnen drücke ich diese Plauderei freundlich in die Hände.




Der Chamsihn in Kairo.


Von Adolf Ebeling.


Ueber den Chamsihn[1] – mit diesem arabischen Worte, das Fünfzig bedeutet, bezeichnet man gemeinhin den sogenannten „Wind der fünfzig Tage“, nämlich jenen heißen Wüstenwind in Aegypten, der mit Unterbrechungen fünfzig Tage lang weht, und zwar regelmäßig von Ende März bis Mitte Mai – sind vielfach die seltsamsten und widersprechendsten Gerüchte und Beschreibungen verbreitet worden, theils von Schriftstellern, die nicht an Ort und Stelle beobachtet, sondern nur aus älteren und keineswegs immer zuverlässigen Quellen geschöpft haben, theils von Reisenden selbst, die allerdings als Augenzeugen berichten und somit eine größere Glaubwürdigkeit beanspruchen. Aber gerade die Mittheilungen der Letzteren sind zumeist rein individueller Natur und deshalb oft zur Verschönerung der Situation übertrieben, obwohl auch wiederum nicht zu leugnen ist, daß die einzelnen den Chamsihn begleitenden Phänomene überaus verschiedene sind und nur höchst selten vereinigt auftreten. Da ferner den Erzählungen Anderer, in Bezug auf so Vieles im Oriente und also auch hier, nie recht zu trauen ist, so werde ich in meiner heutigen Arbeit mich einfach auf Dasjenige beschränken, was ich nun schon in zwei Chamsihnperioden selbst gesehen und mitgemacht habe.

Der Chamsihn kommt aus Südwesten von der Libyschen Wüste, und da diese mit der Sahara zusammenhängt, auch aus dieser. Der Samum ist ein ähnlicher Wind, aber der arabischen Wüste angehörend, der Syrien und Palästina heimsucht und während der ganzen heißen Jahreszeit weht, also nicht an bestimmte Monate gebunden ist, wie der Chamsihn. Mit Anfang März hört gewöhnlich der sogenannte ägyptische Winter auf, der übrigens diesen Namen gar nicht verdient, denn selbst in den kältesten Januartagen hält sich das Thermometer noch immer 3,4 Grad über Null, und auch das nur Morgens und Abends. Von zehn Uhr an wird es warm, und Nachmittags ist es geradezu heiß, wie bei uns in Deutschland im Juni, und der Europäer darf auf seinen Spaziergängen den Sonnenschirm nicht vergessen. Der Himmel ist fast durchweg heiter und wolkenleer, und Regentage gehören zu den Seltenheiten. Sie fallen aber gerade in die Monate Januar und Februar, doch sind es immer nur einzelne Schauer, die freilich manchmal zu einem halbstündigen Platzregen werden. Im Jahre 1874 hatten wir sogar zwei ganze Regentage, etwas Unerhörtes, was mich indeß, ehrlich gestanden, sehr anheimelte, denn man konnte sich wirklich nach Deutschland versetzt glauben. Bei dieser Gelegenheit kam auch der wichtige Punkt zur Sprache, daß es in den letzten Jahren in Kairo weit häufiger regnet, als früher, und daß der Grund hiervon hauptsächlich im Suezcanal zu suchen sei. In Oberägypten regnet es bekanntlich fast niemals, wohingegen in Alexandria die Regengüsse, wenigstens im Winter, ziemlich häufig sind.

Ist nun für Kairo die sogenannte Regenzeit vorüber, was stets gegen Ende März der Fall ist, so folgt ununterbrochen schönes Wetter, aber die Hitze ist während der nächsten zwei Monate noch immer erträglich, denn das Thermometer steigt im Schatten selten über 25 Grad Réaumur. Nur die Chamsihntage machen eine Ausnahme und zwar eine sehr lästige und manchmal sogar eine entsetzliche. Für den Araber und namentlich für den wüstenkundigen Beduinen giebt es verschiedene Erscheinungen, die dem Chamsihn voraufgehen und die im Allgemeinen untrüglich sind. Dahin gehört zunächst Abends vorher ein dunkelrother Sonnenuntergang, wobei die Sonne selbst als eine auffallend große, scharfgezeichnete goldgelbe Kugel in der Gluth steht, und alsdann während der Nacht ein seltsam verschleierter Himmel, der sogenannte afrikanische Höhennebel, durch den die Sterne nur mit ganz mattem Glanze hindurchschimmern. Finden sich diese beiden Symptome zusammen, so kann man für den nächsten Morgen mit Sicherheit auf den Chamsihn rechnen. Der Wind beginnt mit Sonnenaufgang und in der Regel bei ganz heiterm Himmel; er weht auch in den ersten Stunden nicht besonders stark (in Deutschland würde man einfach sagen: es ist diesen Morgen ziemlich windig), aber was das Eigenthümliche und zugleich Befremdliche ist: dieser Wind ist nicht kühl, sondern lauwarm.

Mit jeder Stunde steigt die Wärme um einige Grade, manchmal sogar um zwei Grad in der Viertelstunde, so daß gegen Mittag der warme Wind zu einem heißen geworden ist. Dann ist es hohe Zeit, namentlich für den Europäer, sich zurückzuziehen und zu Hause das Ende der Naturkrisis hinter dichtgeschlossenen Fenstern und Jalousien abzuwarten. Das Letztere ist schon deshalb nothwendig, weil der Wind in großer Menge seinen Wüstenstaub mit sich führt, der überall eindringt und sich nicht allein auf, sondern auch in alle Möbel legt, was, beiläufig gesagt, eine sorgsame deutsche Hausfrau in Verzweiflung bringen könnte, an das wir uns hier aber längst mit Resignation gewöhnt haben. Der Himmel hat jetzt eine bleigraue Farbe angenommen, die nur in der Gegend der Sonne einen großen, etwas lichteren Kreis zeigt; oft brechen auch einzelne Strahlenbündel

  1. Die Aussprache ist eine doppelte: Schamsihn und Kamsihn.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_204.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)