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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

der Stirnlöckchen – hatte sie wieder mit Impertinenz an seinen Beruf gerührt?

Käthe fühlte in nervöser Aufregung ihre Zähne zusammenschlagen, aber es kam auch ein Zorn, eine Erbitterung über sie, als müsse sie dazwischen springen und die Treulose mit Gewalt auf ihre Pflicht zurückführen. Sollte sie nicht doch hineingehen, an seine Seite treten und der wortbrüchigen Schwester die ganze Empörung, die ganze Verachtung ihres Mädchenherzens in das Gesicht schleudern? Welch ein Gedanke! Was würde er zu dieser Einmischung einer Dritten sagen? Und wenn er diese Dritte nur mit einem kühlen, befremdeten Blicke maß, wenn er sie schweigend bei Seite schob, wie er neulich mit den „aufdringlichen“ kleinen blauen Blumen gethan – in die Erde müßte sie sinken vor Beschämung.


(Fortsetzung folgt.)




Nachdruck verboten und Ueber-
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Das rothe Quartal.


(März–Mai 1871.)


Von Johannes Scherr.


5. Verhaftet euch untereinander!


Wie ging es derweil außerhalb der „intellektuellen Centralsonne des Weltalls“ her? Fand das „hehre“ Beispiel, welches Paris gegeben, in den Provinzen Zustimmung und Nachahmung? Was machten die Blauen und was that Monsieur Thiers?

Es ging in den Provinzen nicht so, wie es die Herren vom pariser Stadthause wollten und wünschten. Das „hehre“ Beispiel war so ziemlich umsonst gegeben. Die Pulverisirung Frankreichs zu einem Chaos von Kommunen entsprach mit nichten dem Nationalgeschmack. Die internationale Verschwörung hatte zwar in verschiedenen Städten tüchtig vorgearbeitet, und es gingen dann auch auf die Kunde vom 18. März hin da und dort, in Lyon, in Saint-Etienne, in Marseille, in Toulouse, in Rouen, rothe Flatterminen los. Aber eben doch nur Flatterminen oder sogar nur „Feuerteufel“, ein bißchen prasselnd und stinkend, aber ohnmächtig, zu zünden und zu sprengen. Diese Krawalle schlug die blaue Regierung unschwer nieder, und der ganze Rummel in den Provinzen hatte ein Ende, nachdem es gelungen war, den Hauptminirer Blanqui zu Castelnau festzumachen. Die fünfzig oder sechzig Tyrannen logen zwar sich selber und ihren Unterthanen bis zuletzt vor, ihre „Brüder“ in den Provinzen würden ihnen zur Hülfe heranziehen, massenhaft, unwiderstehlich, Thatsache aber war, und zwar sehr bald, daß die pariser Kommune vom Lande nichts zu erwarten hatte. Die Provinz emancipirte sich diesmal von der Hauptstadt und trieb in ihrer eigenen Manier, welche eine ganz gescheide war, Decentralisation.

Der kleine Thiers draußen in Versailles war unterdessen auch nicht müssig. Im Gegentheil, thätig bis zum Fieber. Er hatte mehr als eine begangene Dummheit gutzumachen, und er machte sie gut. Vorderhand freilich nur theilweise; denn maßen er schon am 25. März eine Streitmacht von 40,000 Mann mit 520 Geschützen zur Hand hatte, so ist wohl die Frage erlaubt, warum Thiers die ganz kopflosen, wahrhaft rührend einfältigen Machenschaften des Admirals Saisset zugelassen und nicht vielmehr einen Angriff auf Paris unternommen habe, der ja am genannten Tage noch unendlich viel leichter gewesen wäre als eine Woche später, wo die Rothen die ganze Umwallung von Paris in ihrer Gewalt und ihre Streitkräfte organisirt hatten. Auch der Forts auf der Südseite der Stadt waren sie leicht Meister geworden, dagegen in dem Versuch, auch der riesigen Citadelle des Mont Valerien sich zu bemächtigen, gescheitert. Ein noch rechtzeitig auf den Mont geschickter zuverlässiger Kommandant hielt an der Spitze einer pflichttreuen Besatzung diese wichtige, die Westfront von Paris deckende Festung für die Blauen, – ein für die Rothen, wie sich bald zeigen sollte, höchst widerwärtiger Umstand. Ein höchst eigenthümlicher, ja in seiner Art einziger war es dagegen, daß die Anwesenheit der deutschen Truppen in den Nord- und Ostforts nicht weniger den Rothen als den Blauen zum Vortheile gereichte. Den Rothen, weil sie demzufolge nur die West- und Südseite der Stadt zu vertheidigen hatten, den Blauen, weil sie nicht die ganze Stadt zu umschließen brauchten und die Kraft ihres Angriffs auf die südliche und westliche Front koncentriren konnten. Aber der Mensch ist eine undankbare Bestie. Nachmals haben Blaue und Rothe brüderlichst mitsammen über die Deutschen geschimpft wie Rohrspatzen und unser oben citirter hochwürdiger Abbé Lamazou hat, vom heiligen römischen Geiste inspirirt, sogar die sublime Entdeckung gemacht, die Kommune sei nichts anderes gewesen als eine „preußische Intrike“, item die Kommunisten und Petroleurs seien „beim Bismarck und beim Moltke in die Schule gegangen“.

Daß die Rothen über bedeutende Streitkräfte und über ausreichendes Kriegszeug aller Art zu gebieten hatten, ist schon früher dargethan worden. Auch an Generalen fehlte es der Kommune nicht. Freilich waren die Generale von der Sorte der Flourens, Eudes, Brunel, Duval, Bergeret und Lullier, welche an den obersten Stellen befehligen sollten, bis zur Uebernahme des allerobersten Befehls der damit betraute und eilends herbeigerufene Garibaldi eingetroffen wäre. Diesmal war aber der Alte von Kaprera klüger als anno 1870. Eingedenk der Erfahrungen, welche er neulich mit den Franzosen und die Franzosen mit ihm gemacht hatten, blieb er ruhig auf seiner Geißeninsel sitzen.

Es war aber auch kein Spaß, General der Kommune zu sein. Der Revolutionsmythus, der Konvent habe seine Generale so lange zur Guillotine geschickt, bis sich welche gefunden hätten, die zu siegen verstanden, hatte ja im Stadthause bedenklich viel Gläubige und Bekenner. Das Messer der Guillotine zwar machte man vor der Hand nicht zum Kritiker der Strategen und Taktiker, aber man verhaftete sich mehr oder weniger gemüthlich untereinander. Der zweifelsohne mehr als halbtolle weiland Marinelieutenant Lullier wurde schon am 26. März von seinem Bürgerwehrkommando abgesetzt, verhaftet und eingesteckt. Es hieß, von wegen eines Stuhles, welchen er im Feuer der Debatte seinem ehrenwerthen Kollegen Assi an den Kopf geworfen hätte. Am 2. April brach aber der ehrenwerthe Lullier aus und erklärte in Rocheforts „Mot d’ordre“, er werde fortan nur mit zwölf Revolvern in der Tasche herumgehen. An demselben Tage ließ die Kommune ihr ehrenwerthes Mitglied Assi verhaften und an den Schatten thun unter der Anschuldigung, ein Weibler und Werber für den Bonapartismus zu sein. Ja, ja, diese ehrenwerthen Bürger von der Kommune hatten der großen Mehrzahl nach vollauf Ursache, einander für verdächtig zu halten.

Am 1. April ernannte die Kommune den verbummelten Mediciner Eudes zum Quasikriegsminister (zum „Delegirten beim Kriegswesen“) und den gewesenen Buchdruckereifactor Bergeret, bislang Sergeant in der Bürgerwehr, zum Generalstabschef. Am folgenden Tage hatte dann der Krieg zwischen den Blauen und den Rothen ernstlich angehoben in Folge der Vorschiebung einer Truppenschaar von St. Cloud her bis an die Seine durch den General Vinoy, obzwar Monsieur Thiers der Meinung war, erst dann zum Angriff auf Paris zu verschreiten, wann er über mindestens 130,000 Mann zu verfügen hätte. Eine solche oder noch größere Truppenzahl unter der Tricolore zu versammeln, wurde aber dem Regierer Frankreichs erst möglich mittels Unterhandlungen mit dem deutschen Reiche. Diese Unterhandlungen haben dann auch, wie bekannt, zum Ziele, d. h. viele tausende und abermals viele tausende französischer Officiere und Soldaten aus der deutschen Kriegsgefangenschaft heim und unter die dreifarbige Fahne geführt.

Am 2. April also ging der blutige Tanz los. Eine über die Seinebrücke von Neuilly und bis Courbevoie vorgegangene Erkundungsschar der Rothen stieß dort mit den Vortruppen Vinoy’s zusammen und schoß sich mit denselben herum. Die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_178.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)