Seite:Die Gartenlaube (1876) 175.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Ruhm leben konnte, willst Du sagen,“ ergänzte sie schneidend mit dunkel überflammtem Gesicht. „Lege Dir das zurecht, wie Du willst, bringe es auf die Rechnung der Frauennatur, die schwankt und fehlgreift, bis sie das Rechte findet –“

„Weißt Du so gewiß, daß es das Rechte ist?“

„So gewiß, wie die Magnetnadel nach dem Pole zeigen muß.“

Er ging schweigend an ihr vorüber, nahm die Medicin vom Tische und trat an das Bett. Die Kranke mußte wieder einnehmen, aber sie war eingeschlummert und hielt mit beiden Händen Käthe’s Rechte fest. Es war dem jungen Mädchen, als bewege er sich automatenhaft, als sei der innere Kampf so gewaltig, daß er ihn der Herrschaft über Hand und Fuß und Auge beraube. Sie sah er nicht an; es mochte ihn wohl tief demüthigen, daß diese empörende Scene einen Zeugen hatte, aber litt sie nicht selbst qualvoll durch ihr Bleiben? Sie hatte mehrmals versucht, ihre Hand vorsichtig zurückzuziehen, um zu entfliehen, so weit sie ihre Füße tragen mochten, allein bei der geringsten Bewegung fuhr die Kranke in erschütterndem Schrecken empor.

Er versuchte, der Schlummernden den Puls zu fühlen. Käthe bemühte sich, ihm zu helfen, indem sie die Linke unter Henriettens Armgelenk schob; dabei ruhete ihre innere Handfläche einen Augenblick auf seinen Fingern. Er zuckte zusammen und wechselte so jäh die Farbe, daß sie erschrocken die Hand zurückzog. Was war das gewesen? Machte ihn der innere Aufruhr so nervös, daß ihn jede äußere Berührung entsetzte und mit zornigem Schrecken erfüllte? Sie sah seitwärts scheu zu ihm auf. Ein tiefer Athemzug hob seine Brust, während er sich wegdrehte, um die Medicin auf den Tisch zurückzustellen.

Flora hatte inzwischen unbeschreiblich erregt und ungeduldig einige Male das Zimmer durchmessen. Jetzt trat sie wieder neben den Doctor an den Tisch. „Es war unklug von mir, meine Gefühle so freimüthig zu bekennen,“ sagte sie mit zornfunkelnden Augen. Sein Schweigen und die Erfüllung seiner Berufspflicht, mit welcher er unbeirrt einen solchen Entscheidungskampf unterbrach, hatten sie furchtbar gereizt. „Du bist ein Verächter des Frauengeistes und gehörst zu den Tausenden von unverbesserlichen Egoisten, welche die Frau um keinen Preis auf eigenen Füßen sehen wollen –“

„Wenn sie nicht stehen kann, allerdings.“

Sie legte die kleine, krampfhaft zu einer Faust geballte Hand auf den Tisch und sah dem Sprechenden einen Augenblick mit festgeschlossenen, fast weißgewordenen Lippen in das Gesicht. „Was willst Du damit sagen, Bruck?“ stieß sie scharf heraus.

Ein Hauch von Röthe ging ihm über Stirn und Wangen hin, und seine Brauen zogen sich leicht zusammen; er war offenbar eine jener sensitiven Naturen, die ein scharfzugespitzter, auf gegenseitige Verletzung ausgehender Wortwechsel geradezu auf die Folter legt. „Ich will damit sagen,“ entgegnete er gleichwohl fest und mit anscheinender Gelassenheit, „daß zu diesem ‚Auf-eigenen-Füßen-stehen‘, zu welchem die strebende Frau vollkommen berechtigt ist, wenn sie damit nicht bereits übernommene ältere Pflichten und das edle deutsche Familienleben schädigt, daß zu diesem ‚Auf-eigenen-Füßen-stehen‘ ein starker, zäher Wille, ein consequentes Ausschließen der reizbaren weiblichen Eitelkeit und vor Allem wirkliche Begabung, wirkliches Talent erforderlich sind.“

„Und die letzteren Eigenschaften bestreitest Du mir?“

„Ich habe Deine Artikel über die Arbeiterbewegung und die Frauenemancipation gelesen.“ – Jetzt allerdings hatte die sonst so sanft moderirte Stimme des Arztes etwas durchdringend Schneidendes.

Flora fuhr zurück, als sei ein blitzendes Messer auf sie gezückt worden. „Wie willst Du wissen, daß ich die Verfasserin derjenigen Artikel bin, die Du gelesen?“ fragte sie unsicher, schwankend, dabei aber seine Züge in fieberhafter Spannung fixirend. „Ich schreibe unter Chiffern.“

„Aber die Chiffern circulirten bereits in Deinem großen Bekanntenkreise lange vorher, ehe die Aufsätze das Licht der Oeffentlichkeit erblickten.“

Sie wandte einen Augenblick beschämt und verlegen die Augen weg. „Gut, Du hast sie gelesen,“ sagte sie gleich darauf. „Was soll ich aber von Dir denken, daß Du dieses Streben nie mit einer Silbe berührt, daß Du nicht einmal Dein ungnädiges Mißfallen darüber ausgesprochen hast?“

„Würdest Du darauf hin Deine Feder niedergelegt haben?“

„Nein, und abermals nein.“

„Das wußte ich; deshalb ließ ich Dich gewähren bis zu unserer Vereinigung. Es versteht sich ja von selbst, daß die verständige Frau mit dem Manne geht und sich nicht isolirt in Sonderbestrebungen, es sei denn, daß sie bei starkem Pflichtbewußtsein, hochbegabt, ein hervorragendes Talent –“

„Was ich selbstverständlich nicht bin,“ unterbrach sie ihn mit nicht zu beschreibender Erbitterung.

„Nein, Flora, Du hast Geist, Esprit, aber schöpferisch bist Du nicht,“ versetzte er ernst den Kopf schüttelnd und in seine gewohnte milde Sprechweise einlenkend.

Secundenlang stand sie wie erstarrt vor diesem unumwundenen Urtheile, das sich unverkennbar auf die festeste Ueberzeugung stützte, dann aber hob sie in einem halbwahnwitzigen Gemisch von gemachtem Jubel und ausbrechendem Grimme die Arme hoch empor. „Gott sei Dank, nun fällt auch die letzte Rücksicht, das letzte Bedenken. Eine Sclavin wäre ich geworden, ein armes, niedergetretenes Weib, dem man den göttlichen Funken der Poesie aus der Seele gerissen hätte, um – das Küchenfeuer damit anzuzünden.“

Sie hatte überlaut gesprochen. Die Kranke, die vorhin der gleichmäßige Wechsel der zwei Stimmen allmählich eingeschläfert hatte, fuhr empor und blickte mit weit aufgerissenen Augen um sich. Besorgt eilte der Doctor an das Bett; er reichte ihr die Medicin und legte sanft die Hand auf ihre Stirn. Unter dieser Berührung sanken die erschreckten Augen wieder zu. Hätte sie ahnen können, die arme Leidende, welchen Sturm sie über den unglücklichen Mann heraufbeschworen, sie, die bis dahin Alles aufgeboten hatte, um den unheilvollen Bruch zu verhindern!

„Ich muß Dich ernstlich bitten, die Kranke nicht mehr zu stören,“ sagte der Doctor, den Kopf in das Zimmer zurückwendend; noch beugte er sich über das Bett und seine Hand lag auf Henriettens Stirn.

„Ich wüßte auch nichts mehr zu sagen,“ versetzte Flora mit einem mißlungenen Spottlächeln und zog die Handschuhe aus der Tasche. „Wir sind zu Ende, wie Du nach Deinen verletzenden Aussprüchen selbst wissen wirst – ich bin frei –“

„Weil ich Dir ein Talent abspreche, auf welches Du Dich capricirst?“ fragte er, mit äußerster Ueberwindung die Stimme dämpfend. Jetzt gewann die Entrüstung die Oberhand in ihm; er stand plötzlich in seiner ganzen imposanten Größe da. Alles, was ihn zuweilen so jünglingshaft erscheinen ließ, der sanfte, treue Blick, die von edler Bescheidenheit und Geduld zeugenden Geberden – Alles war verschwunden; er war ein zürnender, empörter Mann. „Ich frage Dich, um wen ich geworben habe, um die Schriftstellerin, oder um Flora Mangold? Als diese Letztere, und nur als diese hast Du damals Deine Hand in die meine gelegt, recht wohl wissend, daß ich zu denen gehöre, die ihre Frau einzig und allein für sich und ein stillbeglücktes Familienleben, nicht aber als ein in der Welt herumflackerndes Irrlicht haben wollen. Du hast das gewußt; Du hast Dich damals befleißigt, mir das zu werden; Du bist in Deiner sanguinischen Art weit darüber hinausgegangen – denn daß Du selbst die rußigen Töpfe in die Hand nehmen solltest, wie Du in übertriebenem Eifer gethan, würde ich ja nie von Derjenigen verlangen, die das geistig belebende Element, mein Stolz, meine mitfühlende, mitringende Gefährtin in meinem Daheim werden soll.“

Er schöpfte tief Athem; nicht ein einziges Mal wichen die strafenden Augen von dem schönen Mädchen, das jetzt so klein und erbärmlich, so unscheinbar vor ihm stand und sich vergebens abmühte, die kühne, trotzig herausfordernde Haltung standhaft zu behaupten.

„Ich habe die Wandlung in Dir vom ersten mißmuthigen Zuge auf Deiner Stirn an bis zu Deiner eben erfolgten Erklärung Schritt für Schritt verfolgt,“ hub er von Neuem an. „Du bist so unsäglich schwach Deinen eigenen weiblichen Schwächen gegenüber, als da sind Hochmuth, Eitelkeit, Launenhaftigkeit – und doch willst Du die Starkgeistige spielen, willst in Sachen der Frauenemancipation das große Wort reden und für Dein Geschlecht die Urtheilskraft, die Consequenz, das feste

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_175.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)