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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Und in die Bücher wird Alles bis zur Stunde eingetragen, was in der Strazza steht. Dann wird das Bestellungsbuch durchgesehen. Die an die Ablieferung von Waaren zu mahnenden Arbeiter werden notirt und die neu ausgeschriebenen, auszutragenden Bestellungszettel in die Tasche gesteckt; denn da der Frosch schönes Wetter, als für den ganzen Tag beständig, angekündigt hat, so ist der Vorsatz gefaßt, Nachmittags gleich nach dem Schläfchen die Wege selbst zu thun und Alles bestens selbst zu besorgen, die Pfeifenmacher in Mengersgereuth, die Schachtelmacher in Steinach oder die Nagelschmiede in Oberlind persönlich aufzusuchen.

Gleich nach dem Mittagsschläfchen tragen die Töchter Alles zusammen, was der Vater zum Anzug und zur Toilette braucht. Sie pudern ihn und zupfen, putzen und bürsten so lange an ihm herum, bis er ungeduldig wird und die Mutter kommt, um den „Vater“ von Kopf bis zu Fuß endgültig zu mustern und alles gut zu heißen. Mit dem steifen Zöpfchen an der altmodischen Perrücke, den Dreimaster darüber, im grasgrünen, langen Tuchrock, weißen Wadenstrümpfen, Schuhen mit großen silbernen Schnallen, mit gesteiftem weißem Jabot, weit über die gestickte Schooßweste hervorstehend, – so tritt der ehrwürdige Kaufherr, Neunerherr und Schützenmeister zugleich, auf die Straße. Ihm ist’s in solchem Moment, als stünde seinetwegen in der ganzen Straße aller Handel und Wandel still, als ob alle Leute, auch die an den Fenstern, auf ihn schauten und einander fragten, wohin der alte Herr wohl gehe. – Er aber kümmert sich um Niemand. Aus der hinteren Rocktasche schaut die Tabakspfeife; in der anderen bauscht der Tabaksbeutel mit heraushängendem Pfeifenstürer; aus der rechten Schooßtasche hängt das buntgedruckte, baumwollene Schnupftuch auffällig breit entfaltet; in der anderen birgt sich, sorgsam in Papier gewickelt, der Abendimbiß, bestehend aus einem Stück Schwarzbrod und einem Kuhkäse.

So geht der Alte am hohen Spazierstocke mit großem silbernem Knopfe bedächtig seines Wegs stundenweit, – wohl wissend, daß er bei so schönem Wetter mehrere seiner Sonneberger Collegen in dem Dorfe treffen werde, daß Pfarrer und Schulmeister zeitig im Wirthshause sich einstellen, mit den Herren aus der Stadt einen Tarok zu karten, weshalb er sich mit Pfennigen und Hellern aus der Ladencasse seiner Frau sattsam versorgt hat, sowie auch mit einer frisch gefüllten Dose echten Sentemir (St. Omer), aus welcher Pfarrer und Schulmeister im Laufe des Kartenspiels sich oftmals erquicken und zum Schluß und Abschied, wenn um sechs Uhr das Abendglöcklein läutet, jedesmal noch eine Doppelprise nehmen.

Unter der Sonneberger Kaufmannschaft stand als Grundsatz fest, daß neben jeder Großhandlung ein Kleinhandel zu betreiben sei. Jener sei riskant und häufig Conjuncturen unterworfen, zumal Sonneberger Waaren Luxusartikel seien, die Niemand zu kaufen brauche; der Handel mit täglichen Gebrauchsartikeln und Lebensmitteln aber sei auch zu schlechten Zeiten beständig, denn Jedermann müsse sie kaufen, um zu leben. – So räsonnirte man. – Ferner galt das Princip: daß der Mann und die Söhne die Großhandlung betreiben, die Frau und die Töchter das Kleinhandelsgeschäft, den Laden zu führen haben, beide Geschäfte ohne wesentliche fremde Beihülfe, weniger aus Furcht vor Veruntreuung, als vor Schädigung des geschäftlichen Interesses, denn Geheimhaltung der Kundschaft, der Einkaufs- und Verkaufspreise waren Regeln, die als klug und weise galten und streng befolgt wurden. Also wurde das einer Sonneberger Großhandlungsfirma zugehörige „Specerei-, Material- und Schnittwaarengeschäft“ von der Hausfrau allein geführt, selbstständig und meist ohne irgend welche Beihülfe seitens des Gemahls oder der Söhne.

Ueberhaupt waren die Sonneberger Kaufmannsfrauen des vorigen Jahrhunderts innig mit dem Händel verknüpft; ihr Antheil an der geschäftlichen Prosperität des Hauses war ein wesentlicher. Wie viele Fälle weist die Sonneberger Handelsgeschichte auf, da nur zu frühzeitig des Kaufherrn Großgeschäft eingegangen war, während das Ladengeschäft seiner Frau blühte und lange noch reichlich lohnte, zum Glücke der Familie. Wie viele Handlungshäuser unserer Zeit verdanken ihre Wohlhabenheit, oder doch ihren Aufschwung dem Kleingeschäfte der Großmutter, ihr auch zugleich den günstigen Einfluß, daß die Enkel sparsam blieben bis auf den heutigen Tag. So manche Anekdote und Geschichte von der geistigen Ueberlegenheit der Frauen, von ihrer Energie und Thatkraft, die sie ihren Männern gegenüber im Geschäfte entwickelten, leben durch Tradition als „Lieder vom braven Weibe“ in Sonneberg fort.

Die Wirksamkeit jeder tüchtigen Kaufmannsfrau erstreckte sich im wohlgeordneten Haushalte nicht blos auf das Erhalten dessen, was der Mann verdiente, vielmehr zugleich auf Selbsthandeln und Selbstverdienen, wenigstens dessen, was der Haushalt kostete. Und was zu einem wohlgeordneten Haushalte damals und noch bis in’s erste Drittel unseres Jahrhunderts gehörte und wie außerordentlich verzweigt und daher anstrengend ein solcher für die Frauen und die erwachsenen Töchter war, davon wissen heutzutage aus Erfahrung nur noch Wenige zu erzählen.

Die Erziehung der Töchter leitete die Mutter. Aus der Schule entlassen, hatten die Töchter alle häuslichen Arbeiten zu erlernen und später theilweise allein zu verrichten. So in der kleinen Feldwirthschaft, die bei keinem Hausbesitzer und Familienvater fehlen durfte, wenn er für wirklich haushälterisch gelten wollte. Ein Acker mußte den Hausbedarf an Kartoffeln liefern, ein zweiter das Korn, das der Mahlmühle zugemessen wurde, zu Mehl für’s hausbackene Brod, das bessere für den Sonntagskuchen, den „Striezel“. Eine Kuh, oft zwei, wollte weder der Hausherr noch die Hausfrau missen. Jener hielt etwas auf einen guten Kuhkäse, den Niemand so gut zu machen verstehe, wie seine „Alte“, diese auf ein gutes Tröpfchen Rahm zu ihrem Kaffee und auf ein frisches Stückchen Butter, der übrigen Annehmlichkeiten einer Milchkammer gar nicht zu gedenken. Der Hausgarten, so klein und unvortheilhaft er hinter’m Hof zwischen Häusern lag, lieferte die vegetabilischen Zuthaten zu allen Gerichten; dazu noch Johannis- und Stachelbeeren, Aepfel, Birnen und Zwetschen. Der alte Herr verstand das Oculiren und Veredeln der Obstbäume, wozu er sich die Fechser von Bamberg mitgebracht hatte.

Hauptsache war noch, daß alljährlich ein selbstgemästetes, fettes Schwein „in’s Haus“ geschlachtet wurde, denn der Alte war an seine Majoran-, Zwiebel- und Knoblauchswürste gewöhnt und mochte keine anderen. Hatte er doch vor Jahren, als er die Messen noch bezog, seinen Bedarf an Wurst auf einen Monat mit nach Frankfurt genommen und kaufte sich dort täglich einen Teller Suppe oder Gemüse dazu. Die Würste waren geräuchert und wurden eher steinhart, als daß sie verdarben.

Höher als solche Genüsse schätzte die Hausfrau das nützlichste vom Schwein, den Speck. Ihr war es ein Gräuel, solchen beim Metzger kaufen zu müssen, denn der war unverschämt theuer damit. Ihr war schon die Ausgabe für den Rindertalg zu viel, den sie zum Lichterziehen brauchte; daher machte sie alle Knochen dem alten Spitzhund streitig und verwerthete sie zur Fabrikation ihrer vorzüglich bewährten Hausseife. Fleisch und Speck vom Schwein wurden eingesalzen und geräuchert, daß Alles bis zum Spätherbst reichte. Mehr als ein halbes Pfund wurde an den Wochentagen nicht consumirt; trotzdem kam immer ein fingergroßes Stück Fleisch auf jedes Kind und auf die Magd, nur Sonntags und Mittwochs etwas mehr, wenn es rohe Kartoffelklöße gab, dem alten Herrn zu Liebe und auf seinen Befehl. Dann legte er vom Braten etwas reichlicher vor. Der Hühnerhof und der Taubenschlag versorgten die einfache Küche auch so ziemlich. Ueberdies erlangte die Hausfrau auf dem Markt stets ein Ei mehr für den Batzen, als andere Frauen, und kaufte überhaupt billiger und vortheilhafter ein, denn sie verstand das Handeln.

Während der langen Winterabende wurde von der Hausfrau, den Töchtern und der Magd Flachs gesponnen und zu Strähnen geweift, die der Leinweber vorgezählt erhielt. Daraus wurde für die Familie Tisch-, Bett- und Hemdenzeug auf ein Jahr hinaus angefertigt, denn der Inhalt des Wäscheschrankes, wie der des Zinnzeug-Glasschrankes einer jeden Familie war im ganzen Städtchen bekannt. Er war der Gradmesser häuslicher Ordnung und des Wohlstandes eines Hauses, den zu erhalten und zu vermehren respectable Hausfrauen sich über Alles angelegen sein ließen. Außerdem strickten Frau und Töchter emsig Strümpfe oder stopften die schadhaften; am Tage aber wurde die vom Haushalt und Laden übrige Zeit zu Näharbeit verwandt, denn das selbstgesponnene hausleinene Kleiderzeug verstanden sie auch selbst zuzuschneiden, und so war der solide

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_147.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)