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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Kriegsschiffe abwechselnd. Die Chinesen beschränken sich auf den nächsten Küstenhandel, während der Waarentransport vom nördlichen China nach den südlichen Provinzen und umgekehrt fast ausschließlich von englischen und deutschen Schiffen besorgt wird. Selten nur wagen sich größere chinesische Fahrzeuge etwas weiter in die offene See, und wenn man schon im Lande die Erfahrung macht, daß Muth und Kühnheit nicht zu den hervorragenden Eigenschaften der Unterthanen der „himmlischen Majestät“ zählen, so spricht sich dieser Mangel zur See noch entschiedener aus. Unsere Route nach Shanghai durchkreuzte fast genau den größten Tummelplatz der chinesischen Fahrzeuge, und beinahe ununterbrochen bot sich Gelegenheit, die unzähligen Variationen eigenthümlicher Bauart dieser schwimmenden Wohnungen (denn auch hier bilden die Dschonken das Asyl einer oder mehrerer Familien) zu bewundern. Eine sehr verbreitete Gestalt größerer Schiffe ist die fabelhafter Seeungeheuer, die, in den grellsten Farben schimmernd, einen komischen Anblick gewähren.

Da wir nun auch an den Kriegsschiffen eine ähnliche eigenthümliche Bauart zu bemerken gewohnt waren, war es um so überraschender, als wir in der Nähe von Shanghai (an der Mündung des Yantse-Kiang, die wir am 16. October erreichten) einer größeren Zahl chinesischer Kriegsschiffe nach europäischer Bauart begegneten.

Ein etwas längerer Aufenthalt in Shanghai ließ uns überhaupt die Bemerkung machen, daß eine Classe dieser Herren des „himmlischen Reiches“ nicht ausschließlich den durch Jahrtausende sanctionirten Culturzuständen huldigt und sich so der übrigen Welt ganz entzieht, vielmehr alle Fortschritte der Europäer, speciell in der Kriegskunst, beobachtet. Wir meinen die Staatsbeamten, die Mandarinen. Nicht ohne Grund sahen diese Herren ängstlich die rasche Entwickelung der Staatsformen im Westen von einem unwürdigen Despotismus zum Ideal einer constitutionellen Monarchie vorschreiten, eine Wandelung, die auch ihrem Reiche, dessen Regierungsform noch das Urbild despotischer Unterjochung bietet, bevorstehen dürfte. Daß aber in einem übervölkerten Lande wie China eine Gleichstellung der Bewohner das materielle Wohl dieser herrschenden Classe stark beschränken muß, weiß vielleicht Niemand besser als diese Herren selbst. Es liegt daher wohl in ihrem Interesse, alle Factoren, die eine solche Umwälzung bedingen, energisch zu unterdrücken, und man muß Achtung gewinnen vor dem Scharfsinne, mit dem sie ihre Aufgabe erfüllen, wenn man bedenkt, daß es der dritte Theil der gesammten Bevölkerung der Erde ist, den sie beherrschen. Gar stolz und imponirend für ihre Untergebenen schauen diese Machthaber aus, wenn sie im reichen Amtsschmucke erscheinen, wie unser Bild (Seite 69) uns dies in gelungener Weise vergegenwärtigt.

Endlich, am 27. October, hatten wir unseren Stationsort, das südlich von Peking auf Cap Shantung gelegene Tschi-fu, erreicht. Einerseits von kahlen Bergen umgeben, im Osten von den Wellen des gelben Meeres bespült, ist es, scheinbar abgeschlossen vom Verkehr, doch ein nicht unbedeutender Hafen für den chinesischen Küstenhandel. Nur wenige Europäer (Engländer und Norddeutsche) haben hier eine Colonie gebildet, die sich jedoch während der Sommermonate – Tschi-fu ist beliebter Seebadeort – eines regen Besuches europäischer Kaufleute aus Shanghai und Hong-kong erfreut. Bedeutender und ungleich bevölkerter ist hingegen die chinesische Stadt Yen-Tai, die, sich an die Colonie anschließend, sich weiter in’s Land hinein erstreckt. Die Anwesenheit der Expedition und speciell ihre astronomische Thätigkeit hatte für beide Theile nicht geringes Interesse, das noch durch die dauernde Anwesenheit unseres deutschen Kriegsschiffes, der kaiserlichen Corvette „Arcona“, die der Expedition zum Beistand zugetheilt war, erhöht wurde. Ein im Norden der Stadt auf einer Anhöhe gelegenes Plateau war als Observationsplatz ausersehen, woselbst auch sogleich der Aufbau der von Deutschland mitgebrachten eisernen Beobachtungshäuser begonnen wurde. Der Bau, sowie die Aufstellung der Instrumente war bald beendet, und die astronomischen Beobachtungen nahmen ihren Anfang. Jetzt erreichte aber auch die Neugierde der über astronomische Thätigkeit gänzlich begriffslosen Chinesen ihren Gipfel. Sobald am Vormittag die Sonnenbeobachtungen begonnen hatten, war unser Observationsplatz schon rings von bezopften Neugierigen umstellt; das unvermeidliche Tabakspfeifchen im Mund, die auf ihren Lorbeeren ausruhenden Hände in den Falten der weiten, lang herabhängenden Aermel des Gewandes verborgen, schauten sie unverwandt bald nach der Sonne, bald auf die nach dieser gerichteten Instrumente herüber. Das Interesse, das uns die Herren Chinesen so in stummer Weise zollten, schien ein immer allgemeineres zu werden, denn von Tag zu Tag mehrte sich die Zahl dieser überzähligen Beobachter, ja es fanden sich auch bald hie und da Beobachterinnen ein. Und welch’ unsägliche Mühe und Anstrengung mußte es den Töchtern des „himmlischen Reiches“, die ihre Füße nach dortiger Sitte gänzlich verkrüppelt und so zum Gebrauche fast untauglich gemacht hatten, kosten, die Anhöhe, wenn auch mit Hülfe ihrer Eheherren, zu ersteigen! Gänzlich unmöglich gemacht war es den unverheiratheten jungen Chinesinnen, ihre etwaige Neugierde zu befriedigen, da die Töchter dieses Landes bis zu ihrer Vermählung zu Hause eingesperrt bleiben und sich nie öffentlich zeigen. – Doch nicht allein das Volk bekundete eine unbegrenzte Neugierde, auch der bereits erwähnten Classe der Mandarinen mußte die astronomische Thätigkeit von Interesse sein, denn bald ließ sich der Towtei, der höchstgestellte Mandarine der Provinz, zu einem Besuch auf dem Observatorium anmelden.

Es war ein warmer Novembernachmittag. Wir hatten einige Vorbereitungen zum Empfange des hohen Besuchs getroffen, den wir nun erwarteten. Die immer intensiver werdenden Töne kräftig geschlagener „Gongs“ erregten unsere Aufmerksamkeit, und umschauend gewahrten wir am Fuße des Berges, die Straße heraufziehend, einen langen Mandarinenzug. Voraus ein Trupp niederer Beamten im Festgewande, die, vermittelst ihrer Bambusstäbe das Volk auseinandertreibend, Platz für den festlichen Zug machten, Andere von Zeit zu Zeit die Gongs schlagend, und Solche, die, als Symbol der Macht des hohen Herrn, Ehrenzeichen vor ihm hertrugen. Hierauf folgten einige Mandarinen von niederem Range auf Ponies und nach diesen unmittelbar die von vier buntbekleideten Dienern getragene, mit seidenen Vorhängen umgebene Sänfte des Towtei, über die noch ein Ehrensonnenschirm von scharlachrothem Atlas ausgespannt war. Zu beiden Seiten ritten wieder je vier Mandarinen im Amtsschmucke, und den Zug beschloß eine gleiche Anzahl dieser seltsamen Reiter. Eine unzählige Volksmenge folgte in stummer Ehrfurcht dem Zuge ihres Gebieters, der, eben am Observatorium angelangt, Halt machte. Die Mandarinen sprangen von ihren Pferdchen und beeilten sich, ihrem Vorgesetzten beim Aussteigen behülflich zu sein, während einige Andere zu uns hereinliefen und jedem Einzelnen einen langen rothen Zettel überreichten, auf dem in Hieroglyphen für uns der Name des hohen Herrn verzeichnet stand. Bald darauf trat der Träger des Namens selbst ein, gefolgt von der Schaar Mandarinen, die sich bemühten, die Bewegungen ihres Gebieter genau nachzuahmen. Der Herr Towtei ging nämlich zu jedem Einzelnen von uns und brachte ihm nach chinesischem Gebrauch eine Unzahl stummer Höflichkeitsbezeigungen dar, eine Situation, die einen noch viel komischeren Anblick dadurch gewähren mußte, daß wir uns bemühten, die Gesten in gleicher Weise zu erwidern. Der hohe Besuch geruhte, nur chinesisch zu sprechen und hatte daher einen Dolmetscher bei sich, der die englische und chinesische Conversation vermittelte.

Die Besichtigung des Observatoriums, das Beobachten einiger himmlischen Objecte, das nun erfolgte, hatte für unsern hohen Gast sowie für die übrigen Mandarinen ein steigendes Interesse und nahm geraume Zeit in Anspruch, aber auch uns war es nicht minder interessant, die Herren Chinesen zu beobachten, wie sie mit schlauen Mienen die Instrumente von allen Seiten betrachteten und sich dann verständnißinnige Blicke zuwarfen. Nach Schluß der Besichtigung nöthigten wir den hohen Besuch an einer im Freien aufgeschlagenen Tafel sich niederzulassen und bewirtheten ihn mit einem Glase Wein. Seine Untergebenen stellten sich hinter ihm auf, und viele davon waren beschäftigt, ihrem Gebieter die kunstvolle Tabakspfeife anzubrennen und, da der Herr geruhte, etwas nachlässig zu rauchen, dieses Manöver immer von Neuem zu wiederholen, wobei Jeder sein eigenes Amt zu erfüllen hatte. Nachdem uns so der hohe Gast eine halbe Stunde stumm gegenüber gesessen hatte, stand er auf und empfahl sich durch dieselben komischen Gesten, wie zu Anfang,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_070.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)