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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

„Es wäre doch auch schlecht,“ warf hier Herr von Uffeln fast erschrocken ein.

„Man wehrt sich eben wie man kann, Herr von Uffeln, wenn Sie aber vorziehen, in der Gefahr zu bleiben, die der Mensch über Sie bringt …“

„Nein, nein, jeder ist sich der Nächste, thun Sie, was Sie für nöthig halten!“

„Ich werde es mir überlegen und wahrscheinlich für nöthig halten. Die Entdeckung und obrigkeitliche Beschlagnahme des Waffenvorrats in der Kropp würde ein ganz gewaltiges Aufsehen, einen heillosen Lärm machen und Alles, was zur Polizei gehört, auf die Beine bringen. Es würde, denk’ ich, völlig genügen, unsern Tugendbundmenschen an seine Rettung denken zu lassen – er würde sich so hastig, wie wir es nur irgend wünschen können, aus dem aufgewirbelten Staube machen.“

„Das ist freilich zu erwarten,“ versetzte Herr von Uffeln, und Beide schwiegen dann eine Weile.

„Ich muß Ihnen gestehen,“ sagte endlich Herr von Uffeln mit einem Seufzer und in ziemlich verzagtem Tone, „bei allem dem fühl’ ich mich immer unbehaglicher hier. Es bleibt immer die Abneigung von Fräulein Adelheid gegen mich, die mich sehr trübsinnig stimmt, und nun gar noch dieser Tugendbundmensch, wie Sie ihn nennen, der mir die Luft hier drückend macht – das Alles läßt mich wünschen …“

„Sie könnten eine Luftveränderung vornehmem? Das ist mir sehr erklärlich,“ erwiderte Herr Fäustelmann mit einem leisen spöttischen Lächeln. „Und,“ fuhr er fort, „das trifft ja auch auf’s Beste mit der schon lang gehegten Sehnsucht unserer Familie nach einer Luftveränderung, mit dem Verlangen des Arztes nach einem anderen Klima für Fräulein Adelheid überein. Also beschleunigen wir diese Luftveränderung!“

„Was könnten Sie dazu thun?“

„Etwas immerhin, vielleicht gerade so viel wie nöthig ist. Das Geld ist ja da – es sind die für Sie beim Justitiar deponirten baaren Einkünfte des Guts, die auf Ihren Antheil fielen, und die Sie nun großmüthig Herrn von Mansdorf zur Disposition gelassen haben. Damit Sie nun einpacken und Alle zusammen einträchtiglich sich aus dem Waldschatten von Wilstorp in den Sonnenschein eines glücklicheren Klimas verziehen können, bedarf es nur noch der ausgesprochenen Verlobung mit Fräulein Adelheid, denn als ihr abgewiesener Freier können Sie freilich hinter der Familie nicht dreinziehen.“

„Sicherlich nicht! Aber diese Verlobung …“

„Müßte ohne Zeitversäumniß jetzt endlich zu Stande gebracht werden. Und das lassen Sie meine Aufgabe sein! Ich werde Frau von Mansdorf schon dafür stimmen, daß sie dem jetzigen unbestimmten Zustande, diesem Hangen und Bangen ein Ende macht. Wollen Sie mich dabei unterdtützen – wohl, so betrinken Sie sich ein paar Abende nach einander mit Herrn von Mansdorf.“

„Betrinken – wozu? Soll mich das etwa in Fräulein Adelheid’s Augen liebenswürdiger erscheinen lassen?“

„Nicht just das – es soll nur dazu dienen, den Wunsch der Frau von Mansdorf, ihren Mann aus dieser Einsamkeit hier fort zu bringen, zu verschärfen. Es soll ihr die Möglichkeit geben, zu dem Fräulein zu sprechen: mach’ ein Ende, damit wir hier fortkommen! Du hast es sonst auf dem Gewissen, daß dein Vater hier in einem Laster verkommt, an dem nur seine Einsamkeit und Beschäftigungslosigkeit schuld ist.“

„Sie sind eigentlich ein merkwürdig schlauer Gesell, Fäustelmann,“ sagte Herr von Uffeln, nachdenklich ihn anschauend.

„Danken Sie Gott dafür, daß ich Ihnen mit meiner Ueberlegung ein wenig zu Hülfe komme!“

„Das soll auch geschehen, sobald Ihre Ueberlegung und Hülfe mich an’s Ziel gebracht haben. Ich habe nicht eher Ruhe mehr. Ohne Fräulein Adelheid glaube ich nicht mehr leben zu können.“

„Das kommt blos daher, weil sie Sie mißhandelt,“ versetzte lächelnd Herr Fäustelmann. „Aber seien Sie getrost und vertrauen Sie auf meinen Eifer, Sie glücklich zu machen!“

Damit ging Herr Fäustelmann, ohne daß Uffeln doch ein großes Vertrauen zu diesem Eifer mit den Blicken ausgedrückt hätte, womit er ihm nachschaute. Im Gegentheil – der junge Mann behielt in seinen Mienen denselben Ausdruck von Schwermuth, der bei Fäustelmann’s Kommen darin gelegen hatte.

„Ich fürchte,“ flüsterte er vor sich hin, „dieser Mensch hat noch ganz andere Motive, als die er mir angiebt. Weshalb ist ihm so daran gelegen, seine Herrschaft von hier abziehen zu sehen? Er betrügt zuerst seinen alten Herrn und dann mich, den er zu seiner Puppe gemacht hat, der wie Wachs in seiner Hand ist. Wahrhaftig, wenn mein Herz mich nicht so rasch an dieses Haus gefesselt hätte …“

Herr von Uffeln endete nicht, sondern blickte trüben Auges wieder auf die hohen, weißen Wolkenberge. Nur nach einer langen Pause sagte er mit einem tiefen und schmerzlichen Seufzer:

„Ich wollte, ich wäre nie hierher gekommen.“




8.

Einige Tage waren vergangen. Der Jochmaringhof lag im hellen Sonnenscheine eines merkwürdig schönen Herbstnachmittages da. Die außerordentliche Reinheit und Klarheit der Luft ließ die näheren Gegenstände sich ungewöhnlich bestimmt und deutlich von den entfernteren abheben, so daß die Landschaft dadurch Vorder-, Mittel- und Hintergründe bekommen hatte, welche man zu andern Zeiten gar nicht so unterschieden wahrnahm. Und wie eine große Abwechselung und eine reichere Belebung, so hatte diese Landschaft dadurch auch einen größeren Farbenreichthum bekommen; die Blätter von des Meyers alten Eichen zeigten da, wo die Sonne darauf lag, ein ganz wunderbar saftiges, tiefgesättigtes Grün, und die Ziegel auf dem alten Gaden seitwärts vom Haupthause wiesen Farben und Töne auf, die einen Maler hätten entzücken müssen. Eine wunderbare Stille und fast weihevolle Ruhe lag zudem über dem Ganzen; man hörte nichts, als von einem entfernteren Gehöfte her den gedämpften Schlag im Tacte arbeitender Flachsbrecher. Die alten mächtigen Wipfel aber standen so still, als wären sie in ein tiefes, tiefes Sinnen versunken und gedächten der uralten heiligen Zeiten Widukind’s und seiner „Gesaljos“, seiner Saalgenossen und Gesellen.

Unter einer dieser Eichen, da, wo wir sie zuerst erblickten, sitzt heute einmal wieder die Prinzessin Elisabeth auf der rauhen Holzbank hinter dem weißgescheuerten Tische von Lindenholz, den die Meyerin für Gäste hinauszutragen pflegt. Diese selber, des Meyer’s Ehegesponst, wandelt mit der Prinzessin Kammerfrau drüben im Garten auf und ab, der an der andern Seite des Hauses einige Astern, einige Phloxbüsche und sonst sehr wenig Gegenstände zeigt, welche auf einen idealen Zug in bäuerlicher Gartenpflege hindeuten, dagegen eine große Sorge für die Cultur von Zwiebeln, Cichorien und Gurken verräth. Die Prinzessin pflegt unterdeß geheimer Zwiesprache mit der rätselhaften Persönlichkeit, welche es bei dem Besuche, den wir sie der Prinzessin im Schlosse machen sahen, verstanden haben muß, sich diese wieder vollständig zu versöhnen.

Der Fremde sitzt der Prinzessin gegenüber auf einem Strohstuhle und hat das Kinn auf den auf der Tischplatte ruhenden Arm gestützt; sein Hut liegt neben ihm, so daß seine hochgewölbte, von dunkelbraunem Haare umwallte Stirn völlig frei sichtbar ist. Es laufen einige zarte Linien in der Quere darüber, als Andeutungen, wo Zeit und Sorge nur zu graben haben werden, wenn sie auch in diesem Menschenantlitze die Runen herstellen wollen, die von des Lebens Mühsal sprechen. Seine dunklen großen, aber halb verschleierten Augen liegen mit einem eigenthümlichen, halb fragenden, halb verwunderten Blicke auf der jungen Dame, während um den streng geschlossenen und schön gezeichneten Mund doch wieder ein Zug von Spott, oder wenn der Ausdruck zu stark sein sollte, von Neckerei liegt.

„Sie sind von einer bewunderungswürdigen Güte, Durchlaucht,“ sagte er, „und wissen Sie, daß mir von dem Allem in diesem Augenblicke ganz eigenthümlich, ganz traumhaft zu Muthe geworden ist?“

„Wie Ihnen zu Muthe ist, darum handelt es sich hier nicht,“ versetzte die Prinzessin, „und insbesondere nicht um Ihre Träume. Sie sollen sich entschließen und das sofort, jetzt auf der Stelle, nachdem Sie Zeit genug gehabt haben, meine Worte zu überlegen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 846. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_846.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)