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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


ersten Stock hinauf und durch lange Corridore geführt, deren Wände von alten und sehr schlecht gemalten Ahnenbildern des fürstlichen Hauses bedeckt waren; dann durch ein paar Säle, in welchen viele altmodische Möbel standen und wieder viele alte Bilder hingen; zuletzt in ein großes, ganz mit alten Büchern angefülltes Gemach. Es war auffallend, wie die Gegenwart hier sich aller Verpflichtung entbunden, an das Schaffen und Wirken der Vergangenheit weiterschaffend anzuknüpfen; wie auch nicht ein einziges neues Bild Interesse für die Kunst der Zeit, nicht ein einziges neues Buch unter all den schweinsledernen Autoritäten des siebzehnten und den Halbfranzbänden des vorigen Jahrhunderts Theilnahme für die Literatur des Tages verrieth. Die junge Durchlaucht saß allein in dem großen Raum an einem gewaltigen mit schweren alten Büchern bedeckten Schragentisch und zeichnete nach einem dieser alten Werke, einem großen Wappenbuche, mit feinen Federstrichen ein Wappen auf ein Blatt, welches sicherlich als ein Stickmuster zu dienen bestimmt war.

Sie blickte auf, als Herr Fäustelmann herankam, nickte ihm einen gnädigen, aber ein wenig kühlen Gruß auf seine tiefe Verbeugung zu, die in der That durch ihre Unbeholfenheit auch keinen größeren Reflex von huldvoller Anmuth hervorzurufen verdiente, und sagte, sich mit langsamer Kopfbewegung und wie zerstreut ihrer Arbeit wieder zuwendend:

„Herr Fäustelmann! Was führt Sie zu uns? Sie kommen wohl statt Ihres Herrn von Uffeln, den ich zu mir zu kommen bat? Weshalb kommt er nicht selbst? Er hat doch mein Billet erhalten?“

„Er hat es erhalten, Durchlaucht, und nicht gesäumt, sich auf den Weg zu machen, um diesem gnädigen Befehle zu gehorchen. Er war bereits hier unten im Schlosse und im Begriffe sich melden zu lassen, als ein höchst auffälliger Umstand ihn davon zurückhielt. Er vernahm, wie ein anderer Mann, der mit ihm eintrat, sich unter seinem Namen bei Eurer Durchlaucht melden ließ, und sah, wie Dieser zu Ihnen geführt wurde.“

„Und da ging er heim, ohne seine Rechte auf seinen Namen geltend zu machen und zu behaupten?“

„Ach, Durchlaucht, er konnte doch nicht daran denken, hier im fürstlichen Schlosse mit einem fremden Menschen einen Streit um seinen Namen zu beginnen, mit diesem fremden Menschen streitend gar bei Ihnen, in das Zimmer einer fürstlichen jungen Dame einzudringen.“

„Das ist wahr, Fäustelmann – das konnte er freilich nicht. Sie haben darin Recht. Wissen Sie aber, daß es mir leid thut, daß er es nicht gethan hat, nicht thun konnte?“

„Ihnen leid thut?“

„Ja,“ versetzte die Prinzessin, ihr zartes Antlitz mit den tiefblauen sinnigen Augen über die Zeichnung beugend, „es thut mir leid, denn ich hätte gar gern gehört, was, wenn Ihr Herr von Uffeln in’s Zimmer getreten und dem meinen, Stirn gegen Stirn, gegenübergetreten wäre, der meine gesagt hätte.“

„Er würde doch, denk’ ich, bald eingeräumt haben, daß er kein Recht auf den Namen hat und daß es ein merkwürdig keckes Unterfangen von ihm ist, wenn er sich diesen Namen beilegt.“

Die Prinzessin antwortete nicht gleich. Sie führte, wie in ihre Arbeit versenkt, sehr sorgfältig eine der Adlerfluchten über dem offenen Turnierhelme auf ihrem Wappenbilde aus.

„Würden Sie,“ fuhr deshalb Fäustelmann fort, „die Gnade haben, mir zu sagen, was dieser Mensch, dem Sie Zutritt gewährten, bei Ihnen wollte, was er vorbrachte, Durchlaucht?“

Die Prinzessin antwortete auch auf diese Frage nicht.

„Ich mußte ihm wohl Zutritt gewähren,“ entgegnete sie erst nach einer Pause, „denn als er mir gemeldet wurde, setzte ich nichts anderes voraus, als daß es der Herr von Uffeln sei, den ich ja selbst durch ein Billet eingeladen hatte, zu mir zu kommen. Ich war natürlich überrascht, einen ganz anderen bei mir eintreten zu sehen.“

„Begreiflich! Und geruhten Sie nicht, ihm dies zu erkennen zu geben und sich Aufklärung darüber geben zu lassen, wie dieser Mensch so verwegen sein könne …“

„Freilich, freilich; ich sagte ihm, daß ich einen andern Uffeln erwartet habe, und daß ich mir die Erklärung erbitten müsse, wie es komme, daß er sich denselben Namen beilege.“

„Und er antwortete?“

„Mit der einfachen Versicherung, daß er nun einmal einen Namen haben müsse, und seitdem der, welchen er genannt, ihm die Gunst verschafft, bei mir vorgelassen zu werden, hänge er nun einmal an diesem.“

„Und Das war Alles?“

„Alles, was er darüber sagte. Er wich aus, so oft ich darauf zurückkam.“

„Alles, wo er doch erfahren hatte, daß mit der Führung des Namens ein Anrecht auf ein schönes Rittergut verbunden ist? Und daß man ihn deshalb zur Rechenschaft ziehen kann?“

Die Prinzessin antwortete wieder nicht.

„Es ist eine wunderliche Sache, Fäustelmann,“ sagte sie nur nach einer Weile mit einem leisen Seufer – und dann hob sie den Kopf und neigte ihn ein wenig schief, wie um die Wirkung ihrer Zeichnung mehr aus der Entfernung zu sehen.

Fäustelmann beobachtete, während sie so ihre ganze Aufmerksamkeit der Zeichnung zuzuwenden schien, mit scharfen Blicken die Prinzessin. Er mußte wohl den Eindruck haben, als ob sie ihm lange nicht Alles, was sie dachte oder wußte, sage. Und da sein stilles Abwarten, daß sie weiter reden würde, ihm auch nichts fruchtete, sondern sie in ihrem Schweigen beharrte, zögerte er nicht länger, seine Meinung offen auszusprechen.

„Ich glaube, Durchlaucht, ich habe den Schlüssel zu dem Geheimnisse dieser seltsamen Doppelgängerei.“

„Ah,“ fiel sie lebhaft ein, „Sie hätten den Schlüssel? Nun, wer ist denn der richtige, der echte Uffeln?“

„Danach,“ versetzte er lächelnd, „kann doch nicht die Frage sein. Aber ich glaube den Schlüssel zu haben, weshalb Ihr Herr von Uffeln sich diesen Namen beilegt, ihn sich anmaßt –“

„Fahren Sie fort!“

„Ihr Herr von Uffeln ist ein Emissär des Tugendbundes, der sich als solcher vor der Welt verbergen muß und ganz schlau sich den Namen eines Andern beilegt, für den Fall, daß etwas von seiner stillen Thätigkeit hier in der Gegend verlaute. Wenn die französische Polizei Wind und Witterung davon bekommen, wenn der Name des Agenten der Alliirten ihr zu Ohren kommen sollte – nun, dann wirft sie sich auf unsern Herrn von Uffeln, und während dieser gefaßt, arretirt, inquirirt und drangsalirt wird, hat der Schuldige die schönste Zeit, ungeahnt und ungehärmt durchzuschlüpfen. Es ist wirklich eine außerordentlich fein ausgedachte Kriegslist, für einen solchen Fall sich den Namen eines Andern beizulegen, der selbst noch fremd und ein Neuling in der Gegend ist. Hätte Ihr Emissär sich auf den Namen eines hier längst bekannten Mannes geworfen, oder hätte er einen ganz fremden angenommen, so würde ihm das nichts genützt haben; nun er sich Uffeln nannte, schob er im Falle der Entdeckung die erste Gefahr und Verantwortlichkeit von sich ab auf einen Mann, den noch Niemand recht kennt, der seine Identität noch mit Brief und Siegel beweisen muß, dem man noch allerlei Zweifel und Verdacht in den Weg werfen kann, wenn er einer Behörde als Emissär, Spion oder dergleichen denuncirt ist.“

Die Prinzessin hatte den Rentmeister betroffen und überrascht angehört.

„Ihr Uffeln hat seine Identität Ihnen und Ihrem Herrn durch Brief und Siegel nachgewiesen?“ fragte sie jetzt.

„Gewiß hat er das,“ rief Fäustelmann beleidigt aus, „mir, dem Herrn von Mansdorf und dem Justitiar.“

Sie nickte mehrmals nachdenklich mit dem Kopfe.

„Und was Sie da eben von Emissären des Tugendbundes sagten – sind Sie ganz überzeugt, daß das nicht ein bloßes Gerede, sondern die Wahrheit ist, daß solche Agenten auch hier aufzutauchen beginnen?“

„Davon, Durchlaucht,“ versetzte Herr Fäustelmann, „bin ich nicht allein fest überzeugt, sondern mehr als das, ich bin im Stande, Ihnen bestimmte Thatsachen als Beweis anzugeben. Würden Sie dann noch zweifeln, so würde ich Sie bitten, sich mit mir zu dem alten verlassenen Bau, der sogenannten Kropp zu begeben.“

„Zu der Kropp? Und was sollt’ ich da?“

„Wenn Sie sich nicht scheuten, in einen besonders geschützten abgesonderten Keller mit mir hinunterzusteigen, so würde ich Ihnen den Waffenvorrath zeigen, welchen der Emissär

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 831. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_831.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)