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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


sein Rentmeister schüttelte jedoch zu dieser Idee so früh am Tage den Kopf. Ohnehin hatte er ja noch hinaufzugehen zum Herrn von Uffeln und diesem das Billet mit dem Fürstenkrönchen zu bringen, denn es war an Niemand anders als an Herrn Ulrich Gerhard von Uffeln adressirt.

Herr von Uffeln saß in dem freundlichen, die Aussicht auf den Weiher und den Wald auf der Rückseite des Hauses Wilstorp bietenden Eckzimmer. Er war da mit sehr dürftigem Gepäcke eingezogen; was man außer den umherliegenden Kleidungsstücken von seiner eigenen Habe im Zimmer sah, bestand in einem hübschen kleinen Pastellbilde, dem Portrait seiner Mutter, das ihn, wie er sagte, auf allen seinen Feldzügen nie verlassen habe und das er jetzt, nebst einem kleinen aus Silber getriebenen Muttergottesbilde, dem Andenken an eine Manola Spaniens, unter dem venetianischen Spiegel aufgehängt hatte. Dann besaß er ein Paar sehr schöne Kuchenreuter-Pistolen und seinen Degen, die er an der Wand zwischen den Fenstern angebracht, und endlich eine Flöte, mit welcher er eben beschäftigt war; er suchte mit rührender Geduld sich ein Musikstück darauf einzuüben, trotz der Schwierigkeiten, welche ihm seine Unfähigkeit verursachte, über einen Theil seiner Finger zu gebieten. Endlich entsank die Flöte seiner Hand; er legte sie sanft auf das Brett des Fensters, an dem er saß, und blickte sinnend auf die alten Laubwipfel hinaus. Hätte Fräulein Adelheid ihn so gesehen, sie würde vielleicht eine Regung von Theilnahme und Sympathie mit dem vom Leben viel geprüften jungen Manne empfunden haben, der, jetzt plötzlich und für ihn fast unerwartet dem Glücke in den Schooß gesunken und über alle Noth des Lebens hinaus, doch so melancholisch und ernst in’s Weite schaute – gewiß nur, weil er sein Herz von Adelheids Reizen gefesselt und umstrickt fühlte und sich doch gestehen mußte, daß sie ihm die Beweise einer Gegenneigung mit merkwürdiger Consequenz vorenthielt.

Als er Herrn Fäustelmann bei sich eintreten sah, erhob er sich und richtete einen Blick auf ihn, in welchem sich offenbar etwas von Scheu und Erschrecken malte; der wunderliche Spukseher mußte auch für den früheren Soldaten etwas Unheimliches haben, wenigstens verloren Herrn von Uffeln’s Züge erst eine gewisse Spannung, als ihm Fäustelmann in sehr unterthänigem Tone sagte:

„Es ist nichts weiter, was mich herführt, Herr von Uffeln, als ein Brieflein, welches der Postbote für Sie aus Idar mitgebracht hat. Mit der fürstlichen Krone im Siegel und adressirt von einer Damenhand.“

Herr von Uffeln nahm das Billet entgegen und riß es auf.

„Seltsam,“ sagte er, „es ist von der Prinzessin Elisabeth. Sie bittet mich, ich möge sie besuchen. Was kann das bedeuten? Was kann mir die Prinzessin Elisabeth zu sagen haben?“

Fäustelmann zuckte die Schultern.

„Das weiß der liebe Gott,“ versetzte er. „Kann mir nichts Anderes vorstellen, als daß sie mit Ihnen von Geschäften reden will.“

„Von Geschäften? Prinzessin Elisabeth?“

„Weshalb nicht? Die Durchlaucht ist, sagt man, ein kleiner Advocat. Wo der Fürst nicht selbst Eröffnungen machen will, da sendet er sie, auf geschickte Weise eine Angel auszuwerfen, das erste Eis zu brechen. Der Fürst ist bei den jetzigen Zeitläuften in allerlei schwer bedrängte Lagen gerathen; vielleicht setzt er bei dem Herrn von Uffeln Verlegenheiten voraus, wie die seit Jahren aufgelaufenen und ihm asservirten Revenuen von Wilstorp unterzubringen, und da mag denn die Prinzessin Elisabeth anklopfen sollen, ob …“

„Die Prinzessin?“

„Nun ja, sie ist, wie gesagt, sein kleiner Finanzminister und der Schrecken seiner ‚hochfürstlichen Kammer‘.“

„Bin doch neugierig,“ entgegnete kopfschüttelnd Herr von Uffeln. „Jedenfalls werde ich mich gleich auf den Weg machen.“

„So gehen wir eine Strecke selbander. Werde mich dem Herrn von Uffeln anschließen, falls ihm mit mir einen kleinen Umweg zu machen beliebt.“

„Umweg? Welchen? Wozu?“

„Es liegt da seitab vom Wege nach Idar, nur einen Büchsenschuß weit seitab, in sumpfigem Buschwerke ein altes, verlassenes Haus, so man ‚die Kropp‘ nennt, solch ein alter Burgmannshof des Fürsten, in dem aber nun seit Jahren Niemand anders mehr gewohnt hat, als Ratten und Fledermäuse.“

„Und diesen Ratten und Fledermäusen wollen Sie einen Besuch machen?“

„Nicht das just. Ich will nur ein wenig in die alten Räume blicken. Der Oberförster trägt sich mit einer Geschichte, auf die ich im Beginne nicht viel Gewicht gelegt habe, denn wenn solch ein Mann, der ein einsames Leben führt, einmal den Abend in einer lustigen Gesellschaft in der Stadt zubringt, so ist er im Stande, auf seiner nächtlichen Heimkehr gar wunderliche Dinge zu sehen, und nur ein Narr legt Gewicht darauf. Nun ist aber im Städtlein Idar ein Apotheker, ein feiner, geriebener Kopf, der gestern in meinem Beisein die Geschichte vernahm und darüber in eine versteckte, aber mir nicht verborgen bleibende Aufregung und Unruhe gerieth. Das muß nun doch einen absonderlichen Grund haben. Der Apotheker ist kein Mann, der sich um eines Hirngespinnstes willen aus dem Gleichgewichte bringen läßt. Ich will also wissen, was für ein Zusammenhang zwischen ‚der Kropp‘ und des Apothekers Unruhe und des Oberförsters Geschwätz von Kindersärgen und abgehauenen Köpfen ist.“

„Kindersärgen? Abgehauenen Köpfen? Ich bitte Sie, Fäustelmann.“

Fäustelmann lächelte.

„Nun ja,“ sagte er, „Sie lassen sich dadurch nicht Angst machen! Weshalb that es der Apotheker?“

„Mit welchen Geschichte man in diesem wunderlichen Lande heimgesucht wird!“ rief Ulrich Gerhard von Uffeln aus. „Aber Sie können mir das unterwegens ja ausführlicher erzählen. Setzen Sie sich, bis ich mich für den Besuch bei der Prinzessin ein wenig besser gekleidet habe! Dann gehen wir zusammen, ich kenne ohnehin den Weg nach Idar noch nicht genau genug, um vor dem Verirren sicher zu sein, und so schließe ich mich Ihnen gern an.“

Fäustelmann setzte sich, und Herr von Uffeln machte seine Toilette. Dann verließen Beide zusammen, Herr von Uffeln in einem eleganten grünen Fracke mit goldenen Knöpfen und grauen langen Beinkleidern, zu denen sich seit einigen wenigen Jahren erst die männliche Jugend der Zeit emancipirt hatte, den Kopf mit einem Filzhute von wunderlicher Ausladung nach oben hin bedeckt, das Haus; Herr Fäustelmann schlug durch Gehölz und über Kämpe einen seinem Begleiter natürlich noch ganz unbekannten Richtweg ein; sie sprachen wenig zusammen; Fäustelmann war überhaupt ein stiller Gesell, und Herr von Uffeln schien wieder in seine Gedanken zu versinken.

„Fäustelmann,“ sagte er plötzlich, wie aus diesen Gedanken auffahrend, „sagt mir die Wahrheit! Liebt das Fräulein einen Andern, liebt sie den jungen Arzt, der sie bisher behandelt hat? Ich will es wissen. Denn wenn es so ist, habe ich nicht Lust, mich ihr aufzudrängen und sie unglücklich zu machen.“

„Ah,“ versetzte Fäustelmann, „wer hat Ihnen denn davon gesagt?“

„Ich weiß es nicht – ein gewisser Instinct hat es mich combiniren lassen. Sie ist offenbar leidend. Man ruft den Arzt nicht, während ich doch aus den Gesprächen abnehmen muß, daß er früher oft gekommen. Als ich der gnädigen Frau vor einigen Tagen rieth, den Arzt kommen zu lassen, entgegnete sie mir offenbar verdrießlich, es sei kein Arzt in Idar, zu dem sie Vertrauen habe; nur ein ganz junger und noch unerfahrener Mann sei da, und hier fiel Fräulein Adelheid mit zitternder Lippe und offenbar tief erregt, ja zornig ein: ‚Ich habe Vertrauen zu Doctor Günther.‘ Als Antwort warf die Mutter ihr einen Wuthblick zu, und das Gespräch erstarb. Ich denke, das verräth genug.“

„Ah bah – es verräth, daß Mutter und Tochter verschiedener Ansicht über ihren Doctor sind, weiter Nichts. Das kann einen Mann nicht bewegen, einen wohlüberlegten Plan fallen zu lassen.“

„Welches Aeußere hat dieser Doctor Günther? In welchen Verhältnissen lebt er?“

„Welches Aeußere? Er ist eben ein noch blutjunger Mensch mit schwarzem Lockenhaare und rothen Wangen – Neffe und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 815. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_815.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)